Das 20-Minuten-Kind. Dana Dolata

Das 20-Minuten-Kind - Dana Dolata


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Moment Stillstand. Bekommen tut sie ihn nicht ... Es führt dazu – sie fühlt sich wie gefoltert.

      *

      Planspiel „Liebe“

      Neben Stimmen und redenden Wasserhähnen, was ist noch? Das Planspiel „Liebe“ zum Beispiel. Skeila fährt noch mit dem Auto rum. Niemand bemerkt, dass sie sich verändert hat. Sie bemerken es lange nicht. Man sagt, wer eine Psychose hat, hat auch einen Schutzengel. Auf Skeila trifft das sehr zu. Sie fährt mehrmals die Woche. Fährt kurze Strecken, auch mal lange, lenkt ihren Wagen durch die Großstadt wie über die Dörfer. Meistens fährt sie einkaufen. Da sie sich ihre Lebensmittel selbst besorgt. Die Oma kauft Quatsch!

      Und wenn Skeila so lenkt, zum Einkaufen lenkt am Nachmittag um drei, da kommuniziert die Welt über Autoscheinwerfer mit ihr. Sind sie auch tagsüber an, bedeutet das, derjenige macht das Spiel mit. Skeila, sie bildet sich ein Spiel ein, organisiert und umgesetzt von einer quantitativ starken Hochbegabtenvereinigung. Ihr amerikanischer Brieffreund ist hochbegabt. Skeila – hier – malt sich aus, er hätte sich dieses Spiel einfallen lassen, um eine Beziehung zu entfachen. Zusammen mit den weiteren Hochbegabten, die gerade im Landkreis Urlaub machen, ist ja Sommer ...

      Es sind jedoch nicht nur die Lichter der Autos. Vielmehr bekommt alles eine Bedeutung wie beispielsweise Armbewegungen! Rechter Arm bedeutet für Skeila Ja und eine Art mütterliche, geborgene Seite. Links meint Nein. Nein und die Seite der Vögel, ganz unbehütet und chaotisch.

      Alles, was Skeila seitdem sieht, ist mit einer Bedeutung versehen, nennt sich Wahn. Auch Richtungen beginnen, eine Rolle zu spielen. Und so bedeutet von rechts nach links Nein, bedeutet von links nach rechts Ja. Da sich alles bewegt und alles Seiten hat, hat alles eine Bedeutung. Wenn Skeila also einkauft, kann ihr hierüber gesagt werden, was genau in den Korb soll. Ob Schokopudding oder Wein, ob Lachs oder Lasagne. Und so schießt sie dann auch im Geschäft herum ... Zum Teil kauft sie gar Dinge, die sie nicht benötigen kann, wie Kerbel oder Fruchtsoße. „Entzwacken“ nennt sich das oder auch „entzweien“. Hat nichts weniger als den Zweck, Entspannung herbeizuführen, da sonst ja alles determiniert ist ...

      Es ist so einfach nicht im Universum von Skeila, SIE sieht das anders, weiß geradezu immer, was zu tun ist. Leider nur sind das nicht mehr ihre eigenen Gedanken – oder doch? Meint Psychose nicht, dass man selbst sich all jenes antut?! Sämtliche Symptome, Stimmen wie Halluzinationen, kommen ja aus DIR heraus.

      Skeila jedenfalls kauft also Soße, Kerbel und Pudding, Lasagne, aber keinen Lachs, die Hälfte davon braucht sie nicht. Es erfüllt sie aber mit Genugtuung.

      Dann geht es weiter, wieder nach Hause, oder ach, hier scheint ein Spiel im Spiel zu lauern: hin da! Skeila sieht überall Schuhkisten. Sieht sie an den Häusern im kleinen Dorf auf der Strecke stehen und denkt: „Das ist für mich, hier soll ich jetzt zusammenfügen und sortieren.“ Und sodann sortiert Skeila die Schuhe im Dorf. Geschmack hat sie. Er ist verrückt, aber er ist auch gut. Skeila sucht sich silberne Ballerinas heraus, nimmt ihren Fund stolz mit zur nächsten Kiste – in der sich derbe Gummistiefel befinden, auf die prompt ihr Auge fällt. Wo die Ballerinas für sie darauf hindeuten, dass ihr amerikanischer Freund Ted einen weiblichen Touch hat, da sieht sie die Gummistiefel als für sich drapiert an. Steht Ted auf Männer?!

      „Ich kann auch männlich“, ruft Skeila für sich aus. Ihre Umgebung lässt daraufhin ein „Oh“ verlauten; ganz staunend, ganz schmunzelnd.

      Am nächsten Tag will Skeila in die Stadt, etwas Geld, gerade in der Tasche, gleich wieder anzulegen, und zwar in Klamotten. Sie läuft in das erstbeste Geschäft, findet mit viel Leitung durch Ellenbogen und Blicke von Leuten und Stimmen im Kopf auch etwas, damit geht es zur Kasse, aber ach, die Leuten stehen den halben Gang lang an. Skeila drapiert ihren Fund so, dass sie ihn wiederfindet, aber sonst niemand, und verlässt das Geschäft. „Schon klar“, scheinen die Leute ihr zuzurufen, „du ja immer am effektivsten.“

      Skeila geht noch einmal in ein anderes Geschäft, etwas Geld ist noch übrig abzüglich dessen, was sie nachher im ersten Laden ausgeben würde, damit schnüffelt sie weiter und flaniert; flaniert schnüffelnd.

      Als sie letztendlich alles im Beutel hat, geht es über den Markt, auf dem die Leute ihr nun die unterschiedlichsten Richtungen vorzugeben scheinen, einfach mit der Art, wie sie stehen und sich bewegen. Das Spiel neigt sich einem Ende zu. So denkt Skeila. Dass ihr das ebendas sagen soll. „Wir machen noch mal was los, aber bald bist du mit Teddy zusammen, das bescheinigen wir dir jetzt schon.“

      Skeila, welche denkt, dass sich Ted schon seit Tagen und Wochen im Haus gegenüber einquartiert hat, zieht ihr schönstes Kleid an. Es ist Abend, aber Skeila holt ihr Kleid raus und rasiert sich die Beine. Dann legt sie sich hin. Sie erwartet ihn. Denkt, dass die Oma eingeweiht ist, der Opa auch, dass Ted einen Schlüssel hätte und heute Nacht nun zu ihr käme. Wartet. Dann Gepolter auf der Treppe. Aber niemand kommt rein. Irgendwann schläft Skeila ein, macht sich keine Gedanken. Sicher kommt er morgen Nacht ...

      Und auch in der darauffolgenden Nacht vernimmt sie wieder das Gepolter auf der Treppe. Angst hat sie keine. Diesmal ja wäre es der geliebte Freund. Skeila hat da vollstes Vertrauen ...

      Geschrieben hatte ihr ihr Freund zuletzt: „Was, wenn ich nach Nordwestmecklenburg gekommen bin?!“ Zumindest übersetzte sie es so mit ihren dürftigen Sprachkenntnissen. „Was, wenn ich nach Nordwestmecklenburg komme?“, müsste es doch eigentlich heißen. Aber Skeila interpretiert auch hier. Bestimmt war es eine Wortspielerei! Eine, die andeutet, er sei schon da. Skeila glaubt und glaubt, rasiert jeden Tag die Beine, rasiert auch mal ihren Intimbereich, irgendwann ja müsste es so weit sein. Doch Ted – kommt nicht. Sie schreibt ihm. Doch auch da kommt nichts zurück.

      *

      Kinderstar

      Skeila liegt auf ihrer Couch. Es ist bereits Nacht. Etwas rät ihr, die aus mehreren Teilen bestehende Schlafcouch umzubauen. Sie tut’s, legt sich wieder hin. Noch mal! Skeila tut es wieder.

      Am nächsten Morgen, Skeila wacht auf, hat sie die knappe Eingebung: „Du liegst in einem Grab.“ Denn genauso sieht es aus, wie sie sich drapiert hat. In der Nacht wurde das nicht klar, jetzt wird es überklar. Erschrocken schnellt sie hoch, nur noch die Decke da raus, denn sie lag nicht mehr auf, sondern IM Bettkasten des Sofas, aber ach, die Decke sieht aus wie eine Figur, die dort schläft. Skeila erkennt nicht nur die Umrisse: Auch ein Gesicht macht sie aus. Skeila haut mit den Armen rein. Keine neue Figur bildet sich.

      Die Nächte sind es nun, in denen sich was abspielt. Jede Nacht ist Skeila wach. Es ist Spätsommer. Auf ihre Couch legt Skeila sich, wenn es fünf Uhr morgens ist. Sie weiß das so genau, weil dann im Haus gegenüber „die Scheren“ wüten. Das Fenster ist rot. Da dort eine Jalousie ist. Es ist im Bad. Der Nachbar wäscht sich am Waschtisch. Vor der Jalousie, für Skeila einsehbar, sieht es aus, als hätte er dahinter statt Händen Scheren – mit denen er herumfuchtelt. Sie bekommt starre Angst.

      Aber es ist für sie auch ein Signal. Dafür, dass sie sich hinlegen kann. Was nur tut sie in der Nacht? Zum Beispiel das „C“ verbinden, den Halbmond. Er ist böse. Wenn Skeila ihn sieht, muss sie ihn verbinden – mit weiteren Utensilien oder mit Klebeband! Sie tut das bei eigentlich allem. Nicht nur ihre Klamotten verbindet sie. Auch an ihre Bücher kommen Klebestreifen und an die Zahnbürste. Bald schon ist die Wohnung voll von transparentem Klebeband. Leben kann man da eigentlich nicht mehr.

      Eines Abends drapiert sie etwas Stück für Stück am Badezimmerfenster. Am nächsten Morgen sieht es aus wie eine Figur aus einem bekannten Horrorfilm. Skeila schaudert’s. Horrorfilme mag sie gar nicht, mochte sie nie. Warum gucken die Leute die? Du musst dich die ganze Zeit gruseln! Keine Entspannung, keine tieferen Einsichten, kein gar nichts. Nur Stress! Purer, blanker Stress und Skeila, zudem, kann Horrorfilme auch gar nicht vertragen. Eine Handvoll hat sie aber geguckt; nur deswegen weiß sie dies ja.

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