Nochmal Schwan gehabt. Christoph Wagner-Trenkwitz

Nochmal Schwan gehabt - Christoph Wagner-Trenkwitz


Скачать книгу
unsicher: »Lehár-Schlössl … is’ des a Heuriger? I’ waaß nur den Plachutta, wo er is!«

      Grete Novak hatte einen Hang zu Prominenten (zu Ausländern im Allgemeinen weniger), konnte aber auch nicht einen jeden (er)kennen. So drückte sie einmal dem sehr distinguiert wirkenden Schauspieler Mathieu Carrière ein Extrapaket Servietten in die Hand und meinte: »Sie schau’n mer aus wie a Saubartl.«

      Zwei Mal Prawy, ein Mal Obonya

      Ebenfalls in einem Restaurationsbetrieb, dem noblen Wiener Sacher, hat sich eine Geschichte zugetragen, die mir der dortige Oberkellner anvertraute. Den Stammgast Marcel Prawy kannte natürlich ein jeder, doch kannte sich der Opernprofessor selbst nicht immer, wenn er von seinen Gedanken fortgetragen wurde.

      So wandte sich Prawy einmal nach seinem Mittagsmahl mit einer überraschenden Frage an den Kellner: »Sag mir, Liebster, hab ich schon gegessen?«

      Der Angesprochene antwortete pflichtschuldigst: »Jawohl, Herr Professor.«

      Nach einigen Augenblicken des Sinnierens hakte Prawy nach: »Und, hat es mir geschmeckt?«

      Wenn wir schon bei Marcel Prawy sind, dürfen wir ihn nicht so schnell verlassen. Diese Anekdote von einer TV-Opernreise wurde mir jüngst von Prawys damaliger Assistentin zugetragen.

      Das Fernsehteam war in Bungalows zur Nachtruhe untergebracht, jener der jungen Assistentin lag neben dem des Altmeisters. Plötzlich schollen aus Prawys Behausung unartikulierte Rufe, die sich schließlich zur Klage materialisierten: »Ich kann nicht mit dem Duschknopf umgehen! Hilf mir Kindchen, komm herüber!«

image

      Dieses Foto mit Einzi Stolz und Marcel Prawy beweist, dass ich 1990 eine Dürreperiode hatte.

      Nachsatz des Hochbetagten: »Keine Angst, Kindchen, wirst nicht vergewaltigt.«

      Cornelius Obonya gab, noch bevor er zu Jedermann-Ehren gelangte, einen Leseabend in der steirischen Provinz. Zahlreiche Plakate mit Obonyas Namen und Konterfei zierten die Veranstaltungshalle. Ein junger Radiojournalist suchte den Künstler in der Garderobe auf und machte ein routinemäßiges Interview.

      Sehr eingehend dürfte sich der Berichterstatter allerdings nicht auf das Gespräch mit dem Burg-Schauspieler vorbereitet haben, denn bevor er den Hinausweg durch einen mit Obonya-Plakaten geschmückten Flur antrat, vergewisserte er sich nochmals der Identität seines Gegenübers: »Äh, Sie sind …?«

      »Es gibt keine kleinen Rollen!«

      Dies ist der tröstliche Satz, der in Sänger- oder Schauspieler-Ensembles gestreut wird, wenn der Unmut zu brodeln beginnt: Der/die hat ja viel mehr Sätze als ich … Warum bin ich eigentlich nicht der Hamlet, sondern nur ein Totengräber … etc.

      Denselben Satz vernahm auch der aus Elberfeld stammende Anfänger Ewald Balser von seinem Schauspiellehrer. Es folgte der unvermeidliche Zusatz: »… es gibt nur kleine Schauspieler. Jede Rolle, und sei sie noch so klein, braucht einen guten Schauspieler. Bestes Beispiel: der große Mitterwurzer. Friedrich Mitterwurzer hat am Burgtheater Hauptrollen wie den Mephisto gegeben, aber er war sich nicht zu gut, bei der Uraufführung von Schnitzlers Liebelei den Fremden Herrn zu spielen, mit nur einer Szene. Es war ein riesiger Triumph für ihn.«

      Die Geschichte vom »großen Mitterwurzer« beeindruckte Balser, und als er 1928 ans Wiener Burgtheater engagiert wurde, beschloss er, der Geschichte auf den Grund zu gehen. Was hat die überragende Wirkung der Szene damals, 1895, ausgemacht?

      Balser fand einen Zeitzeugen: »Ja, der Mitterwurzer, ein ganz Großer! Wie er da herausgekommen ist als Fremder Herr, in seinem schwarzen Paletot, wie eine Statue …«

      Und noch einen Zeitzeugen: »Mitterwurzer – überwältigend. Und das Kostüm so irritierend – ein weißes Tennisdress.«

      Und noch einen: »Natürlich erinnere ich mich an den Mitterwurzer in Liebelei. Mich hat am meisten beeindruckt, dass er in Straßenkleidern aufgetreten ist …«

      Balser beschloss, in der Kostümabteilung des Burgtheaters eine Klärung des Mysteriums herbeizuführen. Der große Mitterwurzer konnte doch nicht gut gleichzeitig im schwarzen Paletot, im weißen Tennisdress und in Straßenkleidern aufgetreten sein!

      Ein bejahrter Garderober wurde gefunden, der zu Ende des vergangenen Jahrhunderts schon Dienst getan hatte.

      Balser stellte die Schicksalsfrage: »Was trug der große Mitterwurzer für ein Kostüm in Liebelei?«

      »Ja wissen S’, der Mitterwurzer hat g’sagt: ›Für die Scheißroll’n wer’ i’ mer ka Kostüm anziehen – da kumm i’, wie i’ bin!‹«

      PS: Ob der wienerische Begriff »Wurzen« (für »kleine Rolle«) mit dem großen Mitterwurzer zusammenhängt, vermag ich nicht festzustellen.

      Begegnungen mit den Genies

      So viele Musiktheaterwerke auch gespielt werden, allzu selten hat man die Möglichkeit, ihren Schöpfern zu begegnen. Das liegt daran, dass die meisten bereits die Friedhöfe bevölkern. Umso glücklicher machte es mich, als ich im Jahr 2013 gleich zwei Komponisten-Genies begegnen und mit ihnen arbeiten durfte: Friedrich Cerha und Stephen Sondheim.

      Cerha ist der Schöpfer der Musikalischen Farce Onkel Präsident, die im Juni 2013 in München uraufgeführt und im Oktober 2014 an die Volksoper übernommen wurde.

      Beide Male hatte ich Professor Cerha bei Einführungsveranstaltungen zu Gast, die er mit seiner Weisheit und seinem feinen Humor adelte.

      Auf die Frage, ob er denn vor einer Uraufführung immer noch Nervosität verspüre, meinte er: »Ich habe schon eine gewisse Routine in Nervosität.«

image

      Hausbesuch bei Friedrich Cerha

      Als ein Herr aus dem Publikum wissen wollte, was in Cerhas neuer Oper denn der absurde Humor für eine Rolle spiele, antwortete der betagte Tonsetzer bedächtig-verschmitzt: »Das Absurde … das ist schon die Oper.«

      Und auf die Frage, ob er schon ein neues Opernprojekt hätte, meinte Friedrich Cerha verschwörerisch – sodass man es einige Sekunden für wahr halten konnte –, auf seinem Schreibtisch befänden sich Skizzen zu einem monumentalen Nachfolgewerk der einaktigen Farce Onkel Präsident: »Ich arbeite am Ring des Präsidenten.«

      Im September 2013 gab die Volksoper Wien erstmals Stephen Sondheims Musical-Thriller Sweeney Todd. Der Weg zu dieser Entscheidung war ein verschlungener gewesen. Direktor Robert Meyer hatte zu mir gemeint, wenn wir einen Klassedirigenten wie Joseph R. Olefirowicz für die Saisoneröffnung 2013/14 zur Verfügung hätten, müssten wir auch ein anspruchsvolles Werk spielen – warum nicht Sweeney Todd?

      Da Meyer das Werk nicht näher kannte, borgte ich ihm erst einmal die Verfilmung von Tim Burton, mit Johnny Depp in der Hauptrolle – ein im wahrsten Sinne des Wortes »bestechend« gut gemachter Spielfilm, in dem die Hälfte der Musik fehlt, aber jeder Gurgelschnitt, den der »Teufelsbarbier aus der Fleet Street« ausführt, in genussvoller Großaufnahme gezeigt wird.

      Roberts erste Reaktion nach Ansehen des Filmes war: »Nur über meine Leiche!« Ich meinte, das ließe sich einrichten: Meyer solle einfach den Richter Turpin, Sweeneys Todfeind verkörpern und sich im Barbierstuhl hinrichten lassen!

      Der gemeinsame Besuch einer ausgezeichneten Aufführung des Sondheim-Musicals am Londoner West End besiegelte schließlich die mutige Entscheidung dafür.

      Gerne und mit Stolz erwähne ich, dass der Mut der Volksoper belohnt


Скачать книгу