GIFs. Tilman Baumgärtel
haben auch Medien-, Kunst- und Kulturwissenschaften das Thema für sich entdeckt: Es gibt nicht nur eine Geschichtsschreibung der GIF-Animation, sondern sogar schon miteinander rivalisierende Periodisierungen.9 Vor allem in der englischsprachigen Literatur ist die GIF-Animation mittlerweile aus den verschiedensten Perspektiven betrachtet worden.10 Akademische Konferenzen11 und Netzkulturveranstaltungen wie ROFLcon12 haben sich mit der GIF-Animation beschäftigt. Sogar eine neue interdisziplinäre Forschungsrichtung namens »Still/Moving Studies« hat bereits besondere Kompetenz für die Auseinandersetzung mit GIFs beansprucht.13
Ich selbst habe mich in meinem Buch Schleifen. Zur Geschichte und Ästhetik des Loops14 mit medialen Wiederholungsstrukturen beschäftigt. Mich interessierte dabei, wie Künstler und Komponisten mit Hilfe von Aufzeichnungsmedien aus variationsloser Repetition erstaunlich vielseitige und folgenreiche ästhetische Methoden entwickelt haben. Um die repetitiven Eigenschaften von Wiedergabemedien wie Filmprojektoren oder Tonbändern zu betonen und selbstreferentiell zu nutzen, richteten diese Künstler diese Medien selbst technisch so ein, dass sie kurze Sequenzen von aufgezeichnetem Bild oder Ton wiederholten. Wie bei GIFs musste man auch bei vielen frühen analogen Medien Bilder und Klänge aus technischen Gründen und/oder schlicht wegen des beschränkten Speicherplatzes wiederholen statt sie linear ablaufen zu lassen, wie beispielsweise im Fall des Phenakistiskops (auch Lebensrad genannt) oder des Zoetrops (beziehungsweise der Wundertrommel). Auch frühe Filmvorführgeräte wie Edisons Kinetoskop-Guckkasten und sein Vitaskop-Projektor, Ottomar Anschütz’ »Schnellseher« oder das Bioskop der Brüder Skladanowsky zeigten zunächst kurze Bildsequenzen als Dauerschleife, keine linear-narrativen Filme.15
Auch beim Computer war der häufige Gebrauch von rekursiven Strukturen in der Software eine Methode der Begrenzung. Komplexe Programmabläufe wurden dadurch in kleine, sich wiederholende Einheiten zerlegt, die vom Rechner leichter zu verarbeiten waren als lange Befehlsketten. Diese technische Vorgehensweise prägte wiederum die frühen digitalen Medien wie Sampler, frühe Videoprogramme wie MacroMind Director oder eben GIFs, die rekursive Verfahren nutzten, um mit wenigen Daten maximale Wirkung zu erzielen.
Wenn man das GIF in diesem historischen und technischen Rahmen betrachtet, fallen interessante Parallelen in Gestaltung, Sujets und Nutzungsweisen zu den Vorläufern des Films auf, die das GIF 2.0 der Gegenwart in einem anderen Licht erscheinen lassen. Im intermedialen Vergleich werden Motivreigen sichtbar, die sich über Jahrhunderte hinweg entfalten, und man entdeckt Methoden der selbstreflexiven Gestaltung, die die Eigenschaften und Einschränkungen der verschiedenen Formate thematisieren. Gleichzeitig wird deutlich, was das GIF von anderen Medienformen unterscheidet, die auf der Wiederholung kurzer Bildsequenzen beruhen. Das GIF erweist sich dann als genuin digitales Format, das für die Verbreitung in Netzwerken entstanden und von einer Reihe kultureller Praktiken geprägt ist, die – wie wir sehen werden – typisch für die Computerkultur als ganze sind: »Hacking«, »Bootstrapping« und eine Existenzweise, in der es nie abschließende Resultate gibt, sondern immer nur vorläufige Versionen, auf die immer neue Weiterentwicklungen, Metamorphosen und Mutationen folgen.
2 | Das Werk von Nerds
Kehren wir noch einmal zurück zu der bemerkenswerten Transformation von Muybridges Bewegungsbildern in eine digitale Datei, wie sie im Eintrag in der englischsprachigen Wikipedia zu seinen Motion Studies zu beobachten ist. Aus der Gegenüberstellung der beiden verschiedenen Medienversionen desselben Vorgangs ergeben sich erste Beobachtungen über die spezielle Natur der GIF-Animation.
Vergleichen wir zunächst die technischen Ausgangsbedingungen, unter denen die beiden medialen Formate entstanden sind: Beide sind Produkte der avanciertesten Technologie, die zur jeweiligen Zeit zur Verfügung stand. Muybridges Bilder waren zu ihrer Zeit Ausdruck des aktuellen Stands der visuellen Darstellungstechnik. Der durch den Bau der Central Pacific Railroad reich gewordene Stanford hatte Eadweard Muybridge für seine Aufnahmen ein großzügiges Budget zur Verfügung gestellt. Der nutzte dafür nicht nur nagelneue stereoskopische Objektive, die sich durch eine besondere Tiefenschärfe empfahlen,16 sondern auch Relaisschaltungen, »die bemerkenswerterweise die San Francisco Telegraph Supply Company, also eine […] Medienindustriefirma, geliefert hatte«, um die Kameras auszulösen.17
Das Gelände der Stock Farm in Palo Alto, auf der Muybridge seine High-Tech-Experimente durchführte, gehörte seinem Gönner Stanford und ist heute Teil des Campus der Universität, die Leland und seine Frau Jane Stanford 1891 gründeten. Die Stanford University ist heute eine der Spitzenuniversitäten der USA, die besonders im Fach Informatik zu den weltweit führenden Ausbildungsinstitutionen zählt. 1969 wurde im Stanford Research Institute (SRI), unweit des Orts, an dem Muybridge seine Fotoexperimente mit Bewegtbildern durchführte, einer der ersten vier Knoten des Advanced Research Projects Agency Network (ARPANET) eingerichtet, aus dem später das Internet hervorging. Absolventen der Stanford University gründeten die Unternehmen, derentwegen Palo Alto und die umliegende Gegend heute als »Silicon Valley« bekannt sind.
Muybridges Fotoserien mögen noch keine Medienangebote aus dem Silicon Valley à la Facebook, Twitter oder Netflix gewesen sein. Aber sie waren auf jeden Fall das Produkt technischer Höchstleistungen ihrer Zeit, für die dem Fotografen ein Team versierter Spezialisten zur Seite stand. Seine Aufnahmen des galoppierenden Araberhengstes wurden 1878 im Scientific American und in anderen angesehenen Blättern veröffentlicht. (# 2) Als Muybridge – dessen Landschaftsaufnahmen des Yosemite Valley in den USA dazu beitrugen, die Fotografie als eine eigene Kunstform zu etablieren – seine gesammelten chronofotografischen Aufnahmen 1887 in einer elfbändigen Ausgabe veröffentlichte, war diese so teuer, dass sie sich nur wissenschaftliche Einrichtungen und einige berühmte Persönlichkeiten leisten konnten: In Berlin wurde die komplette Ausgabe mit 700 Bildtafeln in der Buchhandlung Mittler & Sohn für 2.000 Mark angeboten. Zu den Käufern gehörten unter anderem die Berliner Universität, die Akademie der Künste und Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke.18
# 2 Eadweard Muybridge: »The Horse in Motion« (1878)
Im Vergleich zu dieser elitären Entstehungsgeschichte hat die GIF-Animation eine wesentlich plebejischere Herkunft. Zwar wurde auch sie von einem Team gut ausgebildeter Spezialisten auf dem neuesten Stand der Wissenschaft entwickelt, war auch sie ein Triumph der Kunst der Repräsentation über die Einschränkungen technologischer Dispositive. Aber letztlich wurde das GIF erfunden, um die Dateigröße von Farbbildern zu verkleinern. Dank einer verlustfreien Kompression sollten sie online so schnell übertragbar sein wie zuvor Schwarz-Weiß-Bilder. Außerdem sollte das Format auf allen damals gebräuchlichen Computern dargestellt werden können. Das GIF war also eine technische Lösung für ein technisches Problem, mehr nicht. Es sollte keine wissenschaftlichen Hypothesen beweisen, und dass sich daraus eine eigene Kunstform entwickeln würde, hat niemand beabsichtigt.
Die Schöpfer dieser technischen Innovation waren keine legendären, schillernden Figuren wie der rauschbärtige Muybridge, der 1874 den Liebhaber seiner Frau erschoss. Das GIF war das Werk einer Gruppe von Nerds. Bis heute ist es niemandem gelungen, Steve Wilhite und den Programmierern, die 1987 das »Graphics Interchange Format« entwickelten, eine detaillierte Geschichte ihrer Erfindung zu entlocken – auch wenn das zu den diversen Jubiläen des GIFs, die in den letzten Jahren begangen wurden, immer wieder versucht wurde. Abgesehen von seiner abwegigen Forderung, dass man den Namen des Dateiformats »Dschif« aussprechen müsse (also mit einem weichen englischen G, als würde das Wort »Jif« geschrieben), hat es selbst die New York Times nicht geschafft, historisch Relevantes aus Wilhite herauszuholen.19
Die Mitglieder von Wilhites Arbeitsgruppe sind genauso unbekannt wie die Techniker, die Muybridge bei seinen Aufnahmen geholfen haben. Es gibt kaum Bilder von ihrem Wirkungsort und außer den beiden technischen Spezifikationen 1987 und 1989 auch keine Dokumente ihrer Arbeit. Die Bilder des Gebäudes von CompuServe am Arlington Centre Boulevard, einer Ausfallstraße in Columbus, Ohio, zeigen einen gesichtslosen