Das kleine ABC des Staatsbesuches. Meinhard Rauchensteiner
Führt bei der Erstellung zu Sehnenscheidenentzündungen bei Schreibkräften und Nervenzusammenbrüchen von PROTOKOLLbeamten. Das A. besteht aus einem kurzen Teil, der das PROGRAMM mehr oder weniger widerspiegelt, und aus einem Anhang, der WAGENFOLGEn, Zimmereinteilungen, Aufmarschpläne (eh die friedlichen für Kranzniederlegungen und so), Passagierlisten und Telefonnummern beinhaltet. Das Verhältnis von PROGRAMM und Anhang pendelt sich in etwa bei 1 : 8 ein, ein Konvolut, das also schon als wissenschaftliche Publikation gelten kann – wenn’s nur publik wäre. Aber das kann man von einer Geheimwissenschaft nicht verlangen.
Abreißen des Konvois | Zwangsläufige Begleiterscheinung bei komplizierten Autofahrten während eines Staatsbesuches. Personen im hinteren und also abgerissenen Teil des KONVOIs meinen zwar häufig, der vordere Teil sei ausgerissen, aber das ist nicht mehr als ein Geplänkel unter Verlierern. Zum Leidwesen des abgerissenen Teiles finden die darauffolgenden PROGRAMMpunkte des Besuches ohne diesen statt, weil er in den Fluten des Straßenverkehrs versinkt. Und während der ausgerissene Teil über abgesperrte, leergefegte Straßen rast, die Unbill der Welt und des Individualverkehrs in Großstädten für Sekunden vergessend, erwehrt sich der abgerissene Teil nur mit Not der Rache der Verkehrsteilnehmer, die hinter demokratischen Tretgittern unter polizeilicher Aufsicht auch noch das Vorbeituckern der letzten offiziellen Rostschüssel abwarten dürfen.
Abschreiten | Hochseilakt der BEGRÜSSUNG mit MILITÄRISCHEn EHREN. Statt des Seiles dient ein langer ROTER TEPPICH als Unterlage, was den Akt als solchen allerdings nicht einfacher macht. Abgeschritten wird in Österreich eine EHRENFORMATION des BUNDESheeres, die entlang dem ROTEN TEPPICH Aufstellung genommen hat. Seinen mythisch-symbolischen Ursprung findet dieser Akt in der schlichten Tatsache, dass dem Gast die leeren Gewehrmagazine der Soldaten gezeigt werden sollen, damit dieser sich von der freundlichen Absicht des Gastgebers überzeugen kann. Nichtsdestoweniger ertönen während des A. trommelwirbelähnliche Trompetenstöße, die eher an ein Erschießungskommando erinnern als an eine freundschaftliche BEGRÜSSUNG. Dies mag mit ein Grund dafür sein, dass Länder wie etwa Slowenien das A. der EHRENFORMATION mit fröhlicher, slawischer Marschmusik unterlegen. Fröhlich? Slawisch? Sie könnte auch aus einem Fellini-Film stammen – das heißt, molto cantabile. Dass es schließlich besonders fidel in Norwegen zugeht, ist nur auf die bekannte Heißblütigkeit der Skandinavier zurückzuführen (und der Skandinavierinnen). Dort nämlich, am staubigen Platz vor dem KÖNIGlichen Schloss in Oslo, erklingt zum A. das ubiquitär geliebte »Drei Chinesen mit dem Kontrabass«.
Absolutes Alphabet | Alphabet, das Reihungen in der jeweiligen LandesSPRACHE vornimmt. Kommt bei multilateralen Begegnungen vor, wenn Länder alphabetisch gereiht werden. Nach Deutschland kommt dann Estland (Eesti) genau vor Griechenland (Ellas).
Alternat | Originale eines BILATERALen Vertrages, die häufig in offiziellen Zeremonien bei Staatsbesuchen durch Minister unterzeichnet werden. Verdanken ihren Namen dem Umstand, dass in den jeweiligen Versionen das eigene Land an erster Stelle genannt wird. Das A. zählt damit schon zu den wirklichen Feinheiten völkerrechtlicher Behutsamkeit, ungeachtet der Frage, ob diese im Alltag irgendeine Entsprechung aufweist. Damit klar ist, wo unterschrieben werden muss, werden bunte Zettelchen bei den entsprechenden Seiten eingelegt. Umgeblättert wird nicht von den Unterzeichnenden selbst, sondern der Würde des Moments entsprechend durch Sekretäre oder Personen, die für die Dauer der Zeremonie als Sekretäre firmieren. Die Staatsoberhäupter selbst stehen hinter den Unterzeichnenden und unterstreichen dadurch die Bedeutung des Geschehens.
Ananasdamast | Überall in der HOFBURG anzutreffende Stofftapete, auf deren karminrotem Hintergrund ein florales Muster aus ineinander verschlungenen Ananaspflanzen und -früchten gezeigt wird (dilettantischer Versuch einer Ekphrasis seitens des Autors). Der Bezeichnung zum Trotz handelt es sich bei den Abbildungen nicht um Ananasfrüchte, sondern um Pinienzapfen. Eines von beiden ist ein Fruchtbarkeitssymbol. Mit A. ist auch die viel besprochene TAPETENTÜRE bespannt, durch die man in das Arbeitszimmer des BUNDESpräsidenten gelangt.
Die existenzielle Bedeutung von Tapeten exemplifiziert der Bericht, wonach die letzten Worte des großen Oscar Wilde – auf einer Chaiselongue liegend, skeptisch gehaucht – gelautet haben sollen: »Entweder die Tapete verschwindet, oder ich verschwinde.«
Ankündigungssignal | Dreimaliges Trompetensignal, das die Ankunft des Staatsgastes im Inneren Burghof ankündigt. Erfolgt in der Regel entweder zu früh oder zu spät und ist je nach Disposition des Musikers der Gardemusik richtig oder falsch. Jedenfalls aber sehr staatstragend.
Aperitif | Das angstvolle Warten, neben wem man wohl bei Tisch zu sitzen kommt, erleichtert durch ein überschaubares Angebot von Stimmungsmachern à la Champagner, GIN & TONIC etc. sowie Salz-, MOHN- oder Käsegebäck. Findet in Österreich im JAGDZIMMER und im MARIA-THERE-SIEN-ZIMMER der PRÄSIDENTSCHAFTSKANZLEI statt und dehnt sich bis zum Eintreffen der letzten hochrangigen Gäste aus. Am Kleinen A. dürfen nur die höchstrangigen Gäste in einem gesonderten Raum teilnehmen.
Aristoteles | Griechischer Philosoph, Lehrer von Alexander dem Großen. Findet immer wieder Eingang in politische Gespräche, etwa durch demokratiepolitische Exkurse des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez oder durch erkenntnistheoretische des iranischen Staatspräsidenten Mohammed Khatami. A. hat viele ziemlich schwierige, aber kluge Sachen geschrieben, leider in einer SPRACHE, in der Substanz »hypokeimenon« und Wechsel »metabole« und Gelegenheit »kairos« heißen. A.s Schriften sind daher nur schwer zu verstehen, und wenn man sie versteht, weiß man noch nicht, ob man sie verstanden hat. A. galt aber auch als Verfasser durchaus heiterer Werke wie etwa der »77 Tricks zur Steigerung der Staatseinnahmen«.
Aufschlagen | Militärischer und also martialischer und also in Österreich eigentlich herziger Ausdruck für das Deponieren eines Anliegens. Kann fernmündlich (telefonisch), mündlich oder schriftlich erfolgen. Eine Anfrage, die gestellt wurde, hat bereits aufgeschlagen, ein Schreiben, das noch in der Kanalisation der Bürokratie grundelt, wird aufschlagen. Und selbst wenn Karl Kraus meinte, dass einen Brief abschicken in Österreich zu Recht »ihn aufgeben« heiße, muss man dem entgegenhalten: Bei den Militärs schlägt auch ein aufgegebener Brief auf. Sonst wären sie ja arbeitslos, und darum heißt es auf der Hut sein. Ähnlich kryptisch verhält es sich mit dem Ausdruck »aufwuchsfähig«, der dann Verwendung findet, wenn eine Organisation mehr Dienstposten hat, als es dem gesunden Menschenverstand einleuchten will. Das ist dann Aussendungen zufolge immer für Zeiten, wo es eben nicht so gemütlich zugeht, mehr Personal erforderlich sein könnte und man klarerweise aufwuchsfähig sein muss.
Aufziehen | Ausdruck, der für die Aufstellung des FahrzeugKONVOIs verwendet wird. Das A. erfolgt auf Grundlage der WAGENFOLGE.
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