Post mortem. Amalia Zeichnerin

Post mortem - Amalia Zeichnerin


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       Post Mortem

      Ein viktorianischer Krimi

      mit Mrs und Mr Fox

      von

      Amalia Zeichnerin

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      Inhalt

       Kapitel 1 – CLARENCE Dienstag, 29. Oktober 1878

       Kapitel 2 – MABEL

       Kapitel 3 – CLARENCE

       Kapitel 4 – MABEL Donnerstag, 31. Oktober 1878

       Kapitel 5 – MABEL Freitag, 8. November 1878

       Kapitel 6 – CLARENCE

       Kapitel 7 – MABEL

       Kapitel 8 – CLARENCE Sonnabend, 30. November 1878

       Kapitel 9 – MABEL

       Kapitel 10 – CLARENCE Montag, 9. Dezember 1878

       Kapitel 11 – MABEL Dienstag, 10. Dezember 1878

       Kapitel 12 – CLARENCE Montag, 23. Dezember 1878

       Kapitel 13 – MABEL Mittwoch, 25. Dezember 1878

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       Kapitel 1 – CLARENCE

       Dienstag, 29. Oktober 1878

      Clarence Fox schüttelte das Glas mit der Kollodium-Lösung, die er für seine Nassplattenfotografie benötigte, und sah sich in seinem Atelier um. Die Einrichtung war in verschiedenen Brauntönen gehalten, bewusst schlicht, aber gepflegt. Das dunkle Nussbaumholz der wenigen Möbel glänzte, hier lag kein Staubkorn zu viel. Schließlich wollte er bei seiner Kundschaft einen guten Eindruck erwecken. Außerdem sollten sie sich in seinem Geschäft wohlfühlen und es weiterempfehlen.

      Nachdenklich warf Clarence einen Blick aus einem der beiden Fenster seines Ateliers, während er das Glas weiter schüttelte. Tropfen prasselten gegen die Scheiben. Sie glänzten im Lichtschein, der aus dem Nachbarhaus drang, wie goldene Fäden, die quer über das Glas liefen. Ein Mann in einem langen Mantel eilte vorbei, den Zylinder leicht schräg auf dem Kopf. Dessen Gestalt hob sich dunkel vor dem Grau des trüben, verregneten Oktobertages ab.

      An den Wänden seines Ateliers hingen einige gerahmte Abbildungen aus den letzten Jahren, die potenziellen Kundinnen und Kunden als Anschauungsmaterial seiner Kunst dienen konnten. Ein warmes Gefühl durchzog seine Brust; er war stolz auf das, was er und sein Vater, in dessen Fußstapfen er getreten war, hier erreicht hatten. Die Fotografie war für sie beide eine eigene Kunstform. Vor einigen Jahren, als die Sehkraft seines alten Herrn nachzulassen begonnen hatte begann, hatte Clarence das Atelier von ihm übernommen.

      Jeremiah Fox hatte seinerzeit mit Daguerreotypien begonnen – ein viel aufwendigeres Verfahren als die Kollodium-Nassplatte, mit deren Hilfe sich auch relativ einfach Albuminpapierabzüge herstellen ließen. Als Clarence noch ein Jugendlicher gewesen war, hatte sein Vater ihm einen Artikel im Magazin »The Chemist« gezeigt, in dem dieses neue Verfahren von einem gewissen Frederick Scott Archer vorgestellt wurde. Eine Innovation, die sich schließlich durchsetzen sollte.

      Auf einer Schiefertafel, die an sonnigen Tagen draußen neben dem Eingang hing, hatte Clarence seine Preise mit Kreide aufgelistet. An solch regnerischen Tagen wie diesem hängte er die Tafel innen neben die Eingangstür. Manche Kunden verlegten sich gern aufs Feilschen, aber Clarence waren feste Preise lieber. Das war auch viel einfacher für die Buchhaltung, bei der ihm sein Sohn Theodor gelegentlich half.

      Das Glöckchen an der Eingangstür läutete und im nächsten Moment betrat eine junge Frau das Atelier. Clarence stellte die Kollodium-Lösung ab und trat auf die Dame zu. Sie war noch jung, ungefähr im Alter seiner Tochter Adelia, und wirkte wie das blühende Leben: mit einem rosigen Teint und rotblondem Haar, das an den Seiten unter ihrem blaugrauen Hut hervorschaute. Wache Augen blickten ihm entgegen. Die Dame trug einen fast bodenlangen blauen Mantel mit einem leichten Violettschimmer, der hervorragend zu ihrer Haarfarbe passte. Dazu schwarze Handschuhe aus feinem Wildleder und eine dunkelblaue Handtasche, die sie sich über den Unterarm gehängt hatte. Ihr Rock bauschte sich modisch auf der Rückseite, wie die Damen es dieser Tage trugen, war aber nicht übermäßig voluminös, denn das war eher festlichen Abendgarderoben vorbehalten.

      »Guten Tag, Mr Fox«, begrüßte sie ihn mit einem höflichen Lächeln. »Ich bin eine Bekannte Ihrer Gattin, mein Name ist Pauline Westray.« Sie hatte eine helle, melodische Stimme und artikulierte ihre Worte sehr genau. So genau, dass er ihren Akzent nur schwer einordnen konnte. Auch angesichts ihrer Kleidung vermutete er, dass sie der Mittelschicht entstammte, aber ob es eher die untere, die mittlere oder die gehobene war, konnte er auf Anhieb nicht benennen.

      Seine Ehefrau Mabel hatte einmal eine junge Sängerin mit diesem Namen erwähnt.

      Er schenkte der Dame ein ebenso höfliches Lächeln. »Es freut mich, Sie kennenzulernen. Was kann ich für Sie tun?«

      »Ich möchte mich gern am Royalen Opernhaus als Chorsängerin bewerben. Dafür benötige ich eine Abbildung meiner Person – auf Papier. Ihre Frau hat mir von Ihrem Atelier erzählt, deshalb bin ich hierhergekommen.«

      Clarence nickte erfreut. Mabel hatte, wie er selbst, einen großen Bekanntenkreis, angefangen bei Leuten aus der Kirchengemeinde über die Nachbarinnen – darunter zwei reizende ältere Damen – bis hin zu alten Freundinnen, die sie schon fast ihr halbes Leben lang kannte. Sie empfahl das Fotoatelier bei jeder sich bietenden Gelegenheit weiter und hin und wieder hatte ihm das Aufträge beschert. Es fiel ihm gelegentlich schwer, sich all die Namen zu merken, wenn seine Frau ihm von ihren zahlreichen Bekanntschaften erzählte. Mit Gesichtern war es anders – Clarence vergaß nie ein Gesicht, wenn er es einmal gesehen hatte. Er hatte allerdings des Öfteren Schwierigkeiten einzuordnen, wo er jemanden, den er wiedererkannte, schon einmal gesehen hatte.

      »Sehr gern, Miss Westray.« Er nannte ihr den Preis für eine solche Abbildung.

      Sie nickte ihm zu. »Das ist mir recht.«

      »Gut. Darf ich Ihnen aus dem Mantel helfen?«, sagte er mit einem Fingerzeig in Richtung des Garderobenständers aus dunklem Nussholz in der Ecke. Als er sich ihr näherte, nahm er einen schwachen Parfümduft wahr. Rose und ein Hauch Sandelholz, Letzteres vielleicht aus der indischen Kolonie. Exotische Parfüms waren sehr beliebt bei den Damen, das wusste er von seiner Frau. Allerdings waren diese auch sehr kostspielig. Vermutlich stammte Miss Westray aus der gehobenen Mittelschicht. Ihre Kleidung ließ das zumindest vermuten. Aber das ging ihn nichts an, deshalb verscheuchte er diesen Gedanken.

      Auch den Hut und die Handschuhe legte sie ab. Sie trug keinen Ring, war also weder verlobt noch verheiratet. Das hätte ihn auch gewundert, schließlich schickte es sich für verheiratete Damen aus der Mittelschicht


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