Auferstehung. Лев Толстой

Auferstehung - Лев Толстой


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kurzer Beratung kehrten die drei Richter in den Saal zurück, und der Präsident verlas das Urteil, das folgendermaßen begann:

      »Am 28. April 188.. verurteilte die Kriminalabteilung des Bezirksgerichtes von N.... unter der Mitwirkung von Geschworenen auf Befehl Seiner Kaiserlichen Majestät den Bauer Simon Kartymkin, 34 Jahre alt, und die Bürgerin Katharina Maslow, 27 Jahre alt, zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte sowie zur Verschickung zur Zwangsarbeit, und zwar Kartymkin auf die Dauer von acht Jahren und die Maslow auf die Dauer von vier Jahren, auf Grund des Artikels 23 des Strafgesetzbuches. Das Gericht verurteilt ferner die Bürgerin Euphemia Botschkoff, 43 Jahre alt, zum Verlust der persönlichen Rechte und zu einer Einschließung von drei Jahren auf Grund des Paragraph 48 des Strafgesetzbuches. Ferner verurteilt es die drei Angeklagten zur Tragung der Kosten, doch fallen dieselben, wenn die Angeklagten zahlungsunfähig sind, der Staatskasse anheim.« Das Urteil bestimmte ferner, daß der Ring den Erben des Kaufmanns Smjelkoff zugestellt, und die übrigen Beweisstücke verkauft oder vernichtet werden sollten.

      Als Simon Kartymkin dieses Urteil hörte, drehte er sich hin und her, fuhr mit den Händen an den Nähten seiner Hose entlang und bewegte die Lippen. Die Botschkoff blieb unbeweglich, während Katharina Maslow plötzlich purpurrot geworden war.

      »Ich bin nicht schuldig,« rief sie, sobald der Präsident die Verlesung beendet hatte. »Ich bin nicht schuldig, ich schwöre es. Ich habe ihn nicht töten wollen, ich habe gar nicht daran gedacht; ich spreche die Wahrheit, die reine Wahrheit.«

      Diese wenigen Worte hatte sie mit solcher Kraft herausgeschrieen, daß der ganze Saal sie hörte. Dann ließ sie sich auf ihre Bank zurückfallen, bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und brach in lautes Schluchzen aus.

      Als Simon und Euphemia sich erhoben, um hinauszugehen, blieb sie noch immer schluchzend sitzen, und einer der Gendarmen mußte sie beim Arm packen, um sie zum Aufstehen zu bringen.

      »Nein, man darf die Sache nicht so hingehen lassen, sagte sich Nechludoff, der den bösen Gedanken, den er noch vor wenigen Minuten gehabt, vollständig vergessen hatte. Ohne nachzudenken, von einem unwiderstehlichen Triebe bewegt, stürzte er nach dem Gange, um das junge Weib, das man eben fortführte, noch einmal zu sehen.

      Vor der Thür drängte sich die Menge der Geschworenen und Advokaten schwatzend und gestikulierend, so daß Nechludoff ziemlich lange warten mußte, bevor er den Saal verlassen konnte. Als er sich endlich im Gange befand, war die Maslow schon ziemlich weit entfernt. Er lief auf sie zu, ohne sich darum zu kümmern, daß er Aufsehen erregte und blieb erst stehen, als er sie erreicht hatte. Sie weinte nicht mehr, doch ein heftiges Schluchzen hob zeitweise ihre Brust, während sie mit ihrem Kopftuch die Schweißtropfen abtrocknete, die ihr über die Wangen liefen. Sie ging an Nechludoff vorüber, ohne ihn anzusehen, und auch er machte keinerlei Bewegung, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Er ließ sie an sich vorübergehen, und trat wieder in den Gang zurück, um sich auf die Suche nach dem Gerichtspräsidenten zu machen, der sich schon in der Portierloge befand, und eben fortgehen wollte. Er zog gerade einen eleganten Sommerüberzieher an, während der Portier ihm ehrerbietig einen Stock mit silbernem Knopf reichte.

      »Herr Präsident,« sagte Nechludoff zu ihm, »kann ich Sie einen Augenblick sprechen? Es ist wegen der eben abgeurteilten Sache, ich gehöre zu den Geschworenen.«

      »Aber gewiß! Fürst Nechludoff, nicht wahr? Freue mich, Sie begrüßen zu dürfen,« sagte der Präsident und schüttelte ihm die Hände.

      Er erinnerte sich mit lebhafter Genugthuung des Balles, auf dem er mit größerem Eifer und Schneid als alle jungen Leute getanzt hatte.

      »Womit kann ich Ihnen dienen?«

      »Es liegt bei unserer Antwort, die Maslow betreffend, ein Mißverständnis vor! Sie ist an dem Giftmord unschuldig und doch zur Zwangsarbeit verurteilt worden!« sagte Nechludoff, dessen Gesicht sich plötzlich verdüstert hatte.

      »Aber auf Ihre Antworten hin haben wir doch das Urteil gefällt,« sagte der Präsident, auf die Thür zuschreitend, »und wir haben diese Antworten selber ziemlich verworren gefunden.«

      Der Präsident erinnerte sich plötzlich, daß er in seiner Rede den Geschworenen hatte erklären wollen, wie sie ihren Vorbehalt, im Falle ein solcher zu machen war, zu formulieren hatten; dann fiel ihm ein, daß er, um Zeit zu sparen, auf diesen Teil seiner Erklärung verzichtet hatte. Doch er hütete sich wohl, Nechludoff darüber etwas zu sagen.

      »Es liegt ein Irrtum vor,« fuhr Nechludoff fort, »könnte man diesen Irrtum nicht wieder gut machen?

      »Gründe zur Annullierung lassen sich immer finden, wenden Sie sich an einen Advokaten,« sagte der Präsident und ging wieder auf die Thür zu.

      »Aber das ist ja entsetzlich...«

      »Sehen Sie, es gab für uns nur zwei Lösungen...«

      Der Präsident schwankte offenbar zwischen seinem Wunsch, Nechludoff angenehm zu sein, und der Furcht, zu spät zu seinem Rendevouz zu kommen. Er strich seinen Backenbart über die beiden Aufschläge seines Ueberziehers, ergriff Nechludoffs Arm, zog ihn zur Thür und fragte:

      »Wollen wir gehen?«

      »Gewiß,« versetzte Nechludoff, zog schnell seinen Mantel an und ging mit dem Präsidenten hinaus. Draußen schien die Sonne in heiterem Glanze, in den Straßen herrschte Leben und Bewegung. Der Präsident mußte wegen des Wagengerassels auf dem Pflaster die Stimme erheben.

      »Sehen Sie,« fuhr er fort; »die Situation ist sehr einfach. Wie ich Ihnen sagte, gab es in diesem Falle nur zwei Lösungen. Entweder konnte dieses Geschöpf, diese Maslow, sozusagen freigesprochen, das heißt einfach zu einigen Monaten Haft verurteilt werden und ihr die Untersuchungshaft in Abzug gebracht werden, wodurch die Strafe völlig unbedeutend wurde, oder es stand für sie die Zwangsarbeit auf dem Spiel. Wir mußten uns für eine der beiden Lagen entscheiden, und unsere Wahl hing von Ihrer Fragebeantwortung ab.«

      »Ich habe nicht an die Einschränkung gedacht, die unserm Gedanken Worte geliehen hätte; es ist unentschuldbar, daß ich nicht daran gedacht habe!« sagte Nechludoff.

      »Na, darauf beruht alles!« versetzte der Präsident lächelnd, zog seine Uhr heraus und sah nach, wie spät es war. Er konnte bei seiner Klara kaum noch drei kleine Viertelstunden bleiben.

      »Wenn Sie wollen, wenden Sie sich doch an einen Advokaten! Es handelt sich nur darum, einen Grund zur Annullierung zu finden, und dieser Grund findet sich immer!« wiederholte der Präsident.

      »Hotel d'Italie!« rief er einem vorüberfahrenden Fiaker zu. »Dreißig Kopeken für die Fahrt! Das zahle ich stets!«

      »Steigen Ew. Exzellenz nur ein!«

      »Ich empfehle mich,« fügte der Präsident zu Nechludoff, wahrend er sich verabschiedete, »Und wenn ich Ihnen irgendwie dienlich sein kann: Haus Dwornikoff, in der Dworianskajastraße; das ist leicht zu merken!«

      Damit entfernte er sich, nachdem er Nechludoff zum letztenmale zugenickt.

      Die Unterhaltung mit dem Gerichtspräsidenten, und auch die frische Luft hatte Nechludoff ein bißchen beruhigt. Er sagte sich, die außergewöhnliche Erregung, die er empfunden, hinge mit seiner Abspannung zusammen, und die ungewöhnlichen Verhältnisse, in denen er sich seit heute morgen befand, mußten wohl dazu beigetragen haben, dieselbe noch zu verstärken. »Aber es ist doch ein unglaubliches Zusammentreffen!« dachte er. »Ich muß mein Möglichstes thun, um das Schicksal dieser Unglücklichen zu lindern, und zwar so schnell wie möglich! Und jetzt will ich, da ich gerade hier bin, die Gelegenheit benutzen, um mich


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