Verdammt magisch. Regina Mars

Verdammt magisch - Regina Mars


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Ein hartes Schlucken brachte den Kehlkopf des Kleinen zum Zittern.

      »Ich wusste nicht … Ich habe noch nie so ein Gedränge erlebt. Ich habe meinen Diener irgendwo verloren und er meinte, ich sollte zur Tribüne gehen, falls wir getrennt werden … Müssen wir da hinauf? Vor all diesen Leuten?« Panisch schaute er Norman an.

      »Natürlich müssen wir da rauf! Das ist doch das Beste daran!« Norman sah den Kleinen ungläubig an. »Dass uns bei der Erweckung alle anschauen.«

      »A-alle?«

      »Absolut alle.« Norman grinste stolz. »Zweitausend Leute.«

      »Zwei...« Die Wangenfarbe des Blonden wechselte von blass zu grün. Norman schüttelte den Kopf.

      »Mann, was bist du denn für ein Lauch? Hast du Angst vor ein paar Leutchen? Das ist eine Ehre. Wir stehen da oben, weil wir die Größten sind. Na ja, ich bin der Größte. Du wohl nicht. Aber ich! Ich werde der größte Motor aller Zeiten!«

      Der Hänfling glupschte ihn an, als wäre er verrückt geworden. Aber was wusste der schon?

      »Junge, drei Jahre Institut, und ich beschwöre mit einer Hand Feuerstürme und mit der anderen Eisregen. Du wirst schon sehen. Glaubst du mir etwa nicht?«

      Hastig schüttelte der Kleine den Kopf. Das war wohl ein Fehler gewesen: Seine Wangen wurden noch grüner. Bevor Norman zurückweichen konnte, hatte er sich schon gekrümmt und ihm vor die Füße gekotzt. Ein paar Spritzer landeten auf Normans uralten, aber blankpolierten Schuhen.

      »Was soll das denn?« Er versetzte dem Schwächling einen Stoß mit der flachen Hand, der ihn zum Wanken brachte.

      Wehren konnte der sich nicht. Nicht, weil er ein Spargel war. Sondern, weil er vollauf mit Würgen und Spucken beschäftigt war. Eine Pfütze in sehr merkwürdigen Farben breitete sich vor ihm auf dem Pflaster aus.

      »Was hast du denn gegessen?«, fragte Norman fasziniert. »Rote Beete und Blätter?«

      »Wachtelgelee auf Sauerampfer an Himbeerpüree«, keuchte der Kleine. Ein langer Spuckefaden hing von seiner Unterlippe und Tränen liefen über seine Wangen.

      »Wachtel... Bist du reich, oder was?«

      Der Kleine schaute erschrocken. Dachte er jetzt etwa, dass Norman ihn ausrauben wollte? Das hatte er doch gar nicht nötig. Nicht mehr.

      Hm, aber der Schwächling war eindeutig wohlhabend. Oh. Erst jetzt fiel Norman der dünne Zopf auf, zu dem er seine Haare zusammengebunden hatte. Vorne hatten sie so komische Locken. Und dann hatte er von einem Diener geredet.

      »Ach du Scheiße.« Norman verzog das Gesicht. »Bist du etwa adlig? Es gibt doch fast keine Adligen mit Dings, magischer Potenz.«

      »Magischem Potenzial«, murmelte der Blonde. Er wich zurück, als Norman ihn böse ansah. »Das liegt daran, dass auf einen Adligen über hundert Gemeine kommen. Bei den Magiern ist die Verteilung ähnlich. Auf einen adligen Magier kommen hundert Gemeine, also gibt es, statistisch gesehen, gleich viele …«

      »Was laberst du? Außerdem stimmt das nicht. Es liegt daran, dass wir stärker sind als ihr. Hier drin.« Norman deutete auf seine Brust. »Und in den Armen auch. Das braucht man für Magie. Dein blaues Blut wird dir einen Scheiß bringen, du Waschlappen.«

      »Heimfried«, sagte der Schwächling. Mit zitternden Fingern fummelte er ein übertrieben verziertes Tuch aus seiner Brusttasche. Sah aus wie eine plattgewalzte Hochzeitstorte. Er wischte sich damit über den Mund.

      »Hä?«

      »Heimfried von Mømpelgard.« Ein schwaches Lächeln. »Angenehm.«

      Norman ignorierte die ausgestreckte Hand.

      »Mir scheißegal, wer von was du bist. Hier sind alle gleich. Ich nenn dich Lauchi.«

      »Oh.« Der Kleine schaute geknickt.

      Nein, das machte keinen Spaß. Das war ja, wie einbeinige Welpen zu treten. Norman beschloss, ihm etwas Gutes zu tun und ihm den besten Rat zu geben, den er selbst je bekommen hatte.

      »Hör auf zu heulen und kneif die Arschbacken zusammen!«, fuhr er Lauchi an. »Und jetzt auf zur Tribüne, zack, zack! Gleich geht’s los!«

      Er jagte Heimfried durch die Menge. Er wollte ihn nicht jagen, aber der Kleine rannte stolpernd vor ihm her, bis sie die immer dichteren Menschenmassen überstanden hatten. Die Soldaten, die vor der Absperrung Wache hielten, überprüften ihre Einladungen und ließen sie durch. Acht Sitzreihen waren auf dem dunklen Kopfsteinpflaster aufgereiht. Hinten Holzbänke, vorne Polstersessel. Haarschöpfe von Schwarz über Blond bis Grau lugten über die Rückenlehnen. Alle blickten auf die leere, geräumige Tribüne. Norman spürte ein glückliches Flattern in der Magengrube, als er sie betrachtete. Gleich. Endlich.

      Tore und Brenna winkten ihm. Die beiden waren mit ihm in die Vorbereitungskurse gegangen, als Einzige aus ihrem Viertel. Das machte Norman und sie fast zu Geschwistern. Alle drei waren sie breit, kräftig und gnadenlos und konnten es kaum erwarten, zu Motoren zu werden. Als er sich zu ihnen durchquetschte, merkte er, dass Heimfried ihm folgte.

      »Was soll das?«, fragte Norman. »Du kannst nicht bei mir sitzen, das ist doch klar.«

      »Oh.« Wieder stiegen Tränen in Lauchis Augen. Die Brillengläser beschlugen. »W-warum nicht?«

      »Na, weil du adlig bist. Deine Leute sitzen da.« Norman deutete auf eine der Polsterreihen. Da hockten noch drei andere Lockenschwanzköpfe. Ein Junge und zwei Mädchen. Alle mit hoch erhobenen Nasen.

      »Oh. Ent-entschuldigung«, flüsterte der Schwächling. »Danke für deine Hilfe.«

      Norman grunzte verächtlich und schob sich weiter. Tore und Brenna hatten ihm einen Platz freigehalten.

      »Na, ihr Pisser?« Er lachte. »Bereit oder nicht?«

      »Bereit!«, grölten sie und reckten die Fäuste in die Luft. Tores roter Lockenschopf und Brennas dunkelbrauner Zopf glänzten in der Herbstsonne.

      »Und du?« Brenna grinste breit. Er sah zwei fehlende Backenzähne.

      »Scheißbereit. So verdammt bereit, das glaubst du nicht.« Norman warf sich auf den Sitz neben ihr. »Haben sie schon angefangen?«

      »Ne, die trödeln rum«, motzte Tore. Er formte die Hände zu Trichtern und rief: »Geht’s bald los?« in Richtung der Tribüne. Sie ernteten böse Blicke von den Umsitzenden. Norman schaute herausfordernd. Die Feiglinge zuckten zusammen und drehten sich wieder um.

      »Die haben echt Schiss vor dir.« Brenna knuffte ihn in die Seite. »Du hast einfach diese Rausschmeißerfresse. Wie ein Dings, ein Doberhund.«

      »Danke.« Norman lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.

      »Er war doch auch Rausschmeißer«, sagte Tore. »Bei seiner Mutter, früher. He, wenn wir ein Team sind, sollen wir dann so heißen? Der Rausschmeißer, die Dampframme und der Flammende?«

      »Die Dampframme bin ich, ja?« Brenna wiegte den Kopf hin und her. »Ich weiß nicht. Der Flammende passt nicht zu dir. Wie wär’s mit Major Rotkohl?«

      »Wie wär’s mit Zopfziege?«, brummte Tore. Er faltete die baumstammdicken Arme. »Und Norman ist Frikadellenfresse.«

      »Klappe, Rotkohl. Ich bin der Wolf von Wørringen«, sagte Norman. Wørringen war ihr altes Viertel. Das gefährlichste von ganz Løbago. »Und alle zusammen sind wir die Dreckigen Drei.«

      »Ne, die Magischen Mistkerle.« Brenna rülpste.

      »Die Motoren der Macht«, verkündete Tore.

      »Nicht übel.« Norman nickte. Sie sprachen seit zwei Jahren darüber, später ein Team zu bilden. Eine magische Kampfeinheit. Nur über den Namen wurden sie sich nicht einig. Norman wollte gerade »die Hammerharten Helden« vorschlagen, als jemand die Bühne betrat.

      »Na endli...«, begann er, dann erkannte er ihn. Oh. Oh! Normans Mund war mit


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