Dr. Sonntag Box 3 – Arztroman. Peik Volmer
und Kichererbsen Ornamente auf dem Tischtuch aus. Damit beschäftigte er sich so lange, bis Chris vor ihm einen Teller aufbaute.
»Recht so, mein Sohn?«, erkundigte er sich.
»Spinat mag ich nicht«, erklärte der Junge bestimmt.
»Dann lass ihn einfach liegen. Möchtest du dafür etwas mehr Reis?«
Hannes schüttelte den Kopf.
»Wir bekommen ein Kind?«, fragte er misstrauisch. »Ihr braucht kein Kind. Ihr habt mich doch schon.«
»Na klar. Du reichst ja auch völlig. Deswegen haben wir ja auch Nein gesagt.«
Den weiteren Verlauf der Veranstaltung bewerteten beide Paare als unkompliziert und heiter, wenngleich die Bewertung von Ayses Initiative durchaus unterschiedlich ausfiel.
Hatice war es peinlich. Was hatte ihre Mutter sich bloß bei dieser Aktion gedacht? Gewiß, sie hatte es nicht böse gemeint. Sie kannte deren praktischen Verstand. Ayse hatte stets das Ziel vor Augen. Hindernisse auf dem Weg dorthin fürchtete sie nicht. Sie beschritt diesen Weg vielmehr unbeirrt und zweckorientiert.
Veronika hatte Verständnis für das Ansinnen ihrer Schwiegermutter. Sie selbst hatte sich bereits Gedanken über das Thema gemacht. Auch in ihr wuchs mit zunehmendem Alter der Wunsch, ein Kind großzuziehen. Sie selbst war in ihren Vierzigern und damit deutlich zu alt, um selbst ein Kind zu bekommen. Aber Hatice? Gut. Ihre Frau definierte sich stark über ihren Beruf. Sie hätte nicht ein Kind, sondern derer mehrere Hundert, lachte sie, wenn sie das Problem thematisierten. Es gab ja nun Frauen, die für sich entschieden hatten, dass die Mutterrolle ihnen nicht gut stand. Trotzdem empfand sie, dass Hatice gern Mutter werden würde. Zudem waren Philipp und Chris wirklich nette, gescheite, attraktive Männer!
Sie hatte nichts gegen Ayses Vorschlag!
Philipp und Chris waren sich einig. Prinzipiell liebten sie Kinder, und sie hatten auch prinzipiell nichts gegen ein weiteres Kind einzuwenden. Allerdings hätten Sie keinerlei Einfluss mehr auf das Kind nehmen können. Oder?
»Sag mal«, leitete Chris die Diskussion ein, als die beiden anderentags im Pausenraum der Inneren Abteilung saßen. »Mich lässt gerade dieser Gedanke nicht los!«
»Welcher Gedanke?«
»Der Gedanke an ein Kind. Ein Kind, dessen genetisches Material von einem von uns beiden stammt. Wenigstens zu 50%. Fasziniert dich diese Vorstellung nicht auch?«
»Ja, natürlich. Aber könntest du es aushalten, wenn dein Kind von völlig fremden Menschen aufgezogen wird? Vielleicht noch nicht einmal weiß, dass einer von uns beiden sein Vater ist?«
»›Sein‹? Siehst du? Du hast bereits präzise Vorstellungen!«
»Ach, Quatsch. ›Sein‹ wegen ›das Kind‹.«
»Ist ja auch Wurscht. Für Hannes wäre es doch gar nicht schlecht, noch eine kleine Schwester zu haben!«
»Aha. Wer hat hier präzise Vorstellungen?«
»Touché!«, sagte Chris heiter. »Sag mal, hast du die Telefonnummer der Mädels?«
»Nein, aber die wird Ayse uns bestimmt mit Freude zur Verfügung stellen!«
Ein reines Herz
»Und, Herr Doktor? Ist der Eingriff gelungen?«
»Liebe Frau Tauber, es gab ein winziges Problem. Sie hatten mir ja auf der OP-Einwilligung unterschrieben, dass Sie sich der Tatsache bewusst sind, dass sich unter Umständen erst während des Eingriffs eine Änderung oder Erweiterung der Operation als notwendig herausstellen kann. Das war nun in der Tat der Fall. Trotzdem habe ich meinen Eingriff nach den Regeln der Kunst durchgeführt. Ich muss Ihnen allerdings sagen, dass mir wohler gewesen wäre, wenn ich den kleinen Tumor, den ich an Ihrer linken Ohrspeicheldrüse gefunden habe, hätte beseitigen können.«
»Warum haben Sie ihn nicht entfernt?«
»Weil das das Ergebnis des besprochenen Eingriffs infrage gestellt hätte. In Gestalt einer Narbenbildung oder einer Verziehung.«
»War der Tumor denn bösartig?«
»Das vermag ich ohne feingewebliche Analyse nicht zu sagen, Frau Tauber. Ich wollte auch nicht unkritisch biopsieren, ohne zumindest eine Verdachtsdiagnose zu stellen. Ich würde Sie bitten, dass Sie sich möglichst zeitnah in die Behandlung eines HNO-Kollegen begeben.«
»Wie lange hat der Eingriff gedauert?«
»Mit Ein- und Ausleitung der Narkose vier ein Viertel Stunden.«
»Und wie lange muss ich diesen schrecklich Verband aushalten?«
»Üblicherweise zehn bis vierzehn Tage, aber das zeigt sich im Verlauf. Ich verstehe, dass Sie neugierig sind. Aber ich kann Ihnen versichern, dass das derzeitige Ergebnis nicht ganz so attraktiv aussieht, wie sie es sich erhoffen. Das Gewebe ist teilweise geschwollen, und es finden sich Hämatome. Aber keine Sorge, das verschwindet alles.«
*
Schwester Stefanie war wirklich dankbar, das Lukas vorübergehend bei ihr eingezogen war, um ihr so lange behilflich zu sein, bis ihre Sehkraft zurückgekehrt war. Er hatte eingekauft, die Wohnung in Ordnung gehalten und ihr bei kleineren Handreichungen geholfen. Allein das Kochen war seine Sache nicht. Aber auch das war ein lösbares Problem. Entweder radelte er nach der Schule zu Irem, um dort zwei Dönerteller zu kaufen, oder zu einem Italiener, wegen Pizza und Pasta.
»Ich kann nur Spiegelei und Rührei«, gestand er der Schwester.
»Das kann eine Delikatesse sein, wenn’s richtig zubereitet ist«, behauptete diese. »Allerdings wird es auf die Dauer doch etwas langweilig!«
Stefanie genoss seine Anwesenheit. Er war ein freundlicher, blitzgescheiter, sensibler Junge. Das hatte sie daran gemerkt, wie er mit der schwierigen Frau Pfrang umgegangen war. Naja, und sie hatte es ihm auch nicht gerade leicht gemacht. Er aber hatte sich durchgesetzt. Er hatte ihre Bosheiten, ihren Sarkasmus schlicht ignoriert, und genau nur das wahrgenommen, was sein positives Verständnis von der Welt zuließ. Was für eine Gabe!
»Waren Sie mal verheiratet, Schwester Stefanie?«, erkundigte sich der Junge.
»Warum willst du das wissen?« Er schaffte es immer wieder, sie zu verblüffen.
»Ich dachte gerade, wer kümmert sich um Sie, wenn ich mal nicht kann?!«
»Tja, vermutlich muss ich dann in eine Klinik gehen! Es ist ja auch nicht gesagt, dass so etwas immer wieder passiert. Netzhautblutungen habe ich schon häufig gehabt, allerdings war mir nicht bewusst, dass der Mist auch auf beiden Seiten gleichzeitig auftreten kann. Aber deshalb nun gleich heiraten … Das wäre dann doch übertrieben, findest du nicht? Außerdem bin ich für den Quatsch wirklich zu alt!«
»Die Sekretärin meines Vaters hat geheiratet, und die ist schon 50!«
»Und ich bin sogar schon 55! Nein, Lukas. Ich habe es bis zu diesem Punkt ohne Ehemann geschafft, und meine letzten Jahre will ich auch im Frieden verbringen!«
»Ich bin ja auch noch da, wenn sie mich brauchen! – Waren Sie eigentlich mal verliebt?«
Ach, Lorenz, dachte die Krankenschwester. Soll ich wirklich unsere Geschichte erzählen? Es ist die traurigste Geschichte der Welt. Aber dieser Junge würde sie verstehen, da bin ich ganz sicher.
»Aha«, sagte Lukas.
»Was – Aha?«
»Sie waren also mal verliebt!«
»Warum? Woher willst du das wissen?«
»Sie haben eben so glücklich ausgesehen!«
»Das macht die Erinnerung an das, was war, Lukas. Das ist das, was einem lange, so lange bleibt! Und die Vorstellung von dem, was hätte sein können. Aber das Leben ist leider kein Wunschkonzert!«
»Was ist denn passiert?«
»Ich war ein junges, hübsches Ding.