Die Magie von Winterhaus. Ben Guterson

Die Magie von Winterhaus - Ben Guterson


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Gesicht mit den roten Wangen und den fröhlich funkelnden Augen wirkte so gut gelaunt, wie Elizabeth es von ihm kannte.

      Norbridge breitete die Arme aus. «Da bist du ja!»

      Elizabeth lächelte. «Jackson sagte, du wolltest mich sprechen.»

      «Das ist richtig.» Er lockte sie mit dem Finger, ehe er sich abwandte und sagte: «Hier hinein, bitte. Ich muss ein paar Dinge mit dir besprechen.»

      Auf dem Boden von Norbridges Büro lag ein silberschwarzer Navajo-Teppich. Der Raum wurde von zwei Lampen erleuchtet, und an den Wänden standen Vitrinen und Regale und ein unordentlicher Schreibtisch. Bodentiefe Fenster gaben den Blick frei auf den dunklen Himmel. Aber das Bemerkenswerteste an dem Raum waren die glänzenden Wandbilder aus blauen und weißen Fliesen, die Szenen aus der bewegten Geschichte des Hotels zeigten: beachtliche Leistungen im Bergsteigen, Skifahren oder sonstige Aktivitäten der Falls-Familie, daneben Ereignisse wie zum Beispiel die Landung des berühmten Ballonfahrers Hector Velasquez neben dem Lake Luna am Ende seiner faszinierenden Tour «Mit dem Luftschiff durch den ganzen Kontinent» oder den Abend, als die unvergleichliche Fado-Sängerin Helena Ferreira ihr melancholisches Live-Album «Ich sehne mich nach dem Puderzucker meiner Jugend» im voll besetzten Saal der Künste aufnahm, während das Publikum andachtsvoll lauschte und dabei Flurschen naschte. Das Album hatte es an die Spitze der Charts geschafft. Dutzende solcher Szenen schmückten die Wände in Blau auf Cremeweiß. Elizabeth fand, diese Fliesenbilder waren das Allerschönste im Winterhaus. Es gab sogar ein Bild ihrer Mutter als junges Mädchen. Der jüngste Mensch, der je den Mount Arbaza bestiegen hat: Die abenteuerlustige und furchtlose Winifred Falls, 11 Jahre alt lautete die Inschrift unter dem Bild, auf dem Winnie in einem dicken Parka auf dem Gipfel des Berges stand. Jedes Mal, wenn sie dieses Bild anschaute, war Elizabeth tief bewegt: Sie fühlte sich stolz und energiegeladen und gleichzeitig traurig, dass sie ihre Mutter vor acht Jahren verloren hatte.

      Abgesehen von seiner Schönheit besaß der Raum allerdings noch eine andere, tiefere Bedeutung. Als Norbridge Elizabeth vor ein paar Monaten hierhergebracht hatte, war sie erst die fünfte Person, die diesen Raum betrat, nach Norbridges Großvater Nestor, Nestors Sohn Nathaniel, Norbridge selbst und Winnie. Die ersten drei waren die Männer, die das Winterhaus in seiner 120jährigen Existenz geleitet hatten, und die vierte Person war die Tochter, die dazu bestimmt gewesen war, das Hotel eines Tages zu übernehmen, ehe sie verschwand und frühzeitig den Tod fand. Und schließlich Elizabeth selbst. Sie erinnerte sich an Hyrums Frage von vorhin, ob sie eines Tages von Norbridge das Zepter übernehmen würde.

      Norbridge lud Elizabeth mit einer Handbewegung ein, auf dem Sofa Platz zu nehmen. Er selbst setzte sich auf einen ausladenden Eichenholzstuhl und betrachtete sie einen Moment. Dann fragte er: «Wie war das Skilaufen heute?»

      «Mir ist etwas Komisches passiert», antwortete sie, und dann erzählte sie ihm, was vorgefallen war, nachdem sie das rote Taschentuch am Baum entdeckt hatte. Norbridge lauschte aufmerksam, nickte hin und wieder und stellte die eine oder andere Frage. Als Elizabeth erwähnte, dass sie unterwegs Hyrum getroffen habe, starrte Norbridge zu Boden und strich sich über den Bart.

      «Hm, das alles beunruhigt mich», sagte er. «Diese Mine ist seit 1887 versiegelt, und von dem Ende aus, das du gefunden hast, führt kein Weg hinein …» Er schaute nachdenklich zu dem hohen Fenster und strich wieder über seinen Bart. «Und du sagst, dass du wieder dieses seltsame Gefühl hattest? Und dass du einen roten Schimmer im Schnee gesehen und gespürt hast, wie der Boden erbebte?»

      «Genauso war’s», sagte Elizabeth. Sie wusste, dass ihr Bericht besorgniserregend war. Deshalb hatte sie Norbridge ja so schnell wie möglich einweihen wollen. Als sie jetzt erkannte, wie sehr ihn das Ganze aufwühlte, wurde sie noch nervöser. Aber ein Teil von ihr war auch hocherfreut, dass er sie ernst nahm. Es hatte eine Zeit gegeben, als sie sich sehr über Norbridge geärgert hatte, weil er ihre Befürchtungen stets abgewiegelt hatte. Dass er nun wirklich und wahrhaftig in Sorge war und nicht den leisesten Zweifel daran hegte, dass ihre Wahrnehmung korrekt war, erfüllte Elizabeth mit Dankbarkeit.

      «Was, wenn Gracella noch einmal versucht, zurückzukommen?», fragte Elizabeth. Sie dachte an das rote Taschentuch, das ganz offensichtlich mit einer bestimmten Absicht dort festgebunden worden war. «Und was, wenn jemand versucht, ihr zu helfen?»

      Norbridge zögerte. «Aber dann stellt sich die Frage: Wer?»

      Darüber hatte Elizabeth auch schon nachgedacht, und zwar seit sie der versiegelten Mine den Rücken gekehrt hatte. So viele Verdächtige gab es nicht. Gracellas Tochter Selena war in den unterirdischen Gängen gestorben, als Gracella Elana die Lebensjahre ausgesaugt hatte, und Elanas Eltern und ihr Bruder waren gleich darauf aus dem Hotel geflohen. Norbridge hatte seine Fühler ausgestreckt, um sie aufzuspüren, aber außer einem vagen Bericht über einen befreundeten Hotelier auf Malta, dass eine Familie, auf den die Beschreibung der Powters passte, in einer Ferienanlage namens Malstella Villa in der Nähe von Venedig gesehen worden sei, hatte er nichts zutage fördern können. Außer Elanas Familie fiel Elizabeth niemand ein, der Gracella wieder zum Leben erwecken wollte.

      «Ich weiß es wirklich nicht», sagte sie. «Aber Freddy hat etwas über die Dredforth-Methode herausgefunden.» Sie erzählte ihm von dem «Blutroten Skarabäus», und Norbridge beugte sich interessiert vor.

      «Vielleicht kannst du mir nachher helfen, diesen Internet Webplatz aufzurufen», sagte er. «Sagt man das so? Internet Webplatz?»

      Elizabeth lächelte. «Sag einfach Website.»

      Norbridge schwieg. Er deutete nur mit zwei gespreizten Fingern auf seine Augen, als ob er sagen wollte: Wir müssen beide Augen offen halten.

      «Nun zu etwas ganz anderem», sagte er. «Ich wollte dir eine Neuigkeit mitteilen. Du weißt ja, dass ich mir große Sorgen um Elana mache und mir den Kopf zerbrochen habe, wie wir ihr helfen können. Idealerweise versetzen wir sie wieder in das Alter von zwölf Jahren, aber das ist nicht so einfach, wie es klingt.»

      Elizabeth runzelte die Stirn. «Also, für mich klingt das ganz und gar nicht einfach.»

      «Vollkommen richtig», sagte Norbridge. «Was es noch schwieriger macht, diese Nuss zu knacken. Wir sind wie ein Boot auf einem Fluss, ohne Paddel, wie ein Schneeball im Feuer von …» Er verstummte und wedelte seufzend mit der Hand, als wollte er die kleinen Metaphern vertreiben, die er so mochte und die Elizabeth so amüsant fand. «Ich weiß mir keinen Rat. Und da ich im Augenblick den Alterungsprozess nicht umkehren kann, wollte ich eine Möglichkeit finden, Elanas Traurigkeit etwas zu mildern und ihr zu helfen, wieder etwas munterer zu werden. Und ich bin sehr glücklich, dass sich diese Veränderung nun von selbst einzustellen scheint.» Norbridge beugte sich noch ein Stück weiter vor und musterte Elizabeth mit ernster Miene. «Ich habe heute Morgen eine Stunde mit ihr gesprochen und sie scheint endlich ein bisschen mehr sie selbst zu sein, nach all diesen Wochen. Sie ist verständlicherweise sehr traurig, aber immerhin kommuniziert sie wieder.»

      «Das ist ja großartig!», sagte Elizabeth, nicht ohne sich gleichzeitig zu fragen, ob es auch eine Kehrseite zu Elanas Munterkeit gab. Vielleicht würde sie nun noch klarer begreifen, wie ausweglos ihre Situation war. «Ich wünschte, ich könnte etwas für sie tun.»

      «Nun, ich denke, das kannst du. Sie möchte nämlich mit dir reden. Heute Abend, nach dem Abendessen, werden wir beide sie besuchen. Du kannst bestimmt helfen, sie ein wenig aufzurichten.»

      Elizabeth war sich nicht sicher, ob das eine so gute Idee war. Sie war schon mehrmals bei Elana gewesen – aber nur, während sie schlief –, um ein Gebet zu sprechen, oder zwei oder drei, für irgendeine Art der Genesung.

      «Meinst du wirklich?», fragte Elizabeth.

      Norbridge hob die Hand. «Ich bin mir vollkommen sicher. Aber ich will dir zuerst etwas sagen. Sie weiß über vieles Bescheid, was für dich und mich wichtig ist. Ihre Eltern hatten keine Geheimnisse vor ihr, und Elana hat gut zugehört. Sie hat mir bestätigt, dass Gracella tatsächlich für den Tod deiner Eltern verantwortlich ist.» Er senkte den Blick und fuhr mit leiser Stimme fort: «Es tut mir leid, dir das sagen zu müssen. Ich weiß, wie schmerzhaft das für dich ist – genauso schmerzhaft


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