Lockdown 2020. Rolf Gössner

Lockdown 2020 - Rolf Gössner


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in Österreich: ein unveröffentlichtes Sitzungsprotokoll der „Task Force“ vom 12. März 2020, siehe: https://orf.at/stories/3163480/

Der Nährboden für die Pandemie

      Soziale Ansteckung

      Der Hochofen

      Das Virus für den Regimewechsel

      In China selbst ist der Verlauf dieser Ereignisse schwer vorauszusagen, doch hat der Moment bereits einen raren, kollektiven Prozess des Nachdenkens über »Gesellschaft« ausgelöst. Die Epidemie hat (nach den vorsichtigsten Schätzungen) nahezu 80.000 Menschen direkt infiziert. Doch sie versetzte dem Alltagsleben im Kapitalismus einen Schock, der 1,4 Milliarden Menschen traf und sie zu einem Augenblick der Selbstreflexion zwang. In diesem Moment der Verunsicherung stellten sich alle zeitgleich eine Reihe tief greifender Fragen: Was wird mit mir geschehen? Mit meinen Kindern, meiner Familie, meinen Freunden? Wird es für uns genug zu essen geben? Wird mein Einkommen gezahlt? Werde ich meine Miete bezahlen können? Wer trägt für all das die Verantwortung? Auf seltsame Weise entspricht die Einzelerfahrung im Großen und Ganzen der eines Massenstreiks – aber eines solchen, der in seiner nicht-spontanen, von oben verordneten und insbesondere unfreiwilligen Total-Atomisierung die Grundrätsel unserer strangulierten politischen Gegenwart ebenso klar hervortreten lässt, wie die Massenstreiks des letzten Jahrhunderts die Widersprüche ihrer Ära erhellten. Die »Quarantäne« erscheint somit wie ein Streik, der zwar seiner gemeinschaftsbezogenen Charakteristika beraubt, aber gleichwohl geeignet ist, sowohl der Psyche als auch der Volkswirtschaft einen tief greifenden Schock zu versetzen. Schon allein aufgrund dieses Umstandes, ist sie es wert, genauer darüber nachzudenken.

      Selbstverständlich handelt es sich bei Spekulationen über den bevorstehenden Sturz der KPCh – ein beliebter Zeitvertreib des New Yorker und des Economist – um vorhersehbaren Unsinn. Inzwischen rollen die normalen Medienunterdrückungsrituale ab, in denen offenkundig rassistische Leitartikel in den Massenmedien von Kommentaren auf Web-Plattformen gekontert werden, die gegen Orientalismus und andere Ideologie-Facetten polemisieren. Doch fast die gesamte Diskussion bleibt auf der Ebene der Darstellung – oder befasst sich bestenfalls mit der Eindämmungspolitik und den wirtschaftlichen Folgen der Epidemie – ohne jegliche Auseinandersetzung mit den Fragen, wie solche Krankheiten überhaupt produziert, und noch seltener, wie sie verbreitet werden. Doch nicht einmal dies wäre genug. Überflüssig ist der »Eins-Zwei-Drei«-Marxismus, der dem Schurken die Maske abreißt, um festzustellen: Ja, es war wirklich der Kapitalismus, der das Coronavirus hervorgebracht hat. Das wäre auch nicht scharfsinniger als die Auslandskommentatoren, die einem Regimewechsel auf der Spur sind. Selbstverständlich ist der Kapitalismus schuld, aber wie genau findet die Verzahnung der sozioökonomischen Sphäre mit der biologischen statt, und welche Lehren sind aus der Gesamterfahrung zu ziehen?

      In diesem Sinne eröffnet uns der Ausbruch der Epidemie zwei günstige Möglichkeiten zur Reflexion: Zunächst bietet sich ein lehrreicher Durchblick, in dem wir substanzielle Fragen


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