Auschwitz vor Gericht. Werner Renz
rel="nofollow" href="#u3205066b-cb29-49ba-85d9-01fe09ad7c5a"> 1. Der gescheiterte Großprozess Der 2. Frankfurter Auschwitz-Prozess (1965 – 1966)
2. Im Sande verlaufende Ermittlungsverfahren
3. Erfolgversprechende Ermittlungsverfahren
5. Skelette für die Reichsuniversität Straßburg Der 4. Frankfurter Auschwitz-Prozess (1970 – 1971)
7. Zweiter Abgesang: Verfahren gegen Exzesstäter Der 6. Frankfurter Auschwitz-Prozess (1977 – 1981)
III. Rechtsauffassung und Rechtspraxis in Prozessen gegen Lager-Personal
1. »Die Kleinen« und »die Großen«
2. Konkreter Tatbeitrag oder funktionelle Mitwirkung
3. Prozesse gegen greise »Sündenböcke«?
3.1. Demjanjuk-Prozess (2009 – 2011)
IV. NS-Prozesse und die deutsche Öffentlichkeit
Einleitung
Steht in der Bundesrepublik Deutschland die Verfolgung und Ahndung der NS-Verbrechen zur Diskussion, ist immer auch vom Versagen der Justiz die Rede. Doch nicht nur die Justiz hat versagt, sondern auch der Gesetzgeber, die Strafrechtswissenschaft, die Zeitgeschichtsforschung und die bundesdeutsche Gesellschaft. Insofern ist es geboten, die Unterlassungen und Versäumnisse zu erforschen. Ein guter Anlass ist der 50. Todestag des Juristen, dessen Name wie kein anderer mit der Aufarbeitung der NS-Verbrechen verbunden ist: Fritz Bauer (1903 – 1968). Die Untersuchung der sechs Frankfurter Auschwitz-Prozesse (1963 – 1981) und von ausgewählten Ermittlungsverfahren zeigt, welch weitreichende Folgen das im August 1965 verkündete Urteil in der »Strafsache gegen Mulka u.a.« für die späteren Verfahren gegen Auschwitz-Personal hatte. Die Frankfurter Bilanz sieht nicht gut aus. Hinsichtlich der geleisteten Sachverhaltsaufklärung kann auch der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963 – 1965) nicht als gelungen gelten. So stellte das Schwurgericht in seinem Urteil das Vernichtungsgeschehen in Auschwitz unzureichend dar und kam deshalb auch zu falschen rechtlichen Wertungen.
Das Vorhaben des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer, durch die Aufklärung von Verbrechenskomplexen die Deutschen mit der NS-Vergangenheit zu konfrontieren, kann nicht als erfolgreich bezeichnet werden. Die Mehrheit der Bundesdeutschen nahm den 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess und auch andere vergleichbare Strafverfahren gegen Personal der Todeslager kaum zur Kenntnis. Bauer war ebenso wie viele kritische Juristen und Zeitgenossen über die Rechtsprechung in NS-Prozessen wenig glücklich. So sprach er im Frühjahr 1966 von der »Tragödie«1 der Verfahren.
Die Gründe für diese negative Einschätzung sollen hier am Beispiel der Frankfurter Auschwitz-Prozesse und auch der letzten Verfahren gegen greise Angeklagte, die in den vergangenen Jahren sich vor Gericht verantworten mussten, aufgezeigt werden.
Die deutsche Gerichtsbarkeit hatte nach 1945 aufgrund der alliierten Gesetzgebung zunächst nur begrenzte Möglichkeiten, die nationalsozialistischen Verbrechen aufzuklären und zu ahnden. Sie erstreckte sich auf Verbrechen von Deutschen an Deutschen und an Staatenlosen. Die Besatzungsbehörden konnten jedoch deutsche Gerichte in einzelnen Fällen, in denen Deutsche Verbrechen an Bürgern der überfallenen Staaten begangen hatten, für zuständig erklären.2 Erst nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland war es der bundesdeutschen Justiz gemäß Gesetz Nr. 13 des Alliierten Hohen Kontrollrats (1.1.1950) ohne Einschränkung möglich, auch die NS-Untaten zu verfolgen, deren Opfer Angehörige der im Zweiten Weltkrieg von Nazi-Deutschland unterworfenen Länder waren. Anzuwenden war das zur Tatzeit geltende deutsche Strafrecht.
Von 1950 an bis zur Gründung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen (ZSt) im Oktober 1958 haben deutsche Staatsanwaltschaften von Amts wegen jedoch bloß in wenigen Fällen gegen NS-Täter ermittelt. Lagen keine Anzeigen von Geschädigten und Verfolgten vor, blieben die Strafverfolger weitgehend untätig.3 Die hier aus den Gerichtsakten detailliert rekonstruierte Vorgeschichte des 1. Frankfurter Auschwitz-Prozesses ist ein Beleg für diesen Befund. Die bundesdeutschen Verhältnisse Anfang der fünfziger Jahre4 waren für eine von Einzelnen durchaus geforderte justizielle Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit nicht günstig. Die Entnazifizierung war abgeschlossen, aus ihren Ämtern entfernte Angehörige des öffentlichen Dienstes wurden gemäß dem »Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen«5 reintegriert. Die in Nürnberg verurteilten sogenannten Kriegsverbrecher waren infolge des ausgebrochenen »Gnadenfiebers«6 und auf deutschen Druck hin von den Alliierten vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Nach Ansicht vieler Deutscher war endlich die Zeit gekommen, einen »Schlussstrich« unter die jüngste Vergangenheit zu ziehen, zumal sich die Bundesrepublik Deutschland als willkommenes Mitglied der »freien Welt« ganz anderen Aufgaben zu stellen hatte.
Der Prozess gegen Martin Sommer vor dem Landgericht Bayreuth (11.6.1958 – 3.7.1958)7, die Flucht des ehemaligen KZ-Arztes Hans Eisele sowie das Verfahren vor dem Schwurgericht Ulm/Donau gegen zehn ehemalige Angehörige der Geheimen Staatspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD) Tilsit (28.4.1958 – 29.8.1958)8 verdeutlichten den Verantwortlichen in Bonn, der westdeutschen Justiz und der Öffentlichkeit, dass die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen