Ab 40 wird's einfach nicht schwer. Sylvia Kling

Ab 40 wird's einfach nicht schwer - Sylvia Kling


Скачать книгу
– ein schöner Name. Die anderen hatten ja nicht mal einen. Aber immer schön langsam, zwei warteten noch auf ihre müden Augen. Am Ende sollten die Fotos und die Sympathie entscheiden – vielleicht ein Lächeln, ein Grübchen, ein Strahlen in den Augen? Schnell noch ein Glas Rotwein geholt und weiter ging es mit DresdenMyLove. Der Name deutete auf einen Heimatliebenden hin.

      »Eine Frau, die viel liest, malt, Gitarre spielt und gern lacht – die sollte nicht alleine sein. Solche Profile sind hier selten, das ist erst einmal festzustellen. Ich würde Sie gern kennenlernen. Aber zuvor – schreiben Sie mir bitte, ich freue mich riesig auf Post von Ihnen. Beste Grüße aus dem schönen Dresden, Markus.«

      Wow, wow, wow, wow! Einer, der sie siezte, den hatte sie noch nicht. Einer, der eine gute Einleitung (wenn auch recht sülzig, aber immerhin bemüht) findet, der sich mit Respekt zu artikulieren verstand!

      »Okay, ganz ruhig! Einen, einen habe ich noch. Mal schauen …«, flüsterte Silke und Bing – die nächste Nachricht sprang ihr regelrecht in die Augen.

      Hans, der Träumer – schon der Nickname verursachte in ihr eine wohlige Wärme. Mein Gott, bin ich verkitscht, und das in meinem Alter …, dachte sie, verhaspelte sich vor Aufregung auf der Tastatur und flog aus dem Datingportal.

      »Mist, verdammter!«

      Fluchend grapschte sie nach der Maus und ihr Rotweinglas, inzwischen wieder gefüllt, kippte auf ihre weiße neue Hose. Salz, schnell! Fluchend wie ein Droschkenkutscher zog sie die Hose aus, rannte in die Küche und kippte die noch vorhandene halbe Packung Jodsalz auf die Hose, lief in ihr Schlafzimmer, packte in Windeseile eine schwarze Jogginghose (Karl Lagerfeld würde sich im Grabe umdrehen), schlüpfte hinein und flog beinahe zum Couchtisch. Denn Hans, der Träumer, wartete.

      »Lass uns reden« im Lesezeichen öffnen, einloggen und schnell zu Hans.

      »Ich heiße im realen Leben natürlich nicht ›Hans‹, aber ich bin real – ein Träumer. Hoffentlich übertrete ich jetzt nicht Regeln der Contenance, indem ich sogleich zum vertrauten ›Du‹ übergehe? Dein Profil ist sehr schön. Es hat etwas Weiches, zugleich Starkes, ist präzise, zugleich bleiben in mir viele Fragen offen. Welche Bücher liest Du gern? Malst Du auf Leinwand? Du spielst Gitarre – da schnappte ich nach Luft, denn ich spiele auch, mehr schlecht als recht allerdings (also bitte keinen Eric Clapton erwarten). Bitte verzeih mir, ich wäre kein Mann, wenn ich nicht bewundernd auf Deine ausdrucksstarken Augen sehen – und zu träumen beginnen würde. Wenn Du einen kleinen Teil Deiner geschätzten Aufmerksamkeit mir widmen würdest, so wäre das mein schönster Augenblick.«

      Wow, wow, wow, wow, wow! Ein wenig gestelzt, aber mit Stil. So mochte sie es. Doch nun – immer noch war Besonnenheit von höchster Priorität, um die Elite der Elite zu finden. Zwei würde sie auswählen, damit ihr zur Not noch ein Rettungsanker zur Verfügung stünde. Die Fotos. Immer schön der Reihe nach. Zuerst Tom. Er saß auf einem Stuhl, mit dem rechten Arm auf einen Schreibtisch aufgestützt, auf dem sich einige Akten stapelten. Seine schmächtige Statur ließ den Schreibtisch massiver wirken. Eine Hornbrille saß auf dem auffällig kleinen Gesicht, eine riesige Hakennase zog die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Ein Mann jedoch musste nicht schön sein; er sollte nur »wirken« – und er wirkte nicht auf sie. Nun zu Markus, dem Heimatliebenden. Ein kräftiger Mann mit schütterem ergrautem Haar und einem Achselshirt auf dem »Hilfe!« stand. Silke zoomte das Bild größer, denn schon im kleinen Modus verhieß die Zahnreihe nichts Gutes. Hinter ihm hing die legendäre Dynamofahne. No Chance. Ihm konnte sie nicht helfen. Sie wusste schon vorher, wer übrig blieb. Wahrscheinlich auch, wenn einer der Typen wie Richard Gere ausgesehen oder sie mit strahlenden Augen und umwerfenden Grübchen angestrahlt hätte: Hans, der Träumer. Er war die Elite der Elite, der Edelmann auf dieser Plattform. Wann war die Nachricht eingetroffen? Ah, ja, gestern. Okay, sie konnte ihm heute schon schreiben. Und es ging los. Gib alles, Silke, für diesen Charismatik-Bolzen! Alles!

      »Hallo, Hans, auch wenn du nicht ›Hans‹ im realen Leben heißt …«

      Nein, das war blöd. So vielleicht:

      »Hallo, Träumer, der nicht ›Hans‹ heißt, danke für Deine bezaubernde Nachricht. Wie Du siehst, macht es mir nichts aus, wenn wir gleich die Regeln der Contenance brechen – gibt es diese heute überhaupt noch?«

      Das war gut, es ließ gleich durchblicken, dass sie die eingezogene KommunikationsAsozialität kritisierte.

      »Ich beantworte Dir gern alle Fragen aus Deiner Nachricht. Ich lese alles, was es wert ist – bin da nicht festgelegt. Besonders mag ich historische Romane oder Biographien. Ich male meist auf Leinwand, mit Acryl und oft abstrakt. Ich spiele auch nicht Gitarre wie Jennifer Batten, also keine Sorge. Vielen lieben Dank für das Kompliment zu meinen Augen. Nun kommt der Augen-Blick (wie passend), auch ich habe Fragen an Dich. Meinst Du, ich könnte diese bald im Realen stellen?«

      »Ein Wink. Gut so, mutig. Wir leben immerhin im 21. Jahrhundert«, führte sie halblaut aus, als müsste sie sich überzeugen, es richtig gemacht zu haben. Silke war guter Dinge, denn sein Foto – das war er. Mit dem gewissen Etwas, was sie fesselte. Viel konnte sie nicht erkennen, nur einen Mann mit wenig Haaren, einer Nickelbrille und schlanker Statur. Ein Intellektueller – sehr gut. Absenden. »Nachricht an Hans, der Träumer gesendet« blinkte auf. Was für ein Tag!

      Die Hose! Silke rannte in die Küche. Das Salz war eingezogen. Die rote Wunde klaffte. Es kam ihr vor, als sähe die Hose sie vorwurfsvoll an.

      »Für Hans, den Träumer, Hose. Ich verspreche dir, dafür hast du ein großes Opfer gebracht. Danke.«

      Während sie mit ihrer Lieblingshaushose sprach, versuchte sie mit aller Kraft, die Flecken zu scheuern. Ohne Erfolg. Das Ende der Hose war besiegelt. Für ihren Traum.

      Hans, der Träumer

      »Leben! Das strahlen deine Bilder aus.

      Leben und Sinn, ja, sogar Sinnlichkeit!«

      Peter Meyer

      An einem sonnigen Mittwochvormittag war es so weit. Silkes Kater Whiskey schlich ihr zuvor die ganze Zeit um die Beine, als ob er mit ihr gemeinsam aufgeregt wäre.

      »Mensch, Tier, störe mich jetzt nicht! Ich muss perfekt aussehen, verstehst du? Und mach mich jetzt nur nicht mit Katzenhaaren voll!«

      Rote Katzenhaare auf einer weißen Sommerjeans, welch ein Grauen. Whiskey schien zu verstehen. Beleidigt zog er sich in den Flur zurück und starrte sie aus der Ecke heraus an. Silke überprüfte ihr Make-up, puschte ihre vollen Haare immer wieder auf und stellte fest, dass sie wieder mal zugenommen hatte. Egal jetzt. Darum konnte sie sich später kümmern.

      Endlich klingelte es. Sie ging betont langsam zur Tür. Whiskey schlängelte sich an ihren Hosenbeinen an ihr vorbei und während sie die Tür öffnete, sagte sie laut:

      »Geh weg, du Doofer!«

      »Was für eine zauberhafte Begrüßung!«, lächelte sie der Träumer an.

      »Nein, nein, ich meinte Whiskey …«, stotterte Silke, peinlich berührt, auf den davonlaufenden Kater zeigend.

      »Und was für ein zauberhafter Name für einen Kater!«, konterte er wieder. Das Eis war gebrochen. Silke lachte. Sie erinnerte sich an die Bemerkung des Nachbarn von gegenüber, als sie eines Abends ihr Tier ins Haus rufen wollte.

      »Whiskey!? Whiskey!? Wo ist mein feiner Whiskey, ja, wo ist er denn?!«

      Der Nachbar, der mit ein paar Freunden gegrillt hatte, schrie rüber:

      »Bist wohl schon zum Alki mutiert, hä?«, und seine Gäste hatten sich schiefgelacht. Aber das wollte sie dem träumenden Hans vielleicht später erzählen. Sie hatten ja Zeit. Hoffentlich.

      »Komm erst mal rein.« Mit einer einladenden Geste öffnete sie die Tür.

      »Gern doch, sehr nett«, entgegnete er galant und trat ein. Während sie ihn in ihr Wohnzimmer führte, betrachtete sie ihn genauer. Er war einige Zentimeter größer als sie, auf jeden Fall über eins achtzig,


Скачать книгу