Das Tal des Grauens. Arthur Conan Doyle

Das Tal des Grauens - Arthur Conan Doyle


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jemand von draußen gekommen ist – ich sage wenn –, dann muß er vor sechs über die Brücke hineingelangt sein und sich solange versteckt haben, bis Mr. Douglas nach elf in diesen Raum kam.«

      »So ist es. Mr. Douglas hat jeden Abend, bevor er sich schlafen legte, als letztes noch einen Rundgang durchs Haus gemacht, um nachzusehen, ob alle Lichter gelöscht sind. Und das hat ihn auch hierher geführt. Der Mann hat hier gelauert und ihn erschossen. Darauf hat er sein Gewehr zurückgelassen und ist durchs Fenster geflohen. So sehe ich es – alles andere würde nicht zu den Umständen passen.«

      Der Sergeant hob eine Karte auf, die neben dem Toten auf dem Boden lag. Sie trug die mit Tinte flüchtig hingekritzelten Anfangsbuchstaben V.V., darunter die Zahl 341.

      »Was ist denn das?« fragte er; er hielt die Karte hoch.

      Barker sah sie sich neugierig an.

      »Die ist mir noch gar nicht aufgefallen«, sagte er. »Die muß der Mörder zurückgelassen haben.«

      »V.V. 341. Ich kann nichts damit anfangen.«

      »Was bedeutet V.V.? Wahrscheinlich jemandes Initialen. Was haben Sie denn da, Dr. Wood?«

      Es handelte sich um einen recht großen Hammer, der auf dem kleinen Teppich vor dem Kamin gelegen hatte – einen richtigen handwerksgerechten Hammer. Cecil Barker deutete auf den Kaminsims, wo eine Büchse mit Messingkopfnägeln stand.

      »Mr. Douglas hat gestern die Bilder umgehängt«, sagte er. »Ich habe selbst gesehen, wie er auf diesem Stuhl dort stand und das große Bild darüber befestigte. Soviel zum Hammer.«

      »Wir legen ihn am besten wieder auf den Teppich zurück, wo wir ihn gefunden haben«, sagte der Sergeant; in seiner Verwirrung kratzte er sich den angestrengt nachdenkenden Schädel. »Da müssen die besten Köpfe der Polizei ran, um dieser Sache auf den Grund zu kommen. Damit wird London sich befassen müssen19, wenn was draus werden soll.« Er hob die Tischlampe hoch und schritt langsam im Zimmer umher. »Hallo!« rief er aufgeregt und zog den Fenstervorhang zur Seite. »Um wieviel Uhr sind diese Vorhänge zugezogen worden?«

      »Als die Lampen angezündet wurden«, antwortete der Butler. »Das dürfte kurz nach vier gewesen sein.«

      »Hier hat sich tatsächlich jemand versteckt.« Er senkte die Leuchte, und in der Ecke waren sehr deutlich die Abdrücke von schlammigen Stiefeln zu sehen. »Ich muß zugeben, daß das Ihre Theorie bestätigt, Mr. Barker. Es sieht so aus, als ob der Mann nach vier, als man die Vorhänge zugezogen hat, und noch vor sechs, als die Brücke hochgezogen wurde, ins Haus gelangt ist. Dann ist er in dieses Zimmer geschlüpft, weil es das erste war, das er sah. Und weil es hier keine sonstigen Versteckmöglichkeiten gab, ist er hinter den Vorhang gezischt. Das alles scheint ziemlich klar zu sein. Wahrscheinlich hatte er einen Einbruch vor, aber Mr. Douglas hat ihn zufällig ertappt, und da hat er ihn ermordet und ist geflohen.«

      »So sehe ich es auch«, sagte Barker. »Aber, sagen Sie mal, verschwenden wir nicht kostbare Zeit? Wir könnten doch schon mal anfangen, die Gegend abzusuchen, bevor der Kerl noch entkommt.«

      Der Sergeant überlegte einen Augenblick.

      »Vor sechs Uhr morgens fahren keine Züge, mit der Bahn kann er also nicht entkommen. Und wenn er mit seinen klatschnassen Hosen die Straße entlanggeht, dann ist es mehr als wahrscheinlich, daß ihn jemand bemerkt. Trotzdem, ich kann hier nicht fort, bevor ich abgelöst werde. Außerdem glaube ich, daß keiner von Ihnen gehen sollte, ehe wir klarer sehen, wie die Dinge liegen.«

      Der Arzt hatte die Lampe ergriffen und untersuchte inzwischen sorgfältig den Leichnam.

      »Was ist denn das für ein Zeichen?« fragte er. »Könnte das hier mit dem Mord in irgendeinem Zusammenhang stehen?«

      Der rechte Arm des Toten ragte aus dem Schlafrock hervor und war bis zum Ellenbogen hinauf entblößt. Etwa auf halber Höhe des Unterarms befand sich eine merkwürdige braune Zeichnung, ein Dreieck in einem Kreis; sie hob sich in plastischer Deutlichkeit von der schmalzfarbenen Haut ab.

      »Das ist keine Tätowierung«, sagte der Arzt; er sah es sich durch die Brille genau an. »So etwas habe ich noch nie gesehen. Dem Mann hat man einmal ein Brandzeichen aufgedrückt, so, wie man es mit dem Vieh macht. Was hat das zu bedeuten?«

      »Ich will ja nicht behaupten, daß ich seine Bedeutung kenne«, sagte Cecil Barker; »aber gesehen habe ich das Zeichen die ganzen letzten zehn Jahre über an Douglas.«

      »Ich auch«, sagte der Butler. »Mir ist das eigenartige Zeichen mehrmals aufgefallen, wenn der Herr die Ärmel hochgekrempelt hatte. Ich habe mich oft gefragt, was es wohl bedeutet.«

      »Dann hat es jedenfalls nichts mit dem Verbrechen zu tun«, sagte der Sergeant. »Aber komisch ist es trotzdem. Alles an diesem Fall ist komisch. Ja, was ist denn jetzt los?«

      Der Butler hatte einen Ausruf des Erstaunens ausgestoßen und deutete auf die ausgestreckte Hand des Toten.

      »Man hat ihm den Ehering abgenommen!« stieß er hervor.

      »Wie?!«

      »Ja, wirklich! Der Herr trug seinen schlichten Gold-Ehering immer am kleinen Finger der linken Hand. Diesen Ring hier mit dem rohen Nugget hatte er darüberstecken, und den gewundenen Schlangenring am Mittelfinger. Da ist der Nugget, und da ist die Schlange; aber der Ehering ist fort.«

      »Er hat recht«, sagte Barker.

      »Wollen Sie damit sagen«, fragte der Sergeant, »daß der Ehering unter dem anderen gesteckt hat?«

      »Immer!«

      »Dann hat ihm der Mörder, oder wer immer sonst, zuerst diesen, wie Sie ihn nennen, Nugget-Ring abgezogen, danach den Ehering, und hinterher hat er ihm den Nugget-Ring wieder angesteckt.«

      »So ist es.«

      Der brave Dorfpolizist schüttelte das Haupt.

      »Mir scheint, je schneller wir London in diesen Fall einschalten, desto besser«, sagte er. »White Mason ist ein gerissener Kerl. Hier draußen hat's noch nie'n Fall gegeben, dem White Mason nicht gewachsen war. Es wird jetzt wohl nicht mehr lange dauern, bis er hier ist und uns hilft. Aber ich seh's kommen, bis wir da durch sind, müssen wir uns doch noch an London wenden. Egal wie, 'ne Schande ist es nicht, wenn ich zugebe, daß das 'ne Nummer zu groß ist für einen wie mich.«

      Um drei Uhr morgens traf, dem dringenden Ruf Sergeant Wilsons aus Birlstone folgend, der oberste Kriminalbeamte der Grafschaft Sussex aus dem Hauptquartier ein; der Traber vor seinem leichten Einspänner war außer Atem. Der Detektiv schickte dann seine Meldung morgens mit dem Fünf-Uhr-Vierzig-Zug an Scotland Yard, und um zwölf Uhr hieß er uns am Bahnhof von Birlstone willkommen. White Mason war ein ruhiger, behäbig wirkender Mann; er neigte zur Korpulenz, und mit seinem glattrasierten, rosigen Gesicht, dem locker sitzenden Tweed-Anzug und den gewaltigen, gamaschengeschmückten Säbelbeinen sah er aus wie ein Kleinbauer oder ein Wildhüter im Ruhestand – jedenfalls wie alles andere auf der Welt denn wie ein besonders vorteilhaftes Exemplar eines Kriminalbeamten aus der Provinz.

      »Ein echt hundertprozentiger Knaller, Mr. MacDonald«, wiederholte er mehrmals. »Die Presseleute stürzen sich wie die Fliegen darauf, wenn sie davon erfahren. Ich will nur hoffen, daß wir mit unserer Arbeit schon fertig sind, bevor die ihre Nasen reinstecken und alle Spuren verwischen. So was wie das hat's hier meines Wissens noch nicht gegeben. Ich müßte mich sehr irren, wenn Ihnen da nicht das eine oder andere zu schaffen machte, Mr. Holmes. Und auch Ihnen, Dr. Watson; bis wir das abschließen, hat nämlich die Medizin auch noch ein Wörtlein mitzureden. Sie wohnen im Westville Arms. Einen anderen Gasthof gibt's hier nicht, ich habe aber gehört, er ist sauber und gut. Der Mann da trägt Ihr Gepäck. Hier entlang, Gentlemen, wenn ich bitten darf!«

      Er war sehr rührig und munter, dieser Kriminalpolizist aus Sussex. Nach zehn Minuten hatten wir uns einquartiert. Und nach weiteren zehn Minuten saßen wir in der guten Stube des Gasthauses, wo man uns zunächst einmal mit einer raschen Skizzierung jener Ereignisse aufwartete,


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