Uwe Johnson. Bernd Neumann

Uwe Johnson - Bernd Neumann


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Mal unternimmt der Schriftsteller als Student es auch, das als »Parteilichkeit« Geforderte zu konterkarieren. Daß Johnson sich in diesen Jahren seine Spielart sozialistischer Utopie bewahrt hatte (im kommenden Semester würde er Ernst Bloch hören), bedeutete keinesfalls, daß er im selben Maße noch Verständnis für die »Kulturförderung« seines Staates gehabt hätte. Die DDR-spezifische Existenz des »Amtes für Literatur« wird nicht toleriert. Mit sprachlicher List artikuliert der Prüfling Widerspruch, schlitzohrig prägt er die Formel vom Preis des »über das ganze Land verzweigten sensiblen und zähen Verwaltungsmechanismus«, die am Ende denn auch ein Fragezeichen des Korrektors provoziert. Johnson schreibt von »kulturell-erzieherischer Funktion«. Diese »hat sich zu beschäftigen mit bourgeoisen Rückständen an Individualismus und Begriffsstutzigkeit sowie mit der Angleichung des Bewusstseins an sozialistische Verhältnisse«. Ein Opfer solcher »Angleichung« war er durch die »Junge Gemeinde«-Affäre selbst bereits geworden. Dort wie in der Klausur hatte er öffentlich gemacht, was die im verborgenen arbeitende Anpassung forderte.

      Der Beifall, der den Studenten für seine Arbeit erwartete, erwies sich als pflichtgemäße Anerkennung bewiesener Belesenheit. Bemängelt wurde vom Marxismus-Lehrer Scheithauer am Schluß der Arbeit, daß »praktische Beispiele aus SU und DDR« fehlten. Die Klausur wurde dennoch mit »1–2« bewertet.

      Diese Entwicklung ist um so beachtlicher, wenn man bedenkt, daß Uwe Johnson als ein doch recht überzeugter FDJ-Funktionär nach Rostock gekommen war. Jetzt steht er als leicht donquichottesker Herold der Umgestaltung vor uns. Noch immer charakterisiert durch sein rotblondes, abstehendes Haar, sein schüchtern-hölzernes Auftreten und den leichten Silberblick hinter Billigbrillen, die bei Regen schon einmal Rostspuren im Gesicht hinterließen, gekleidet in Jacketts, deren Ärmel auf halber Unterarmlänge auszulaufen pflegten, ist er den Rostocker Kommilitoninnen, neben dem »Waldgesicht« auch Christa Trenschel und Getrude Harlaß, durchaus im Gedächtnis geblieben. Ein wenig ansprechendes Äußeres sollte kompensiert werden durch betonte geistige Überlegenheit. Momente gleichsam der Epiphanie schienen sich ereignet zu haben: wenn dieser junge Mann in den Lehrveranstaltungen das Wort ergriff – mit rhetorischer Brillanz und der Ironie englischen Understatements ausgestattet.

      Stets sei von ihm, erinnert sich das »Waldgesicht«, die »vollkommene Antwort« zu erwarten gewesen. Was übrigens auch für die sprachwissenschaftlichen Disziplinen galt. Johnson sprach allerdings erst, wenn andere offenbar nichts mehr zu sagen wußten, und dann oft erst auf Aufforderung des Dozenten. Ein Primus also ohne die Allüren eines solchen. In just diesem Herbstsemester 1953 hielt in Rostock Professor Sielaff in den Hörsälen 1 und 12 seine Vorlesung Literatur des demokratischen Deutschland Vier Stunden wöchentlich. Sich an sein Auditorium wendend, in dem sich auch Johnson und seine Freundin befanden, fragte Professor Sielaff einmal nach der Meinung seiner Hörer. Große Stille. Dann die gaumige Stimme des Güstrowers, die nichts als einen Namen sagte: »Pablo Neruda«. Was meinte dieser Student damit? Sielaff galt als Genosse. Seine Ausführungen, schon deren Titel weist daraufhin, müssen den Geist der Linientreue geatmet haben. Der Spanisch Schreibende hatte gewiß wenig verloren in einer Vorlesung zur Literatur des demokratischen Deutschland Doch hatte er das entscheidende Problem gelöst, das für Johnson die gesamten Ausführungen des Professors überschattet haben mußte: das Dilemma nämlich, wie man poetisch schreiben und dennoch ein guter Kommunist sein konnte. Der Autor der Babendererde mag sich daher selber als einer verstanden haben, der sich als Ziel die Synthese aus Politik und Poesie gesetzt hat. Seine lakonische Opposition indes ging noch einher mit eher einverstandenen Elementen. Denn im Vorjahr 1952 hatte Neruda in seine chilenische Heimat heimkehren können, was man in der DDR durchaus gewürdigt hatte.

      Wie auch immer: Johnsons Antwort war geeignet, Aufmerksamkeit auf den Sprecher zu ziehen. Ähnliches galt auch andernorts. So für die Anwesenheit Johnsons auf Universitätspartys, zu denen die Lehrkräfte den offenbar ebenso begabten wie merkwürdigen Studenten einluden. Auch im englischen Konversationskurs hatte er Aufmerksamkeit erweckt, indem er einmal den Hamlet-Monolog »losließ«. Der Erinnerung einer Kommilitonin zufolge sprach Johnson laut und artikuliert, ohne akustische Deckung hinter verschliffener Aussprache zu suchen.

      Auf einer Party bei Vietinghoff spielte der lange Blonde dann durch, wie sich einer verhalten müßte, der wie sein Schulfreund Lehmbäcker und später wie Rohlfs in den Mutmassungen ein steifes Bein hatte. Uwe Johnson hinkte den gesamten Abend und gab, befragt, an, er wolle in Erfahrung bringen, wie sich das Leben für einen mit steifem Bein gestalte. Tagelang ging Johnson danach hinkend durch das akademische Revier in Rostock. Im Bewußtsein der Rostocker Mitstudenten damals als einer, der

      regelmässig Verabredungen im ehemaligen ›Volkshaus‹ [hat] schräg gegenüber der Universität, am Stalinplatz, da residiert der Staatssicherheitsdienst und führt Buch über die Äusserungen der Studenten. (Begleitumstände, S. 71)

      Wenn Johnson bereits 1953 in der Rostocker Stasi-Dienststelle das Urbild des Stasi-Mannes Rohlfs aus den Mutmassungen kennengelernt hat, dann hat dieser in der Realität ebenso gehumpelt wie später im Roman. In den Begleitumständen heißt es weiter, die staatliche Überwachung machte

      reiselustig: wenn die Kommilitonen in Rostock fremd tun, wird einer für das nächste Studienjahr welche aussuchen in Leipzig, die haben keine Ursache, ihn zu kennen. (Begleitumstände, S. 71)

      Seine beiden Freundinnen, das »Waldgesicht« und die Ahrenshooperin Ella Löber, gingen zusammen mit Johnson nach Leipzig. Am 17. August 1954 hatte er die Erlaubnis zum Studienplatzwechsel erhalten, am 6. September wurde er in Rostock exmatrikuliert. Mit seinen persönlichen Dingen und mit einer Truhe voll Bücher, die er zum Schreiben benötigte, reiste der Student nach Leipzig. Mit der Reichsbahn wechselte er in das Gebiet der »unklaren südlich singenden Sprache« über.

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