Timmerbergs Single-ABC. Helge Timmerberg

Timmerbergs Single-ABC - Helge Timmerberg


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– wie Allein ist nicht einsam

      Es ist ein wunderschöner Tag. Ich fahre mit dem Rad durch den Park, aber eigentlich fahre ich durch das Paradies. Die Menschen haben sich wie Blumen angezogen, und die Sonne scheint einem Goldschmied zu gehören. Auf den Bänken sitzen junge Mütter mit langen offenen Haaren vor ihren Kinderwagen, Männer werfen Kugeln durch den Schatten, so wie sie es in Südfrankreich machen, Hunde, vollgepumpt mit Liebe, rasen im Kreis, um nicht vor Glück zu platzen. Mädchen lachen. Dazu die Farbe Grün, ich kann mich nicht satt daran sehen, ich trinke sie mit den Augen wie Medizin. Grün ist antidepressiv. Gott, ist das schön, denke ich, und wie schön wäre es, jetzt zu zweit durch den Park zu fahren. Wer so denkt, ist nicht einsam. Wer so denkt, ist allein. Das ist durchaus ein Unterschied. Der Einsame fährt auch durch den Park, ein bisschen später vielleicht, weil er zu Haus mit Zweifeln rang? Wohin soll er fahren, zu wem? Er kennt doch niemanden in dieser Stadt. Macht es Sinn, ziellos zu fahren oder immer im Kreis? Er hat ein bisschen länger nachgedacht, und das brachte ihn ein bisschen später aufs Rad, ansonsten scheint bei ihm alles dasselbe zu sein wie bei Mr. Allein. Er sieht dasselbe, hört dasselbe, riecht dasselbe, aber was er fühlt, ist nicht dasselbe. Das Glück der Paare schmerzt ihn, das Lachen der Kinder beschämt ihn, und der Anblick türkischer Großfamilien, die wie Karawanen auf den Wiesen lagern, stürzt ihn noch tiefer in die Isolation. Er ist so weit entfernt davon. Er ist 2 000 light-years away from home, um es mal mit Mick Jagger zu sagen. Er ist ein Rolling Stone, ein Stein, der irgendwo hinunterrollt, um irgendwo liegen zu bleiben. Er hat schon lange nicht mehr geküsst. Er hat schon ewig keine Geborgenheit erfahren. Und wenn er sich nun ebenfalls wünscht, zu zweit durch den Park zu fahren, dann wünscht er sich das nicht, um das Glück zu teilen. Bei ihm steht die Teilung von Unglück zur Disposition. Mr. Einsam ist kein freiwilliger Single. Wie Mr. Allein. Und das Komische daran: Beide wohnen bei mir. Und teilen sich ein Rad.

      B – wie Braver Single

      Ich hänge Hemden auf Bügel. Ich hänge T-Shirts auf Bügel. Ich falte Hosen und hänge sie ebenfalls auf. Und die Bügel habe ich selbst gekauft. Es macht mir Freude, der zu sein, der ich niemals sein wollte, mehr noch, Friede breitet sich aus. Ordnung ist Harmonie und Harmonie ist Schönheit und die ist ein immer gern gesehener Gast, sie kann auch gern für länger bleiben. Ich habe nicht immer so gedacht. In Freundeskreisen genieße ich eine gewisse Berühmtheit für das genau gegenteilige Verhalten. Sie haben es mir noch nie ins Gesicht gesagt, ich habe es über Umwege erfahren. Wer immer mit mir zusammenlebte, sei es Zuhause oder auf Reisen, bezeichnet mich als Schwein. Lustig, aber Schwein. Da ist wohl etwas in der Erziehung nicht optimal gelaufen, was soll man machen, außerdem hat er Qualitäten, die balancieren sein kleinkindhaftes – oder sollte man sagen kleintierhaftes – Verhalten wieder aus. Und wenn die Leute, die so sprachen, mich heute besuchen, fühlen sie sich verarscht. Ich kann es ihnen auch nicht erklären, ich wundere mich ja selbst. Am Kleiderständer, in der Küche, sogar in Bad und Toilette bin ich ein anderer Mensch. Ich pinkle nicht mehr im Stehen, wenn ich Single bin. No woman, no cry. Keine Frau, kein Kampf. Wenn niemand da ist, der mich domestizieren will, bin ich plötzlich stubenrein. Dasselbe gilt für Exzesse. Alle wilden Träume vom Alleinsein wurden in eine Kiste mit der Aufschrift „Möglichkeiten“ verpackt. Ich weiß gar nicht, was mich mehr anmacht. Die Freiheit, mir jederzeit die Kante zu geben? Oder die Freiheit, es zu lassen? Ich versuche, es buddhistisch anzupacken. Der Weg der Mitte. Bier ja, Wein nein. Weil Wein allein traurig macht. Bier dagegen macht nur satt. Jeden Abend, wenn ich mit der Arbeit fertig bin, nehme ich mir eine Flasche Bier und meditier. Aus dem Fenster hinaus oder auf eines der Filmplakate in meinem Arbeitsraum. Links von mir hängt Tom Cruise als Samurai, hinter mir ist Klaus Kinski, und sehe ich nach vorn, lädt mich die Raufasertapete zu Exkursionen durch das WEISS. Man sagt, dass im Weiß alle Farben enthalten sind, alle Gedanken, alle Träume, alle Wege. Im Spiegel siehst du dein Gesicht, in der Raufasertapete siehst du deine Seele, und bevor die Sache peinlich wird, schläft man ein. Braver Single. Gebranntes Kind. Als ich das letzte Mal böse war, fand ich am nächsten Morgen meine Unterwäsche VOR der Wohnungstür. Ich will sie nicht irgendwann auf der Straße finden oder den Taxifahrer fragen, ob ich mich schon während der Heimfahrt ausgezogen habe. Den Kopf verlieren solltest du nur, wenn einer da ist, der ihn dir hinterherträgt. Dasselbe gilt für verlorene Wäsche. Allein muss man vorsichtig sein.

      C – wie Carte blanche

      Ich kann so lange arbeiten, wie ich will. Ich kann ewig aus dem Fenster schauen. Ich kann morgen nach Istanbul ziehen, wenn es der Beruf verlangt. In einer Zeit, die Flexibilität verlangt, habe ich die besten Karten. Ich schweige, wenn ich schweigen will, ich gehe einfach nur so durch die Straßen. Ich bin, wie ich bin. Und immer war. Als Spross berufstätiger Eltern wuchs ich bis zu meinem siebten Lebensjahr bei meinen Großeltern auf, ab dann verlief meine Kindheit mehr oder weniger allein. Ich fand das nicht schlimm. Ich fand das klasse. Ich schwänzte die Schule, um Eichhörnchen zu füttern, ich stellte im Wohnzimmer Schlachten zwischen Römern und Germanen nach, ich schoss mit einer Erbsenpistole durch das Fenster auf Hunde und Passanten. Ich hatte unbeschränkte Vollmachten, und wer schon als Kind die Carte blanche gezogen und als Geschenk empfunden hat, akzeptiert später kein anderes Blatt mehr. Es sei denn, man ist der unbegrenzten Möglichkeiten müde, es sei denn, man hat genug gesehen. Dann setzt man neue Prämissen. Liebe ist eine Prämisse, Geld auch, ebenso Friede, Ruhm und Sicherheit. Aber was zählt das gegen die Freiheit? Mir ist es immer nur um Freiheit gegangen. Trotzdem: Es bleiben Fragen. Zum Beispiel die, ob es Freiheit überhaupt gibt. Ich kenne eigentlich alle griechischen Göttinnen bei Namen. Die Göttin der Weisheit (Athene), die Göttin der Schönheit (Aphrodite), die Göttin der Zwietracht (Eris), aber die Göttin der Freiheit kenne ich nicht. Habe ich nicht aufgepasst? Oder existiert sie nicht? Dann hätte ich umsonst alle diese Opfer dargebracht. All diese Arbeit, dieses Kämpfen, dieses Verlassen. Lebenslange Plackerei für nichts? Freiheit von der Freiheit fällt mir dazu ein. In den Knast, um endlich Ruhe zu haben. Aber wahrscheinlich habe ich nur ihren Namen vergessen. Es kann einfach nicht sein, dass es im Olymp keine Göttin der Freiheit von Verabredungen und Beziehungsriten gibt. Und wenn es doch so ist, müssen wir eine erschaffen. Wir brauchen eine Madonna der Singles. Eine Schutzheilige der unbegrenzten Vollmachten. Eine Gebietsvertreterin der Carte blanche. Um was zu machen? Ich sag’s mal so: Ich träumte vor Jahren von einem sehr schnellen, schönen Auto. Im Traum sah ich mich darin jedes Wochenende nach Amsterdam fahren. Ich wachte aus dem Traum erst wieder auf, nachdem ich das Auto gekauft hatte und nur noch im Stau stand. Analog dazu sehe ich mich mit der Freiheit des Singles meistens auch nur den Abwasch machen.

      D – wie Date

      Gerhard rief an. Wir redeten ein bisschen. Mir fiel auf, dass seine Stimme dynamischer war als sonst, ebenso die Verwegenheit seiner Pointen. Und sein Lachen war fast unheimlich. Verwechselte er mich mit jemandem? Ich fragte ihn, ob er auf ein Bier vorbeikommen wolle. O.k., sagte er, ich schau mal kurz rein. So für fünf Minuten. Na gut, sagen wir zehn. „Was ist denn da los?“, dachte ich. Als Gerhard dann in der Tür stand, stellte ich fest, dass er auch optisch etwas anders unterwegs war als sonst. Akkurater. Bei ihm ist immer alles sehr akkurat, gebügelt und auf Draht, aber das hier war akkurat bis in die Poren. Rasierwasser, Achsel-Deo, mehrere Tropfen Männerparfüm, plus ein eigenartiges Strahlen, ein Licht, das von unten kam, und als er im Sofa Platz genommen hatte, sah ich, dass es seine Schuhe waren. Seine Schuhe strahlten. Ich möchte fast sagen, außerirdisch. „Du hast ein Date“, sagte ich. Er nickte. Leider sei er nicht mehr ganz in Übung. Womit? Mit den Vorbereitungen. Sie hatten sich gestern verabredet, das heißt, er hatte 24 Stunden, um alles richtig zu machen. Er ist früh zu Bett gegangen, er hat den Tag mit einer Meditation begonnen, dann hat er Kung Fu trainiert, Streckübungen, Dehnen, auch kleine Spaziergänge um den Block. „Ich habe alles getan, um mich zu entspannen“, sagte Gerhard, „und jetzt bin ich total unentspannt.“ Ich bot ihm ein Bier an, aber er lehnte ab, weil man vor dem Date nicht trinken soll. „Aha“, sagte ich. Ich ging in die Küche, um das Bier zu holen, und dachte nach. Man darf vor dem Date nicht trinken. Man darf vor dem Date keinen Knoblauch essen. Man darf vor dem Date nicht onanieren. Was noch? Als ich zurückkam, wusste ich es. „Sag mal, Gerhard,


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