Bildung statt Fanatismus. Bernd Lederer

Bildung statt Fanatismus - Bernd Lederer


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(z. B. Lesen, Schreiben, Rechnen), aber auch um handwerkliche Befähigungen, vom Schnürsenkelbinden bis zur Nutzung eines Computers. Vor allem aber geht es auch um die Vermittlung zentraler Normen und Werte, um Verhaltensweisen und Umgangsformen, die in einer menschlichen Gemeinschaft und Kultur als wichtig oder gar unverzichtbar erachtet werden, um ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft werden und ein gelingendes, gutes Leben führen zu können. Wie schon angeführt gilt das Erkenntnisinteresse dieses Buches den sozialen und kulturellen, kurzum den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, welche die Entwicklung eines gebildeten Menschen besonders prädestinieren. Es geht also um all jene Faktoren, die eine gefestigte, selbstbewusste, „resiliente“ („widerstandsfähige“, also gegen die Unbilden und Nackenschläge des Lebens gewappnete), selbstbestimmte, prosoziale, vernünftige, tolerante, reflektierte, artikulierte, über viel Wissbegier verfügende Persönlichkeitsstruktur befördern. Entscheidend für diese Zielsetzung ist dann natürlich die im weiteren noch genauer zu erörternde Frage, ob sich die entsprechenden Erziehungsziele zuvorderst an den Normen Gehorsam, Unterordnung und Anpassung an nicht weiter hinterfragbare Normen oder aber an Mündigkeit und Selbständigkeit orientieren sollten. Dies wiederum wirft die Frage nach den angewendeten Methoden der Erziehung, den Erziehungsstilen und -techniken auf.

      Erziehungsstile und -methoden

      Auf das Engste verknüpft mit den Zielen der Erziehung sind die Mittel und Wege, um diese Ziele auch zu erreichen, um sie im Kind auf der Verhaltens- und Wissensebene zu verankern. Es geht also um die je geeigneten und angemessenen Erziehungsstile und -methoden. Diese sind, genauso wenig wie die jeweiligen Erziehungsziele, nie losgelöst von grundsätzlichen Prinzipien und Werten einer Kultur und Gesellschaft zu betrachten. Der Zweck, etwa ein bestimmtes Verhalten, heiligt aus humaner Sicht freilich niemals die Mittel! Andernfalls dürften auch Dressur und Prügel als Erziehungsmethoden zum Einsatz gelangen. Dergleichen ist aber nicht nur zu Recht ein gesetzeswidriger Verstoß gegen die körperliche und seelische Unversehrtheit des Kindes und damit gegen das Kindeswohl als solches. Gewaltausübung im Erziehungsprozess widerspricht auch elementaren Erkenntnissen der Entwicklungspädagogik und -psychologie, wonach verinnerlichte Erfahrungen von Gewalt und Erniedrigung, seien diese körperlich oder seelisch erlitten, sich im späteren Leben reproduzieren, also mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgrund erlernten Verhaltens wieder in Gewalt an Anderen (wie auch sich selbst gegenüber) münden.

      Wie hier ebenfalls noch ausführlich aufgezeigt werden wird, sind Erfahrungen individueller Abwertung, von Abgelehnt-werden, von erfahrenem Hass und Gewalt, eine regelrechte Voraussetzung, um negative Selbstwirksamkeit („Ich schaff das eh nicht“), Minderwertigkeitsgefühle und fehlendes Selbstvertrauen, Misanthropie (generalisierte Menschenfeindlichkeit) und antisoziales Verhalten zu bestärken. Individuelle Kränkungen wie Gewalt und „Kleinmachung“ in der Erziehung (auch schon in den ersten, prägenden Lebensmonaten) wie auch im weiteren Verlauf des Lebens sind der Nährboden für das Entstehen eines schwachen, dennoch, oder vielmehr deshalb, „autoritären Charakters“ bzw. einer „autoritären Persönlichkeit.“7 Gemäß dem Prinzip „nach oben buckeln, nach unten treten“, werden zur Aufwertung des eigenen defizitären Selbstbilds nämlich oft andere, Hierarchieschwächere abgewertet, gar auf sie eingetreten (sei es mit Worten, sei es mit Fäusten). Autoritäten und Hierarchiehöheren gegenüber wird hingegen eine devote Grundhaltung eingenommen, sei es aus Angst und Unterwürfigkeit, sei es, weil man doch selber auch gerne so reich und mächtig wäre, als dies im realen, oft als trostlos und öde empfundenen Leben der Fall ist. Es wurde überdies oft gezeigt, dass Gewalt und extrinsische Motivation (Angst vor negativen Konsequenzen, etwa schlechten Zensuren, Bestrafung etc.) alleine den Lernerfolg und das gewünschte Verhalten zwar kurzfristig zu gewährleisten vermag. Ohne Einsicht in den Nutzen und den höheren Sinn eines bestimmten Verhaltens oder Lernens, ohne echtes Interesse am Lerngegenstand und dementsprechend freiwillige (Pro)Aktivität werden dergleichen Erkenntnisse nie dauerhaft abgespeichert und als Teil der Persönlichkeit verinnerlicht.8 Mit Blick auf das Leitinteresse nach denjenigen Bedingungen einer Erziehung und Sozialisation, die nicht den „Autoritären Charakter“, sondern die reife, mündige, resiliente, selbstbewusste und selbstbestimmte, soziale und solidarische Persönlichkeit herausbilden hilft, ist dementsprechend klar: Gewalt und Angst hat in der Erziehungspraxis keinen Platz, stattdessen hat diese durch Liebe, respektvollen Umgang mit- und Verständnis füreinander geprägt zu sein. Ein autoritärer, mit unbegründeten Verboten und der Unterdrückung kindlicher Bedürfnisse agierender, Gewalt als Mittel akzeptierender Erziehungsstil als das eine Extrem, steht dabei jedoch einem weit weniger schädlichen, indes gleichfalls kritikwürdigen Erziehungsstil als konträrem Extrem gegenüber: dem „Laisser-faire“-Erziehungsstil („Geschehen-lassen“). Hierbei werden dem Kind keinerlei Grenzen gesetzt, dieses kann (bzw. muss!) mithin tun und lassen, was es will. Dergleichen „Anti-Pädagogik“ zeugt aber oft genug nur von einer falsch verstandenen (Pseudo-)Toleranz, die den Respekt gegenüber den zu Erziehenden mit einem in Wirklichkeit vorherrschenden Desinteresse und mit Erziehungsfaulheit, gar Feigheit verwechselt. Zu präferieren ist deshalb vielmehr der sog. „Demokratische Erziehungsstil“ (etwa im Sinne John Deweys), der gewaltfrei und respektvoll, anerkennend und bestärkend funktioniert, sich dabei aber nicht scheut, auch verbindlich Grenzen zu setzen und Verbote auszusprechen. Diese sind aber soweit möglich mit Begründungen versehen und setzen auf gewaltfreie Sanktionen und Einsicht des Kindes. Es ist dies ein erziehungspraktischer Ansatz, der Freiheiten und Handlungsspielräume eröffnet und nicht überbehütend interveniert, so wie die berüchtigten „Helikopter-Eltern“, die stets um ihre Kinder herumschwirren und jedwedes Restrisiko im Alltag zu eliminieren bemüht sind. Jedoch wird gegebenenfalls sehr wohl auch Verzicht und Disziplin eingefordert, um keine verzogenen Narzissten, um keine und rücksichts- und empathielosen „Ichlinge“ heranzuziehen, die glauben, sie wären der Mittelpunkt der Welt und alles hätte sich um sie zu drehen, andernfalls sie schwer beleidigt, gar jähzornig reagieren.9

      3. Sozialisation

      Dasjenige Prozessgeschehen, das sowohl die frühkindliche Prägung als auch die Erziehung des Kindes und des jungen Menschen und zudem alle Einflüsse materieller und immaterieller Art umfasst, die für die Entwicklung der Persönlichkeit im Guten wie im Schlechten relevant sind, wird als die Sozialisation des Menschen bezeichnet. Sie wird in Primär-, Sekundär- und Tertiärsozialisation (Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter) differenziert und umfasst letztlich die gesamte Lebensspanne. Der Sozialisationsforscher Klaus Hurrelmann definiert in seinem „Handbuch der Sozialisationsforschung“ Sozialisation (lateinisch „sociare“‚ „verbinden“) als den „Prozess, durch den in wechselseitiger Interdependenz zwischen der biopsychischen Grundstruktur individueller Akteure und ihrer sozialen und physischen Umwelt relativ dauerhafte Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsdispositionen entstehen.“ Sozialisation steht somit für die Anpassung an gesellschaftliche Denk- und Gefühlsmuster durch die Verinnerlichung sozialer Normen. Sozialisation bezeichnet die Entwicklung der Persönlichkeit im Zuge ihrer jeweiligen Wechselwirkungen mit den jeweiligen materiellen und sozialen Umweltbedingungen. Auch die in diesem Prozessgeschehen entstehenden und sich entwickelnden sozialen Beziehungen und Bindungen sind Teil der Sozialisation des Menschen. Sie umfasst sowohl die absichtsvollen und planvollen Maßnahmen, etwa bewusste Erziehungsmaßnahmen und gezielte Variationen der materiellen und sozialen Umweltrahmenbedingungen, als auch die zahllosen unabsichtlichen und rein zufälligen („kontingenten“) Einwirkungen auf die Persönlichkeit.

      In einer weiteren Definition bestimmt Klaus Hurrelmann Sozialisation als

      „die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen, die sich aus der produktiven Verarbeitung der inneren und äußeren Realität ergibt. Die körperlichen und psychischen Dispositionen und Eigenschaften bilden für einen Menschen die innere Realität, die Gegebenheiten der sozialen und physischen Umwelt die äußere Realität. Die Realitätsverarbeitung ist produktiv, weil ein Mensch sich stets aktiv mit seinem Leben auseinandersetzt und die damit einhergehenden Entwicklungsaufgaben zu bewältigen versucht. Ob die Bewältigung gelingt oder nicht, hängt von den zur Verfügung stehenden personalen und sozialen Ressourcen ab. Durch alle Lebens- und Entwicklungsphasen zieht sich die Anforderung, die persönliche Individuation mit der gesellschaftlichen Integration in Einklang zu bringen, um die Ich-Identität zu sichern.“10

      Das Wechselspiel zwischen gesellschaftlichen, also sozialen, wirtschaftlichen,


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