Ein MORDs-Team - Der komplette Fall Marietta King. Andreas Suchanek

Ein MORDs-Team - Der komplette Fall Marietta King - Andreas Suchanek


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seufzte.

      Danielle hatte bereits angekündigt, dass sie morgen noch einmal vorbeischauen wollte. Sie freute sich darauf, das Kind wiederzusehen, mit ihr zu plaudern und vielleicht ein wenig Schach zu spielen. Bei einer solchen Partie rauchten die Köpfe und die Lebensgeister kehrten zurück.

      Es machte Elisabeth traurig, dass Danielle nun in diesem großen kalten Haus alleine war. Natürlich wusste sie, warum das Heim sie eines Tages abgeholt hatte. In einer Blitzaktion war Danielles Vater sie losgeworden, weil Elisabeth sich eben nicht seinen Regeln hatte unterwerfen wollen.

      Shannon war zu schwach, als dass sie sich durchsetzen konnte. Und Danielle? In Elisabeths Enkelin brannte ein Feuer, so viel war klar. Doch wusste sie bereits um ihre eigene Stärke?

      Ein Poltern aus dem Nebenzimmer erklang.

      Elisabeth schloss die Augen. Nicht nur, dass ihr Körper scheinbar genug davon hatte zu schlafen, sie war derart hellwach, dass sie jedes Geräusch hörte. Dabei war ihr direkter Nachbar normalerweise ein ganz Stiller.

      Nur einmal hatte sie kurz mit ihm gesprochen. Natürlich hatte sie ihn erkannt. Der ehemalige Direktor der Barrington Cove High, wo Shannon zur Schule gegangen war, hatte damals intensiven Kontakt zur Familie gehalten, nachdem die beste Freundin von Shannon, Marietta, eines so grässlichen Todes gestorben war.

      Elisabeth hatte das Bild gesehen, das am Tatort aufgenommen worden war. Allein der Gedanke, dass ihr kleines Töchterchen ebenfalls dort gewesen war – was nicht alles hätte passieren können! –, hatte ihr damals beinahe eine Ohnmacht beschert. Doch Shannon war stark gewesen. Sie hatte sich nicht unterkriegen lassen, war ihrem Stern gefolgt, bis … ja, bis zu jenem Tag, als sich alles veränderte.

      Abermals riss ein Poltern sie aus den Gedanken.

      Wütend donnerte Elisabeth mit der Faust gegen die Wand. »Ich versuche hier zu schlafen!«

      Scheinbar besaß der alte Zausel noch so etwas wie Anstand. Der Lärm endete.

      »Na also, geht doch.«

      Sie drehte sich zur Seite und versank erneut in Gedanken.

      Auf der anderen Seite der Wand streckte der Direktor zitternd die Hand aus, als könne er seine Nachbarin alleine dadurch auf das Grauen aufmerksam machen, das er gerade durchleiden musste.

      Die Schlinge um seinen Hals saß fest.

      »Warum haben Sie das getan, hm?«, erklang ein Flüstern neben seinem linken Ohr. »All die Jahre haben Sie geschwiegen und es ging Ihnen gut damit.«

      Er wollte antworten, doch die Schlinge verhinderte, dass ein Ton seinen Hals verließ. Die Luft wurde knapp, rote Punkte führten einen grausamen Reigen vor seinen Augen auf.

      »Mussten Sie unbedingt den Priester anrufen?«, hauchte die Stimme. »Und dachten Sie tatsächlich, dass ich das nicht bemerke? Oh ja, Direktor, ich habe Sie niemals aus den Augen gelassen. Seit damals, seit jener Nacht, als es geschehen ist.«

      Die Schlinge wurde noch fester zugezogen. Der Direktor versuchte sie zu lösen, doch seine Finger kamen einfach nicht unter den hauchdünnen Draht. Er strampelte, ging zu Boden.

      Sein Peiniger aber wich keinen Deut zur Seite.

      Tränen lösten sich aus seinen Augenwinkeln. Er bereute längst, was er damals getan hatte. Zuerst war es der Schock gewesen, dann die Panik und schließlich Kalkül. Die Schülerin war schließlich tot, was brachte es schon, wenn er den Mörder offenbarte – nichts. Stattdessen hatte er dafür gesorgt, dass sein Schweigen entlohnt wurde. Die Super-8-Aufnahme war sicher verwahrt, war es bis heute. Leider wusste außer ihm niemand, wo sie sich befand. Damit war der letzte Beweis, der den Mörder überführen konnte, für alle Zeit begraben.

      Mittlerweile fraß der Krebs sich durch die Eingeweide des Direktors, und vor dem letzten Atemzug hatte er sein Gewissen einem Priester gegenüber erleichtern wollen. Das Telefonat war heute Mittag erfolgt, morgen früh hätte die Beichte abgenommen werden sollen.

      »Marietta King ist tot«, zischte die Stimme hasserfüllt. »Tot, verdammt noch eins. Es war notwendig, wissen Sie. Genau wie ihr Ableben es nun ist, Herr Direktor. Sie sind der Letzte, der die Wahrheit kennt. Der Letzte in einer langen Linie. Ich hoffe, es ist Ihnen ein Trost, dass Ihr Tod die Geschichte beendet.« Ein weiterer Ruck.

      Blutrote Schlieren liefen über sein Gesicht, alles verschwamm. Beinahe hatte er das Gefühl, dass der hauchdünne Draht Haut, Fleisch und Knochen durchschnitt. Das also war die Strafe für sein Schweigen.

      »Ruhen Sie in Frieden, Direktor«, erklang die Stimme ein letztes Mal. »Und grüßen Sie mir Marietta.«

      Dann verschwand die Umgebung und der Direktor fiel in ewige Schwärze.

      *

      Zu viert standen sie da und warteten. Direkt gegenüber drang grelles Neonlicht aus den Fenstern der Sheriffstation.

      Harrison konnte noch immer keinen klaren Gedanken fassen. Die anderen hatten ihm in wenigen Worten berichtet, was vorgefallen war, doch die Worte ergaben einfach keinen Sinn. Noch immer wartete er darauf, dass Marietta um die Ecke sprang, über beide Ohren grinsend, und sie ihm enthüllten, dass alles ein Scherz gewesen war.

      Billy blutete aus einer Kopfwunde, Shannon lag weinend in den Armen von Jamie. Der wiederum sah aus, als wäre er einem Gespenst begegnet und zitterte. Sein Gesicht war kreidebleich und er murmelte leise etwas vor sich hin. Trotzdem versuchte er, Shannon Trost zu spenden, was Harrison ihm hoch anrechnete.

      Nachdem seine Freunde ihn über das Funkgerät zur Flucht aufgefordert hatten, war Harrison gerannt, als wäre der Teufel hinter ihm her gewesen. Im Wald angekommen, standen Billy, Shannon und Jamie neben einer dicken Eiche und wirkten völlig verloren.

      Als sie ihm sagten, was geschehen war, dass jemand Marietta getötet hatte, war er in einen Schockzustand gefallen. Zumindest glaubte er das. Die weiteren Geschehnisse waren mechanisch erfolgt.

      Von der nächsten Telefonzelle hatte er seinen Vater angerufen und stockend berichtet, was geschehen war.

      Jetzt standen sie hier und warteten.

      Minuten später kam sein Dad herbeigeeilt, die Aktentasche in der rechten Hand. »Um Gottes Willen, Harrison.«

      Er umarmte ihn stürmisch. Obwohl Harrison das eigentlich nicht mochte, tat es ihm heute gut. Er fühlte sich so leer und allein.

      »Seid ihr in Ordnung?«, fragte Dad an die anderen gewandt. »Was ist das an deiner Stirn, Billy, du blutest.«

      »Nur eine Platzwunde«, sagte der Freund stockend.

      Harrisons Dad wirkte völlig aufgelöst, versuchte aber, die Ruhe zu bewahren. »Ich habe bereits auf dem Sheriff-Department angerufen und erzählt, was geschehen ist. So richtig wollte man mir wohl nicht glauben, doch das wird sich ändern. Ein Streifenwagen wurde bereits zu eurer Schule geschickt. Sobald man Marietta dort findet, wird die Hölle los sein. Die Presse wird sich auf euch stürzen.«

      Shannon schluchzte auf.

      »Ich habe bereits meine Kontakte spielen lassen. Der Staatsanwalt und der Bürgermeister wissen Bescheid und sind momentan vermutlich mit ihrem Krisenstab dabei, die Folgen abzuschätzen. Eines ist sicher«, er schluckte. »Ab morgen wird Barrington Cove eine andere Stadt sein. Wenn wir jetzt gleich dort hineingehen, möchte ich, dass ihr keine Aussage ohne meine Anwesenheit macht. Ist das klar!«

      Alle nickten.

      »Gut.« Harrisons Dad fuhr sich durch das lichte Haar. »Der Sheriff wird eure Eltern informieren und ich kann euch erst mit deren Zustimmung vertreten, denn ihr seid minderjährig. Daher müsst ihr die Aussage verweigern, bis ich das geklärt habe.«

      »Aber …« Billy drückte ein Taschentuch auf die Platzwunde, als ein Blutstropfen über seine Nase rollte.


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