China am Ziel! Europa am Ende?. Christoph Leitl

China am Ziel! Europa am Ende? - Christoph Leitl


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Europäers 2019

      »Frieden ist nicht selbstverständlich, und wir sollten stolz darauf sein, dass Europa den Frieden erhält … Bekämpft mit aller Kraft den dummen Nationalismus! Es lebe Europa!«

      Jean-Claude Juncker in seiner

      Abschiedsrede vor dem Europaparlament 2019

      »Europa ist wie eine lange Ehe: Die Liebe wird vielleicht nicht größer als am ersten Tag, aber sie wird tiefer.«

      Ursula von der Leyen in ihrer Bewerbungsrede vor

      dem Europaparlament 2019

      »Europa ist die neue ›Stadt auf einem Berg‹. Die Welt blickt auf dieses großartige, transnationale Regierungsexperiment und hofft, von dort Orientierungshilfen für die Menschheit in einer globalisierten Welt zu finden. Der europäische Traum mit seiner Inklusivität, Diversität, Lebensqualität, Nachhaltigkeit, spielerischer Entfaltung, mit den universellen Menschenrechten und den Rechten der Natur sowie dem Frieden gewinnt für eine Generation, die global vernetzt und zugleich lokal eingebunden ist, zunehmend an Attraktivität.«

      Jeremy Rifkin, Leiter des Instituts The Foundation on

      Economic Trends, in Der Europäische Traum 2004

      »Die Einigung Europas mit den bisherigen Methoden gleicht dem Versuch, ein Omelette zu backen, ohne die Eier zu zerschlagen.«

      Paul Lacroix, französischer Literat

      »Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen. Sie wurde die Hoffnung für viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für alle.«

      Konrad Adenauer, 1954

      »Europa ist die Zukunft, jede andere Politik Vergangenheit.«

      Roland Dumas, ehemaliger französischer

      Außenminister

      »Die Kreativität, der Geist, die Fähigkeit, sich wieder aufzurichten und aus eigenen Grenzen hinauszugehen, gehören zur Seele Europas.«

      Papst Franziskus, 2016

TEIL 1

      2049

      Wir schreiben 2049. China ist am Ziel.

      Hundert Jahre nach der Mao-Revolution ist China das politisch, wirtschaftlich und militärisch stärkste Land der Welt.

      Es hat daran strategisch gearbeitet und die Welt verblüfft: Mit klarer Zielsetzung, durchdachter Strategie und darauf abgestimmten Maßnahmen wurde das große Ziel erreicht.

      Verbliebene Mitbewerber sind die USA und Indien. Sie bilden die Champions League, sie sind die Vorläufer, alle anderen sind Mit- oder Nachläufer.

      Aber die Vorläufer bestimmen die Richtung der Welt, richten sie nach ihren Interessen und ihren Werten aus.

      China hat aber noch mehr erreicht: Es hat die Competition of Governance, den Wettbewerb der Regierungssysteme, gewonnen. Schon vor drei Jahrzehnten hat China keinen Zweifel daran gelassen, dass es das anstrebt und damit beweisen will, dass sein Modell einer straffen Führung mit raschen Entscheidungen dem sich lähmenden System westlicher Demokratien, insbesondere in Europa, überlegen ist.

      Die rasanten Entwicklungen einer sich dramatisch verändernden Welt, die damit einhergehenden Brüche, Verwerfungen und Ängste vor der Zukunft will China mit seiner Art der Führung besser bewältigen als andere.

      Aber nicht nur China feiert 2049 ein Hundert-Jahr-Jubiläum:

      1949 wurden mit der Gründung des Europarates die Fundamente der europäischen Einigung gelegt.

      Der Europarat schuf eine neue europäische Philosophie: Vier Jahre nach dem Ende des fürchterlichsten und barbarischsten aller Kriege bekannte man sich zu Europäischen Menschenrechten, zur Rechtsstaatlichkeit, zur europäischen Kultur und Identität.

      Darauf aufgebaut wurde die wohl spannendste Entwicklung der Weltgeschichte: die Einigung Europas.

      Nationen, die sich über Jahrhunderte wechselseitig bekämpft hatten, schlossen sich zusammen. Nach den fürchterlichen Erfahrungen im Gegeneinander wollte man im Miteinander eine Zukunft der Freiheit, Demokratie, des Rechtes und des Wohlstandes aufbauen.

      Europa ist das Friedensprojekt schlechthin, es wurde im weltweiten Vergleich zum friedlichsten Kontinent und daher mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

      Noch etwas einte Europa neben der Friedenssehnsucht: die Angst vor der Bedrohung durch den Kommunismus. Europa war geteilt, die Sowjetunion und die USA standen einander gegenüber – jeweils hochgerüstet und bereit, auf den berühmten »roten Knopf« für den Einsatz von Atomwaffen zu drücken.

      Europa lebte in Frieden, aber im Schatten des Schreckens.

      Nach dem Fall des Kommunismus und der Berliner Mauer, dem Abbau von Stacheldraht und Grenzminen, dem Abzug der Atomwaffen schien man in Europa am Ziel der Träume: Die mittel- und osteuropäischen Staaten, die sich vom Kommunismus befreit hatten, wurden in die europäische Familie aufgenommen, der Kontinent schien eine glänzende Zukunft vor sich zu haben.

      Doch dann kam Sand ins Getriebe, Uneinigkeit und Egoismus gewannen oft die Oberhand über Solidarität. Eigeninteressen standen im Vordergrund, Gesamtinteressen wurden vernachlässigt.

      Statt Weiterentwicklung gab es Rückschritt. Nationalismus, Egoismus, Protektionismus, aber auch der Verlust von Gemeinschaftsgefühl, Emotionalität und Identität führten fast zum Ende eines wunderschönen Traumes.

      Hat Europa verloren? Verlieren die Europasterne ihren Glanz? Verblassen sie bis zur Unkenntlichkeit?

      China zieht davon, Europa schaut zu.

      Stars are rising, others falling – folgen die europäischen Sterne diesem Gesetz der Geschichte? Lösen die Cinque Stelle die zwölf Sterne Europas ab?

      Wir haben die Wahl: entweder auf der Bühne der Zukunft geeint eine wichtige und positive Rolle zu spielen oder zersplittert zu Statisten degradiert zu werden. Derzeit bewerben wir uns um die Statistenrolle.

      Noch sitzen wir im Liegestuhl in der wärmenden Sonne am Strand und schlürfen genüsslich einen Aperol Spritz.

      Die Tsunamiwarnungen hören wir nicht. Es geht uns ja gut, was soll das also?

      Drei Jahrzehnte später, 2049, werden wir erkennen, welche entscheidende Weichenstellung wir verabsäumt haben, welche Brüche wir nicht erkannt, welche Reaktionen darauf wir versäumt haben.

      Dann sind wir aber bereits von der Champions League in die National- beziehungsweise Regionalliga abgestiegen. Nach zwei Jahrtausenden tritt Europa als Key Player ab und überlässt seine Position stärkeren, dynamischeren, erfolgshungrigeren Kontinenten.

      2049 ist China am Ziel, Europa am Ende.

      DIE BRUCHLINIEN

      Die Welt ist voller Bruchlinien. Die gängige Vokabel dafür ist Disruption.

      Auch frühere Generationen hatten entscheidende Veränderungen zu bewältigen. Der Unterschied zu heute ist deren Dynamik. Wir haben einfach nicht genug Zeit, um die drängenden Fragen unserer Zeit zu analysieren, Lösungen zu finden und sie umzusetzen.

      Diese atemberaubende Geschwindigkeit bringt einen Verlust von Dialogfähigkeit und damit den Verlust von Bindungen, und führt zu Anonymisierung, Egoismus mit all den sich daraus ergebenden ökonomischen, politischen, sozialen und gesellschaftlichen Folgen.

      Geänderte Rahmenbedingungen, die diese Dynamik verursachen, müssen wir zur Kenntnis nehmen, in der Technologie, in der Wirtschaft, in der Kommunikation. Drei gewaltige Bruchlinien tun sich auf und Europa steht ihnen hilflos gegenüber. Die ungelöste Flüchtlingskrise, die ökologische Krise und die Coronakrise fallen zeitgleich zusammen. Bruchlinien, deren tektonische Verschiebungen Europa erbeben lassen. Sie sind verbunden


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