Auf keinen Fall wir. Iris W. Maron
dich.«
»Danke.«
Miri nimmt sich ein Croissant und zerfetzt es in kleine Teile, ohne etwas davon zu essen. Dann sieht sie von unten zu mir auf.
»Wieder gut?«, fragt sie ein bisschen unsicher.
»Natürlich«, erwidere ich.
Miri lächelt, dann greift sie nach der Marmelade und verteilt etwas davon auf ihren Croissant-Fetzen, um die dann endlich zu essen. Das ist das Gute daran, Geschwister zu sein: Man braucht keine großen Worte, um Streitereien beiseitezulegen.
Das Frühstück läuft noch etwas verkrampft, weil wir uns bemühen, das Thema Oskar großflächig zu umschiffen. Ein paarmal ertappe ich Miri dabei, wie sie ihr Handy checkt und verärgert das Gesicht verzieht. Offenbar meldet Oskar sich immer noch nicht. Ich verkneife mir einen Kommentar, auch wenn es mir schwerfällt.
Spätestens, als wir nach dem Frühstück darüber diskutieren, was wir heute machen wollen, ist alles wieder normal zwischen uns. Miri ist nach Stadtbummel und ich habe nichts dagegen, verweigere aber eine ausgedehnte Shoppingtour. Einkaufen ist hier qualvoll, weil es nur zwei Zielgruppen zu geben scheint: Ökos und Spießer. Ich bin beides nicht. Miri auch nicht, aber sooft sie mich schon besucht hat, sie lernt es einfach nicht.
Wir einigen uns darauf, durch die Stadt zu spazieren und dann noch auf dem Markt frisches Gemüse zu holen. Miri wünscht, heute von mir bekocht zu werden, und dafür bin ich immer zu haben – sie selbst ist in der Küche absolut unfähig und schafft es sogar, Nudeln mit Tomatensoße zu versauen.
Diese Stadt ist eigentlich ein Dorf. Ständig trifft man Leute, die man kennt. In einem großen Laden für Einrichtungsbedarf und Dekoartikel, in den Miri mich jedes Mal schleift, um dann stundenlang dortzubleiben und über jeden einzelnen Bilderrahmen in Entzücken auszubrechen, treffen wir auf eine ehemalige Studienkollegin von ihr, die inzwischen auch hier wohnt.
Wie Miri mich, hat Barbara ihren Mann in den Laden mitgeschleppt. Er heißt Justus und so sieht er auch aus. Groß, hager und schlaksig, mit ausgeprägten Geheimratsecken und miserablem Modegeschmack. Er trägt eine beige Hose, ein beiges Hemd und darüber einen kakifarbenen Pullunder. Abgesehen von seinem schrecklichen Geschmack und seiner fast schon klischeehaften Leidenschaft für Modelleisenbahnen, ist er ein netter Kerl. Langweilig, aber nett. Er ist ruhig und ein bisschen schüchtern, das exakte Gegenteil der quirligen und burschikosen Barbara. Auch äußerlich haben sie wenig gemeinsam, Barbara ist klein und nicht gerade schlank.
»Wollen wir heute Abend nicht zusammen etwas unternehmen?«, fragt Miri, nachdem sie und Barbara sich ausführlich und lautstark begrüßt haben. »Wir sehen uns doch so selten!«
»Unbedingt! Lasst uns etwas trinken gehen! Ich würde euch davor ja zu uns nach Hause einladen, du kennst unser Haus noch gar nicht. Aber es ist nicht gerade ums Eck.«
»Wie wäre es, wenn ihr zu mir kommt?«, schalte ich mich ein. »Ich koche eine Kleinigkeit und dann schauen wir, wohin der Abend uns noch führt.«
»Wir können uns doch nicht einfach so bei dir einladen«, meint Justus, höflich wie er ist.
»Ich habe euch eingeladen«, entgegne ich. »Und kochen würde ich sowieso.«
»Wenn David kocht, reicht das ohnehin immer für zehn«, ergänzt Miri. Sie übertreibt maßlos. »Ich finde das eine tolle Idee. Ihr kommt zu David und dann gehen wir noch aus. Um sieben?«
Barbara und Justus stimmen zu und ich gebe ihnen meine Adresse. Wir machen noch ein bisschen Small Talk, dann schaffe ich es endlich, Miri aus dem Laden zu schleppen. Ich habe es jetzt eilig, auf den Markt zu kommen. Schließlich brauche ich noch Zeit, um zu kochen.
Die Begegnung mit Barbara und Justus bleibt an diesem Tag nicht unsere einzige mit Bekannten. Kaum haben wir den Markt erreicht, läuft uns ausgerechnet Sven über den Weg. So verwunderlich ist das nicht, am Samstag ist hier gefühlt die ganze Stadt. Trotzdem finde ich es wirklich lästig.
Neben Sven geht eine junge Frau, die mir einen finsteren Blick zuwirft. Ich brauche einen Moment, bis ich Irina ohne all das Make-up erkenne. Was macht die denn jetzt auch noch hier? Langsam kriege ich echt Verfolgungswahn. Gibt es ein geheimes Wurmloch zwischen hier und Köln, von dessen Existenz ich noch nichts weiß?
Sven stockt einen Moment und sieht mich abwartend an. Keine Ahnung, was er sich erhofft. Ich werde ihn wohl kaum ansprechen, nur weil wir uns außerhalb der Uni treffen. Ich nicke ihm nur zum Gruß zu, dann gehe ich weiter. Miri folgt mir, doch aus dem Augenwinkel sehe ich, dass sie Sven angetan nachsieht.
Kein Wunder. Wir haben einen ähnlichen Männergeschmack. Zu ähnlich. Vor Oskar stand sie immer auf die schwulen Jungs. Sie hat sogar mal ein Auge auf Thomas geworfen. Vielleicht ist Oskar ja auch heimlich schwul und all seine Gestörtheit resultiert aus seiner unterdrückten Sexualität.
»Der ist aber scharf«, meint Miri dann auch prompt. »Woher kennst du den?«
»Du solltest dein Gaydar wirklich mal zur Wartung geben. Das Ding ist defekt.«
Miri lacht. »Wirklich, er ist schwul? Immer dasselbe.«
Ich nicke und würde jetzt wirklich gerne über etwas anderes sprechen. Also marschiere ich auf einen Gemüsestand zu und frage Miri, was sie will. Sie zuckt nur mit den Schultern – und will das Thema offensichtlich noch nicht wechseln.
»Also, woher kennt ihr euch?«
»Er ist mein Student.«
»Und wieso weißt du dann, dass er schwul ist?«
»Mein Gaydar funktioniert eben ausgezeichnet.«
»Hattest du was mit ihm?«
»Mann, Miri!«
»War doch nur 'ne Frage.«
Die ich nicht beantworten will. Ich lüge Miri nicht gerne an, will aber gerade wirklich nicht über Sven reden. Schlimm genug, dass Thomas es weiß. Also ignoriere ich Miri und verlange Salat, Kartoffeln, Karotten, Sellerie, Zwiebeln und Knoblauch. Ich denke, ich mache heute ein Schmorgericht. Der Frühling macht momentan Pause. Es ist ziemlich kühl und bewölkt, vielleicht regnet es später noch. Das ist das richtige Essen für solches Wetter. Wenn es warm wird, machen Schmorgerichte keinen Spaß mehr.
Blöderweise hat Miri Lunte gerochen und legt, nachdem ich gezahlt habe, sofort wieder los.
»Da ist doch was mit dir und dem. Zumindest er steht auf dich.«
»Was tut er?!«
»Er steht auf dich.«
»Wie kommst du auf den Schwachsinn?«
»Er sieht ständig zu dir rüber. Seine Freundin scheint dich aber nicht zu mögen. Die schaut ziemlich fies.«
Automatisch blicke ich auf und suche Sven, entdecke ihn aber nirgends. Samstags ist der Markt immer überfüllt. Dafür sehe ich Miris triumphierendes Gesicht.
»Ha! Und du stehst auf ihn.«
»Spinnst du? Nur weil ich hinschaue, wenn du sagst, er starrt mich an? Da müsste ich ja auf jeden stehen.«
»Nein. Wegen des Ausdrucks, mit dem du dich nach ihm umsiehst. Obwohl der nicht gerade sexy ist. Du siehst eher aus, als müsstest du dringend aufs Klo.«
»Das bildest du dir nur ein«, knurre ich.
Miri wackelt wissend und ein bisschen zweideutig mit den Augenbrauen, woraufhin ich die Augen verdrehe. Anstatt sie in ihre Schranken zu weisen, stachelt das Miri nur noch weiter an. Sie hakt sich bei mir unter und tätschelt mir den Unterarm.
»Du weißt, du kannst mir alles erzählen, Bruderherz«, flötet sie.
»Na gut«, sage ich gedehnt. »Also, pass auf...« Ich mache eine kleine Spannungspause, ehe ich fortfahre. »Heute gibt es einen Schmortopf. Mit Lamm vielleicht. Es mögen zwar nicht alle Lamm, aber ich mag Lamm und du auch und das ist das Wichtigste. Wenn Barbara und Justus ein Problem damit haben, müssen sie eben die Beilagen essen. Wir müssen also