Mord am Jadebusen. Christiane Franke

Mord am Jadebusen - Christiane Franke


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Sie mir sehr geholfen.« Er schüttelte Oda Wagner und Christine die Hand. »Denn so kurzfristig den Mandantentermin zu verlegen, wäre schwierig gewesen.«

      Christine und Oda Wagner hatten ihre Mittagspause gekürzt, da Diersens Sekretärin am Telefon erklärt hatte, es sei für ihren Chef unmöglich, einen wichtigen Termin zu verschieben. Anwälte, hatte sie gedacht. Halten sich immer für etwas Besonderes. Nur mein Frank nicht.

      Diersen deutete auf die beiden Schwingsessel vor seinem Schreibtisch und setzte sich wieder dahinter.

      »Kein Problem. Die Kripo kann flexibel sein.« Christine lehnte sich entspannt zurück. »Und wir hoffen, dass Sie jetzt auch uns helfen können.«

      »Bestimmt wissen Sie bereits, dass Dr. Beenke heute früh tot im Museum aufgefunden wurde?«, fragte Oda Wagner.

      Diersen nickte betrübt. »Ja. So was verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Grauenhaft. Wer kann das nur getan haben?«

      Christine sah ihr Gegenüber unverbindlich an. »Wir stehen noch am Anfang unserer Ermittlungen. Aber vielleicht waren Sie es ja und möchten nun ein umfassendes Geständnis ablegen?« Sie lächelte bei diesen Worten.

      Diersen lachte kurz auf. »Geständnis? Ich? Warum sollte ich Beenke töten?«

      »Wer weiß? Wir hörten, es gab Unstimmigkeiten. Oder sollten wir es Hahnenkämpfe um die Herrschaft über das Museum nennen?«

      »Ach, hören Sie auf.« Diersens Nonchalance verschwand. »Natürlich gab es dann und wann Unstimmigkeiten zwischen der Museumsleitung und dem Kuratorium. So etwas gibt es überall und jeden Tag. Aber werden deshalb gleich alle Museumsdirektoren oder Kuratoriumsmitglieder umgebracht? Nein.« Er hob die Hände wie ein Priester beim Segen. »Ich gebe zu, Dr. Beenke und ich standen uns nicht sonderlich nahe. Wir schätzten uns, was das Fachliche anging, aber darüber hinaus verband uns nichts. Natürlich trafen wir uns oft auf den gleichen Veranstaltungen, das ist nun mal so in Wilhelmshaven. Man trifft sich, das ist unausweichlich. Aber auch nicht schlimm. Es ist das Schöne an dieser Stadt, dass sie so intim ist. Wissen Sie, ein guter Freund von mir hält sich mehrere Monate im Jahr in Ascona auf. Anfangs hat er es genossen, quasi inkognito zu sein. Inzwischen vermisst er die zufälligen Treffen, die zu Gesprächen oder einem kurzen Kaffeehausbesuch führen. Er ist sich des Wertes einer kleinen Stadt, in der jeder jeden kennt, jetzt sehr bewusst.«

      »Jeder jeden? Ich denke, da gibt es sicher nur gewisse Kreise, in denen man sich kennt.« Typisch Oda Wagner, dachte Christine. War ja irgendwie klar, dass die bei einer solchen Aussage gleich dagegen anwetterte.

      »Nun ja, ich kann eben nur von den Kreisen ausgehen, in denen ich mich bewege.«

      Arroganter Schnösel, dachte nun auch Christine, behielt ihre Meinung jedoch für sich. »Kommen wir zurück zum Thema«, bat sie. »Gab es in letzter Zeit besonders heftige Auseinandersetzungen zwischen Ihnen und Dr. Beenke?«

      »Nicht mehr als die üblichen«, antwortete Diersen. »Es gab jedes Mal ein gewaltiges Hin und Her vor neuen Ausstellungen. Beenke wollte grundsätzlich mehr Geld, als im Etat vorgesehen war. Dabei stehen auch uns nur begrenzte Mittel zur Verfügung.« Er lächelte süffisant. »Wir können nicht so mit unserem Geld aasen wie der Staat.«

      Christine ignorierte die Spitze. »Gab es denn für die geplante Ausstellung ›Kirche, Kunst und Küste‹ ungewöhnlich hohe finanzielle Forderungen vonseiten Dr. Beenkes?«

      »In der Tat.« Diersen legte die Fingerspitzen gegeneinander. »Dr. Beenke wollte in diesem Fall den Etat um einiges überziehen. Selbstverständlich kam es deswegen zu Differenzen.«

      »Und diese Differenzen führten gestern zu einer tödlichen Auseinandersetzung.« Oda Wagner mischte sich ein. Sie fragte nicht, sie stellte fest.

      »Wie bitte?«

      »Immerhin waren Sie der Letzte, der Dr. Beenke lebend gesehen hat. Sieht so aus, als seien Sie derzeit unser Hauptverdächtiger.« Oda Wagner lächelte herausfordernd.

      »Moment!« Diersen wirkte sichtlich entrüstet. »Also, ich sitze ja nicht allein im Kuratorium. Auch die anderen Kuratoriumsmitglieder waren dagegen, dass Beenke wieder einmal den Etat überzog. Ich war lediglich derjenige, der berufsbedingt den engsten Kontakt zu Dr. Beenke hatte. Fragen Sie doch Merkens, Burmann und Fischer.«

      »Das werden wir tun, Herr Diersen«, sagte Christine freundlich, bevor ihre Kollegin reagieren konnte. Sie würde sich von der nicht an die Seite drängen lassen. »Darauf können Sie sich verlassen.«

      »Er lebte noch, als ich ging, das müssen Sie mir glauben«, sagte Diersen kühl. »Es muss noch jemand nach mir da gewesen sein.«

      ***

      Tomke Beenke saß auf der Couch und starrte aus dem Fenster auf die graubraune Nordsee. Die Elemente schienen sich austoben zu wollen, der Wind nahm Orkanstärke an. Der Parkplatz vor dem Seewasseraquarium war vorsorglich gesperrt worden, wie sie vorhin im Radio gehört hatte. Unterhalb ihres Fensters, auf dem Fliegerdeich, standen jedoch etliche Fahrzeuge. Menschen, die sich aus dem geschützten Auto heraus das Naturschauspiel ansehen wollten.

      Tomke hatte die Ärmel ihres schwarzen Pullovers bis zu den Fingerknöcheln gezogen. Sie griff nach ihrem Becher, in dem der Tee kalt geworden war. »Kannst du dir vorstellen, dass er jetzt nicht mehr für uns da ist?«, fragte sie ihren Bruder, der auf einem der Sessel saß. »Nie mehr?«

      »Er war noch nie für mich da.« Max Beenke sprach nüchtern, ohne erkennbare Emotionen. Er hatte weder geweint, als er bei Tomke ankam, noch gab es äußerliche Kennzeichen der Trauer. Max trug seine üblichen Blue Jeans, dazu ein weiß-blau gestreiftes Hemd und ein Sakko, das er allerdings abgelegt hatte, als er sich setzte. Seine dunkelblonden Haare, die Tomke liebevoll als straßenköterfarben bezeichnete, waren kinnlang und hinter die Ohren geklemmt.

      Tomke war schon immer stolz auf ihren großen Bruder gewesen. Wenn sie ihn nun ansah, regte sich ein Funken Bedauern in ihr. Bedauern darüber, dass er keine feste Freundin hatte, die ihm in dieser Situation Halt geben könnte. Sicherlich war da die eine oder andere Frau gewesen, aber es hatte nie lange gehalten. Genau wie bei ihr. Vielleicht waren sie beide beziehungsunfähig? Wie hieß es doch: So, wie die Eltern es vorleben, machen es auch die Kinder. Tomke hatte ihre Eltern selten miteinander lachen sehen, selten eine Verbundenheit zwischen ihnen festgestellt. Sie waren einfach nur zwei Erwachsene, die mit ihren Kindern unter einem Dach lebten. Ob sie sich zumindest aufrichtig geliebt hatten, als sie geheiratet hatten?

      »Natürlich war Papa für dich da, Max«, rügte sie ihn nun. »Genau wie für mich.«

      »Für dich. Ja. Da war er immer da. Wenn seine Principessa etwas wollte, dann sprang er. Aber bei mir? Wann war er jemals ein Vater für mich? Wann hatte er Zeit? Da war immer erst seine Arbeit, dann kamst du und dann lange nichts mehr.«

      »So darfst du nicht reden, Max!« Tomkes Stimme nahm einen leicht hysterischen Tonfall an. »Er hat dich genauso geliebt wie mich. Das weiß ich.«

      »Gezeigt hat er es nie.«

      »Vielleicht wart ihr euch zu ähnlich«, sagte Tomke besänftigend. »Ihr habt beide die gleiche Art, seid starrköpfig und wollt euren Willen durchsetzen. Und ihr habt es ja auch immer geschafft. Auf die eine oder andere Weise.«

      »Quatsch, mit unserem Vater habe ich nicht die geringste Ähnlichkeit. Ich will sie auch gar nicht haben. So wie er wollte ich nie werden. Aber das ist ja nun hinfällig. Ich muss mich nicht mehr nach seinen Ansprüchen richten, mich nicht mehr von ihm an der Erfolgslatte messen lassen. Ich bin frei.« Max atmete tief durch.

      »Max!« Tomke weinte. »Du darfst so nicht sprechen, das macht mir Angst.«

      Sofort beugte sich Max vor und streichelte ihre Hand. »Das will ich nicht, Tomke, du brauchst keine Angst zu haben. Ich passe von nun an auf dich auf. Wirst sehen, wir können auch sehr gut ohne Papa leben.«

      »Aber …«

      »Schhhh …« Max setzte sich zu ihr auf das Sofa und nahm sie in den Arm. Tomke schmiegte sich an ihn. Sie ließ ihren Tränen freien Lauf. Das


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