Inklusionshilfe - Exklusionsrisiko. Marc Willmann
Die Autoren
Univ.-Prof. Dr. Marc Willmann leitet den Arbeitsbereich Pädagogik bei Gefühls- und Verhaltensstörungen mit dem Schwerpunkt schulische Erziehungshilfe an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Dr. Sven Bärmig ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich Pädagogik bei Gefühls- und Verhaltensstörungen mit dem Schwerpunkt schulische Erziehungshilfe an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
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1. Auflage 2020
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-036074-7
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-036075-4
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mobi: ISBN 978-3-17-036077-8
Einleitung
Die Frage der gemeinsamen Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderungen beschäftigt die Sonderpädagogik von Anbeginn, doch erst im Zuge der Bildungsreform begann sich Mitte der 1970er Jahre eine Integrationsbewegung zu formieren, durch deren Wirken das Thema in den Mittelpunkt von Profession und Disziplin gerückt wurde. Die Zwischenbilanz nach nun bald 50 Jahren schulischer Integration in Deutschland fällt allerdings eher nüchtern aus, womit sich zumindest zum Teil erklären mag, warum neuerdings ein paradigmatischer Systemwechsel von der Integration zur Inklusion ausgerufen wird.
Neu an der aktuellen Diskussion ist dabei nicht nur die Vehemenz und Absolutheit, mit der auf das Recht zum gemeinsamen Unterricht gepocht wird, sondern auch die Erweiterung des Blickfeldes: Längst erstreckt sich die Forderung nach Zugang zu und Partizipation an schulischer Bildung nicht mehr ausschließlich oder vorrangig auf sonderpädagogische Fragestellungen. Die Bezugnahme auf weitere Differenzlinien wie Armut, Geschlecht und Ethnie ermöglicht einen Schulterschluss mit anderen Diskriminierungsvariablen und erhöht damit zugleich den Reformdruck.
Gleichwohl sich in der gegenwärtigen Inklusionsdiskussion die Begriffe – und mit diesen zum Teil auch die Argumentationsweisen – verändert haben mögen, so sind die Grundfragen sowie die pädagogisch-didaktischen als auch schulorganisatorischen Herausforderungen der gemeinsamen Erziehung im Wesentlichen gleichgeblieben.
Die Analyse der Gelingensbedingungen wie auch der Barrieren und Grenzen der schulischen Integration respektive Inklusion scheint bisweilen jedoch in den Hintergrund einer zusehends emotional sehr aufgeladenen Diskussion zu treten, bei der die Pädagogik einmal mehr zum Spielball bildungspolitischer Richtungskämpfe zu werden droht.
Die zum Teil emphatische normative Forderung nach Bildungsgerechtigkeit geht sehr eng mit der Gefahr einher, schulische Inklusion als Ideologie zu zementieren, bei der die Kritik pädagogischer Selektionsmechanismen nicht hinreichend rückgekoppelt wird an die immanenten Widersprüche und die sozialen Exklusionsmechanismen in einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft. Die Tendenz einer pädagogischen Idealisierung und Ideologisierung von Inklusion liegt zum einen darin begründet, dass der inflationäre Gebrauch zu einer Inhaltsleere des Inklusionsbegriffs geführt hat. Zum anderen hat sich gerade in pädagogischen Fachkreisen eine weitestgehend a-historische und a-theoretische Inklusionsdebatte eingenistet, die zu einer Versimplifizierung von an sich hochkomplexen Fragestellungen tendiert. Die Pauschalität und Oberflächlichkeit vieler Diskussionsbeiträge verstärkt die Polarisierung von Positionen und mündet in einer Art Glaubenskrieg, bei der sich zwei gegensätzliche Konfessionen – »Inklusionisten« und ihre »Gegner« – unversöhnlich gegenüberstehen.
Vor dem Hintergrund dieser Ausgangslage zielen die vorliegenden Überlegungen zunächst auf eine soziologisch rückgekoppelte Diskussion der beiden Leitbegriffe Integration und Inklusion vor dem Hintergrund der zentralen (sonder)pädagogischen Grundbegriffe Erziehung und Bildung sowie Behinderung und sonderpädagogischer Förderbedarf (
Vorwegzuschicken ist noch der Hinweis, dass sich die folgenden Ausführungen im Interesse begrifflicher und theoretischer Stringenz zu weiten Teilen auf die deutschsprachige Fach- und Forschungsliteratur begrenzen. Wir erhoffen uns davon einen Beitrag zur Schärfung der Konturen der schulischen Integrationsdiskussion in Deutschland. Es ist unser Eindruck, dass trotz der bald fünfzigjährigen Tradition die Erkenntnisse aus der Forschung sowie die theoretischen Überlegungen bislang noch nicht umfassend und systematisch aufgearbeitet worden sind. Hier drohen wichtige Erfahrungen gerade auch aus der Praxis der schulischen Integration verloren zu gehen.
Wir hoffen, mit den folgenden Ausführungen einen kleinen Beitrag leisten zu können, um insbesondere die Traditionslinien der Integrationspädagogik in Forschung, Theorie und Praxis in Erinnerung zu rufen verbunden mit der dringenden Empfehlung, die aktuelle Inklusionsdebatte in einem engeren Bezug an diese Traditionslinien zu koppeln.
Besonderer Dank gebührt an dieser Stelle Frau Hanna Preuß und Herrn Paul Abraham für die Durchsicht des Manuskripts sowie den Reihenherausgebern und dem Verlag für