Metamorphosen. Ovid
die Schollen umbrechen, und ließ die Bauern sterben samt den Rindern, die das Feld bestellen, befahl den Äckern, [480] das anvertraute Saatgut zu unterschlagen, und verdarb den Samen. Siziliens weltberühmte Fruchtbarkeit wird Lügen gestraft: Im ersten Keim sterben die Saaten; bald rafft sie allzu viel Sonne, bald allzu viel Regen dahin; Gestirne und Winde stiften Schaden, und gierig picken Vögel [485] den ausgesäten Samen auf; Schwindelhafer, Burzeldorn und das unausrottbare Gras lassen die Weizenernte nicht gedeihen.
Da hob die Geliebte des Alpheus das Haupt aus ihrem Wasser, das aus Elis kam, strich sich das tropfende Haar aus der Stirn zu den Ohren und sprach: ‚O Mutter der Jungfrau, welche du auf dem ganzen Erdkreis suchst, [490] und Mutter des Kornes, mache der unermeßlichen Mühsal ein Ende und zürne nicht grausam dem Lande, das dir treu ergeben ist! Hat sich doch das Land nichts zuschulden kommen lassen; ohne es zu wollen, war es der Ort für den Raub. Und ich flehe nicht etwa für meine Heimat; bin ich doch als Fremde hierher gekommen. Pisa ist meine Vaterstadt, und ich stamme aus Elis, [495] wohne in Sizilien nur als Zugewanderte, doch ist mir dieser Boden lieber als jeder andere. Hier sind jetzt Arethusas Penaten, dies ist mein Wohnsitz: Rette ihn, du Gnadenreiche! Warum ich die Heimat verließ und so weit übers Meer nach Ortygia komme – dies zu erzählen, wird die rechte Stunde noch kommen, [500] wenn du deiner Sorge enthoben bist und wieder froher aussiehst. Ich kann durch die Erdentiefe dringen; dort tut sich mir ein Weg auf, und wenn ich unten durch die tiefsten Höhlen hindurchgeschlüpft bin, erhebe ich hier wieder mein Haupt und sehe die mir fremd gewordenen Gestirne. Während ich also in stygischer Tiefe unter der Erde hinglitt, [505] sahen dort meine Augen deine Proserpina. Wohl war sie noch traurig und trug Spuren der Angst im Gesicht, doch war sie Königin, die Mächtigste im Reich der Finsternis, die gewaltige Gemahlin des Königs der Unterwelt.‘
Sobald sie diese Worte hörte, erstarrte die Mutter, als wäre sie versteinert, [510] und stand lange wie vom Donner gerührt. Kaum hat das schwere Leid die schwere Benommenheit vertrieben, schwingt sie sich mit dem Wagen in die ätherischen Lüfte auf. Dort trat sie vorwurfsvoll mit finster umwölktem Antlitz und offenem Haar vor Iuppiter hin und sprach: ‚Ich bin zu dir gekommen, Iuppiter, [515] als Bittflehende für mein und dein Fleisch und Blut. Findet die Mutter keine Gnade, so mag die Tochter den Vater rühren! Und kümmere dich, bitte, nicht deswegen weniger um sie, weil ich sie geboren habe! Endlich habe ich nun meine lang gesuchte Tochter gefunden, wenn du das ‘finden’ nennst, was treffender ‘verlieren’ heißt, [520] oder wenn du ‘wissen, wo sie ist’ schon ‘finden’ nennst. Daß sie geraubt worden ist, will ich hinnehmen, wenn er sie mir nur zurückgibt! Denn einen Räuber zum Gemahl verdient deine Tochter nicht – wenn sie schon nicht mehr meine Tochter ist.‘
Iuppiter versetzte: ‚Die Tochter ist eine Lust und eine Last, die ich mit dir gemeinsam trage. Aber will man die Dinge beim rechten Namen nennen, [525] ist diese Tat kein Unrecht, sondern Liebe. Wir werden uns dieses Schwiegersohnes nicht schämen müssen, wenn du, Göttin, es nur willst. Gesetzt, alles andere fehle ihm – wieviel bedeutet es doch, daß er Iuppiters Bruder ist! Dabei fehlt es ihm ja gar nicht an anderen Dingen, und er steht mir nur nach, weil das Los so entschied. Doch wenn dein Wunsch [530] nach Scheidung so heftig ist, wird Proserpina in den Himmel zurückkehren; freilich nur unter einer bestimmten Bedingung: wenn sie dort unten keine Speisen genossen hat. So ist es nämlich im Ratschluß der Parzen vorgesehen.‘
Sprach’s, doch Ceres ist fest entschlossen, ihre Tochter heraufzuführen. Aber das Schicksal erlaubt es nicht, weil die Jungfrau nicht gefastet hatte, [535] sondern, während sie in ihrer Einfalt in den gepflegten Gärten umherstreifte, von einem Baum, der sich unter seiner Last beugte, einen purpurnen Granatapfel gepflückt und aus der bleichen Schale sieben Kerne genommen und zerkaut hatte. Das sah als einziger von allen Ascalaphus, den einst Orphne, [540] nicht ganz unberühmt unter den Nymphen des Avernus, ihrem geliebten Acheron in schwarzen Wäldern geboren haben soll; er sah es, zeigte es an und raubte ihr grausam die Rückkehr. Da seufzte die Königin des Erebus, verwandelte den Zeugen in einen unheiligen Vogel, besprengte ihm das Haupt mit Wasser vom Phlegethon [545] und versah es mit einem Schnabel, Flaumfedern und großen Augen. Er verliert sein Wesen, wird in gelbbraune Flügel gehüllt, schwillt am Kopf an, die Nägel wachsen in die Länge und biegen sich zurück; kaum kann er die Federn, die ihm an den untätigen Armen wuchsen, bewegen. So wird er ein häßlicher Vogel, der Vorbote künftiger Trauer, [550] der scheue Uhu, ein böses Vorzeichen für die Sterblichen.
Er wenigstens scheint seine Strafe mit seiner verräterischen Zunge verdient zu haben; doch woher bekamt ihr, Töchter des Achelous, Flaum und Vogelkrallen, obwohl ihr die Gesichter von Mädchen habt? Etwa deswegen, weil ihr, sangeskundige Sirenen, unter den Gespielinnen wart, [555] als Proserpina Frühlingsblumen pflückte? Nachdem ihr sie vergeblich auf der ganzen Welt gesucht hattet, wünschtet ihr alsbald, über den Wasserfluten auf dem Ruderwerk der Flügel schweben zu können, damit das Meer eure sorgende Liebe spüre. Die Götter waren euch geneigt, [560] und ihr saht, wie eure Glieder von plötzlich gewachsenen Federn gelb wurden. Damit aber jener Wohlklang, der dazu geschaffen ist, dem Ohr zu schmeicheln, und damit solch hohe Sangesgaben nicht ihr Werkzeug, die Zunge, verlieren, blieb euch das mädchenhafte Antlitz und die menschliche Stimme.
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