B'tong. Roland Platte

B'tong - Roland Platte


Скачать книгу
Er hört eine Weile Jakos und Janas regelmäßigen Atem, lächelt und geht weiter auf Zehenspitzen ins Schlafzimmer.

      Die Gardine ist halb zugezogen, das bleiche Mondlicht fällt aufs Bett. Plötzlich fährt er zusammen. Genau im Lichtschein sitzt Sybille im Bett und schaut ihn mit großen, schwarzen Augen an.

      - Sybille?

      - Ja?

      - Bist du wach?

      - Ja, das siehst du doch.

      - Mensch hast du mich erschreckt.

      - Warum denn das?

      - Weil du so komisch da liegst, äh, sitzt, halb wach, halb im Schlaf.

      - Ich bin nicht halb im Schlaf, ich bin ganz wach. Ich habe dich ins Haus kommen hören, du hast versucht, leise zu sein. Sehr liebenswert von dir, dich im Wohnzimmer auszuziehen, aber das hast du nicht wegen mir, sondern eher wegen deines schlechten Gewissens gemacht.

      - Ach Sybille! Wieso das denn. Du übertreibst.

      - Ich übertreibe? Ich bin übrigens so wach, dass ich bis hier riechen kann, dass du einiges getrunken hast, einiges zu viel.

      - Sei doch nicht so streng, heute musste ich feiern!

      - Und deshalb bist du abgehauen? Hättest du das nicht mit uns machen können, mit mir?

      - Hatte ich ja versucht, aber du wolltest ja nichts begreifen. Aber wenn du willst, …

      Carsten schlüpft unter die Bettdecke und robbt sich an sie heran.

      - …können wir das jetzt nachholen.

      - Carsten …

      - Ja?

      - Dein Atem …

      - Was ist mit meinem Atem?

      - Er stinkt! Vielleicht solltest du erst mal deine Zähne putzen gehen.

      - Ach Sybille! Das ist jetzt überhaupt nicht romantisch.

      - Ja, aber dein Atem auch nicht. Was hast du eigentlich getrunken?

      - Naja, zuerst Sekt, dann ein oder zwei Gläser Ouzo.

      - Aha, bei Andros, hab' ich mir's doch gedacht. Und dazu dann diesen schrecklichen Knoblauchquark.

      - Tsatsiki.

      - Meinetwegen. Aber jetzt geht der Tsatsiki ins Bad und macht ein bisschen Mundhygiene. Los geht's!

      Schweren Herzens steht Carsten auf und müht sich ins Bad. Er schaut sich eine Weile im Spiegel an, während er mit der Bürste mechanisch die Links-Rechts, Rechts-Links Bewegungen ausführt. Blondes Haar, blaue Augen, richtig attraktiv, denkt sich Carsten, um die Augen die ersten paar Fältchen, die seinem Gesicht den notwendigen Erfahrungsanstrich verleihen.

      - Woher hast du eigentlich gewusst, dass ich bei Andros war.

      - ---

      - Du hast das gar nicht gewusst, du hast das erraten, nachdem ich "Ouzo" gesagt habe.

      - ---

      - Sybille?

      Er spuckt hastig den Zahnpasta Schaum ins Becken, trocknet sich den Mund und eilt zurück ins Zimmer.

      - Sybille?

      - ---

      Sybille liegt auf dem Rücken, ihre offenen Augen glänzen dunkel im weißen Mondlicht, ihr schlichtes Nachthemd lässt den Blick frei auf ihre schmalen Schultern und nackten Arme, die leblos am Oberköper entlang führen. Ihr Brustkorb mit ihren kleinen Brüstchen hebt und senkt sich regelmäßig. Sie schläft.

      - Scheiße! zischt Carsten, er weiß aus Erfahrung, dass jetzt nichts mehr zu holen ist.

      Er überlegt, es fällt ihm nicht mehr ein. Wann hatten Sie zum letzten Mal etwas miteinander gehabt? Es ist lange her, und soweit er sich erinnern kann, ist es immer sie gewesen, die ihn zurückgewiesen hat. Und jetzt hat sie ihn wieder reingelegt. Sie ist eingeschlafen, während sie ihn zum Zähneputzen geschickt hat. Wenn er jetzt nur mit ihr reden könnte. Wenn er überhaupt nur mit ihr reden könnte! Sie hat immer ein Argument parat, das ihn lahmlegt, oder ein Wort, gegen das er nicht ankommt. Wenn er seine Meinung sagt oder argumentiert, dann fühlt er sich beobachtet wie von einem Lehrer. Er wird immer kleiner, je mehr sie ihn mit ihren großen Augen anschaut. Er legt sich neben sie und sieht sie eine Weile an, schaut dann aber aus dem offenen Fenster in die helle Nacht hinaus. Er muss an seine Kindheit denken, an das Märchen mit Rübezahl. Dieser sollte erst die Rüben auf einem Feld zählen, bevor er die geraubte Prinzessin vernaschen durfte. Wenigstens lautete so das Versprechen der Prinzessin. Nur hatte er sich ein paar Mal vertan und so musste er wieder und wieder die Rüben zählen, 10, 11, 12, 13 … und … Prinzessin… Brunnen…

      7.

      Nachdem die Kinder das Haus verlassen haben und auch Carsten mit seinem 2CV davongerattert ist, sitzt Sybille am Küchentisch und betrachtet die leeren Teller, die Tassen, den Brotkorb, die Zuckerdose. Wo noch vor fünf Minuten Leben und Treiben geherrscht hat, herrscht jetzt einsame Ruhe über dem Küchentisch. Nur in den Dingen, in den Gegenständen steckt noch der Tumult der Kinder, die Stimmer ihres Mannes, als ob diese sich dort hinein verkrochen hätten und jederzeit wieder mit Lärm und Krach hervortreten könnten.

      Warum war sie denn gestern eingeschlafen? Sie kann es sich nicht erklären. Ok, sie hatte ihn weggeschickt zum Zähneputzen. Aber das hilft bei Tsatsiki sowieso nichts. Außerdem hätte sie seinem Atem auch entgehen können. Das kann man irgendwie einrichten. Also nur ein Vorwand, um ihn loszuwerden? Allerdings war sie dann auch richtig eingeschlafen. Sie konnte sich auf jeden Fall nicht an sein Wiederkommen erinnern. War sie also nur einfach müde gewesen? Sie versucht sich Carsten vorzustellen, wie er mit blitzenden Zähnen aus dem Bad wiederkommt und sie schlafend vorfindet. Sie muss grinsen und schaut von Carstens Kaffeetasse weg aus dem Fenster ins Weite. Plötzlich bekommt sie einen Schrecken, der ihr das Grinsen aus dem Gesicht wischt. Sie rechnet nach, aber es stimmt. Es ist jetzt schon länger als ein Jahr her, dass Carsten und sie miteinander Sex hatten! Plötzlich findet sie sich selbst ungeheuerlich. Sie weiß, dass Carsten Sex liebt, wie die meisten Männer.

      Sie ist sich sicher, dass Carsten den Sex, den er haben möchte, auch mit ihr teilen möchte. Warum verweigert sie sich ihm also? Sie liebt ihn doch. Oder nicht? Nicht mehr? Sie ist sich sicher, dass Sie an ihrer Zuneigung zu Carsten nichts verloren hat. Die Ablehnung dem Sex gegenüber kommt ihr mehr wie ein Spiel vor. Sie schafft es immer wieder, sich dem Verlangen zu entziehen, etwas, dass Carsten nicht schafft. Er gibt sich diesem Verlangen widerstandslos hin, auch wenn er es ihr zeigen möchte, dass er widerstehen kann. Sie weiß, dass sie nur den kleinen Finger heben müsste, und er würde sofort …

      Carsten! Sie muss eigentlich immer leicht lächeln, wenn sie an ihn denkt. Sie weiß selbst nicht genau warum. Er ist so völlig anders als sie. Unruhig, nervös, scheinbar sicher, im Grunde genommen völlig unsicher, manchmal denkt sie sogar, dass er ohne Konsistenz ist, dazu ist er dann aber zu intelligent, zu gebildet, gebildet, ohne aber wirklich etwas zu wissen, außer in seinem Fachgebiet natürlich. Da ist er geradezu phänomenal gut. Und das war auch der Grund, warum sie damals nicht mit ihm zusammen studieren wollte. Es hatte schon gereicht, dass sie sich ihm hingegeben hatte, jetzt aber auch noch neben ihm das Mauerblümchen spielen, dazu hatte sie keine Lust gehabt. Und so hatte sie eben Musik gewählt. Da war er out. Draußen. Da hatte sie sich eine Domäne aufgebaut, in die er nicht hineinfinden konnte.

      8.

      Carsten hat die Nacht über schlecht geschlafen. Zuviel Aufregung, zu viel Frust, zu viel Alkohol, zu viel, zu viel. Am Frühstückstisch hat er noch versucht, den aufmerksamen Familienvater zu spielen, sich zu zwingen, an die Kinder ein paar nette Worte zu richten, hat jedoch jedes Mal nur das fürchterliche Geräusch geschlürfter Cornflakes geerntet. Und Sybille völlig abwesend, was ihn noch fahriger hat werden lassen.

      Schließlich hat er aufgegeben, sich in seinen 2CV geflüchtet und ist in sein Labor gefahren.

      Eifrig baut er jetzt Reagenzgläser, Kolben und das Gestänge seiner Laboranlage ab. Es muss jetzt schnell gehen.


Скачать книгу