Urbex-Fotografie. Philippe Sergent
Überall in Europa wie in der übrigen Welt erfreut sich diese Disziplin eines von Jahr zu Jahr wachsenden Erfolges. Während das Forum CK Zone einer der ersten Treffpunkte für französische Entdecker im Web war, widmet sich heute eine Vielzahl von Facebook- und YouTube-Seiten dieser Disziplin.
Die meisten Urbex-Anhänger sind Fotografen. Die Erkundung ist die Disziplin, die Fotografie ist ihre Erweiterung. Sie ist nur das Mittel, um über das erkundete Gelände zu berichten und dazu eine Art Erinnerung an die Orte zu erzeugen. Fotografen stellen sich Fragen zur Zukunft dieser verfallenen Gebäude, die nutzlos geworden, in Vergessenheit geraten und teils zum Abriss bestimmt sind, zum Schaden des kulturellen Erbes.
Natürlich sorgen die ersten Ausflüge für Adrenalinstöße, alle Sinne sind hellwach. Die Dunkelheit, die Türen und Fenster, die zuschlagen und aufschrecken lassen, die Angst vor dem Wachmann, vor der Polizei … Aber die Urbexer sind nicht nur dort, um die kindliche Aufregung des Verbotenen zu spüren. Während der Ausflüge lernen wir zu hören, zu schweigen, das geringste Geräusch zu vermeiden, einen Ort besser zu verstehen, indem wir nur seine Schönheit inmitten des Verfalls wahrnehmen.
Um unangenehme Überraschungen zu vermeiden, muss der Entdecker seine Ausflüge sorgfältig vorbereiten. Ein besseres Verständnis für die Orte und die möglichen Schwierigkeiten, denen er begegnen wird, ist oft das Ergebnis ausgiebiger historischer und geografischer Recherchen. Eine Vorbereitungsarbeit, die wir im 3. Kapitel vermitteln werden.
Grundsätze, die zu beachten sind
Diese Disziplin des Schattens, die von der Öffentlichkeit noch immer verkannt wird, beunruhigt. Silhouetten von Personen, die oft unauffällige dunkle Kleidung tragen und verlassene Orte betreten, können Angst machen. Es handelt sich jedoch in der überwiegenden Mehrzahl um wohlmeinende, nicht aggressive Menschen, die zwar verbotene Räume betreten, dabei aber von drei Hauptprinzipien geleitet werden:
Dieser Tank gibt der alten Textilfabrik, von der kaum noch etwas übrig ist außer den Wänden, einen gewissen Charakter zurück.
Hinterlasse nichts als Fußspuren …
Die Graffiti-Künstler sind unbeliebt bei den Entdeckern, die die Orte in ihrer Authentizität entdecken möchten.
Trotz ihres Rufes als »Zerstörer« in der Urbex-Szene verfolgen einige Graffiti-Künstler, ganz wie die Fotografen, einen echten künstlerischen Ansatz.
Erzwinge niemals einen Eintritt mit Gewalt (bei fehlendem Zugang einfach umkehren)!
Respektiere den Ort (es kommt nicht infrage, ein Souvenir vom Ort wegzunehmen)!
Verlasse den Ort, wie du ihn vorgefunden hast! »Hinterlasse nichts als deine Fußabdrücke, nimm nichts mit außer Fotos!«
Die Entdecker wollen nur Plätze verewigen, die einst vom Leben vieler Menschen pulsierten. Sie versuchen, die Atmosphäre einzufangen und die Rolle jeder Maschine und jedes Rädchens zu verstehen, die im Laufe der Jahrzehnte zahllose Arbeiter kommen und gehen gesehen haben. Die Erforschung dieser Orte und die Befragung ihrer Geschichte markieren den Beginn der Urban Exploration. Es geht darum zu verstehen, was den aktuellen Verfall der Orte herbeigeführt hat.
Eine andere Bewegung, deren Initiative wir begrüßen, obwohl sie der Fotografie fern steht, handelt im Schatten und arbeitet daran, das Erbe heimlich zu reparieren. Die Untergunther-Gruppe aus Paris setzte mehr als ein Jahr lang die Uhr des Pantheon heimlich instand, um die Versäumnisse der Behörden während der Sanierungsarbeiten wettzumachen. Letztere entschieden sich pikiert, die strafrechtliche Verfolgung anzustrengen, anstatt ihnen zu danken (ebenso diskret). Diese spannende Geschichte kann man im Internet in einigen Presseartikeln, aber vor allem auf der Website der Gruppe nachlesen: http://ugwk.org/Untergunther_Presse.html. Es ist immer schwierig, ein Denkmal während der Arbeiten zu 100 % abzusichern, außer durch riesige Absperrungen und patrouillierende Wachleute, die von Kameras unterstützt werden. Mit ein bisschen Fantasie werden Sie solche verbotenen Orte betreten können …
Die Kultur der Geheimhaltung
Aus unterschiedlichen Gründen hielten sich die Urbex-Anhänger für viele Jahre aus dem Rampenlicht fern. Vor allem war es wichtig, diese illegale Disziplin außer Sichtweite zu halten, um sie in aller Ruhe ausüben zu können.
Diskretion ist heute nicht mehr angebracht, ganz im Gegenteil. Landesweite und lokale Medien haben das Thema aufgegriffen, wie auch die sozialen Netzwerke, in denen sich die entsprechenden Facebook-Gruppen vermehren. Junge Leute, die den Verboten trotzen, steigern die Auflage der Presse. Leider geht es den meisten von ihnen um den sensationellen Aspekt der Urban Exploration und sie vergessen, dass dies eine gefährliche Aktivität ist.
Trotz dieser öffentlichen Aufmerksamkeit bleibt die Urbex-Community insgesamt ziemlich unzugänglich. Wenn man einen Urbexer um eine Ortsangabe bittet, riskiert man, mit Schimpfnamen belegt zu werden und eine strikte Ablehnung zu erhalten. Jeder Ort gilt als ein Schatz, der wie ein guter Wein ruhen muss und erst in einigen Jahren reifen wird. Warum so viel geheimnisvolles Getue wie bei den Pilzsammlern? Es ist nicht so sehr eine Frage des Egoismus als vielmehr der Sorge darum, dass der Ort für Jahre intakt bleibt und schließlich eines natürlichen Todes stirbt, ohne das Risiko einzugehen, in ein paar Wochen verwüstet zu werden. Es existiert eine Art von Paradox in der Urban Exploration: Auf der einen Seite steht das Bedürfnis, seine Fotos zu teilen, um zu zeigen, was man gesehen hat. Und auf der anderen Seite herrscht die Angst vor einem massenhaften Ansturm von Entdeckern, der zur beschleunigten Zerstörung der Orte beitragen würde. Einige Orte sind so einzigartig, aufgeladen mit Familiengeschichten, etliche sogar mit Geschichten von nationaler oder internationaler Bedeutung. Alte Fernsehstudios, Wohnsitze von Diktatoren, Stabsgebäude der Vergangenheit – von zahlreichen Orten wurden die Erinnerungen geprägt.
Abgelegene Häuser werden von Entdeckern inszeniert, dienen aber leider oft auch als Spielplätze für junge Leute aus der Nachbarschaft.
Bei gewissen Leuten lässt sich seit einigen Jahren ein ziemlich ungesundes »Konkurrenzdenken« feststellen, das eine Menge Neid und Beleidigungen in den sozialen Netzwerken hervorgerufen hat. Dies gilt denjenigen, die im Internet die Bilder eines außergewöhnlichen, bisher unbekannten Orts gepostet haben, auf die Gefahr hin, manchmal zu viele Hinweise auf seine Lage preiszugeben. Das ist weit entfernt von einem Fotoausflug mit Freunden und der Sorge um die Geschichte des kulturellen Erbes! Viele Urbexer bestätigen, dass die Orte durch die Veröffentlichung von Bildern nach der Erkundung schneller verkommen wegen der zu raschen Verbreitung der Adressen. Dieses Phänomen ist bekannt. Jedoch stellen wir in letzter Zeit fest, dass der Austausch und sogar der Verkauf von Adressen (ohne vorherige Prüfung der Vertrauenswürdigkeit der Entdecker) leider zunehmen.
Während die schnelle Verbreitung von Adressen nicht zum Erhalt von Orten beiträgt, gibt es andere Bedrohungen für die Disziplin, die leider oft aus der Nachbarschaft kommen. Ich habe schon mehrmals junge Leute angetroffen, die sich dort eingenistet hatten und die Zeit totschlugen. Weit entfernt von unserer künstlerischen Herangehensweise sehen sie nur verlassene Orte, die – was auch immer geschieht – zur Zerstörung verurteilt sind. Sie benutzen sie, um sich auszutoben und sie zu