Audiovisuelles Übersetzen. Heike E. Jüngst
angewiesen ist (dazu Koolstra et al. 2003: 327). Das ist nicht auf die AV-Übersetzung beschränkt; niemand kann jeden interessanten Film im Original verstehen.
1.5 Exkurs: Filmgestaltung
Viele Übersetzer haben sich noch nie mit Fragen der Filmgestaltung und Filmanalyse befasst. Einige grundsätzliche Begriffe sind aber wichtig, wenn man Filme verstehen und entsprechend sinnvoll bearbeiten will.
1.5.1 Bildspur
Die visuelle Seite des Films ist eine wichtige Komponente bei der audiovisuellen Übersetzung. Die Übersetzung darf nie den Film stören; bei Untertiteln kann das schnell passieren, wenn man sich nie mit Filmgestaltung beschäftigt hat. Man kann nur mit entsprechenden Kenntnissen mit den anderen Teammitgliedern oder Forschern präzise über Filme und über manche Probleme der audiovisuellen Übersetzung sprechen. Außerdem wird der Blick auf den Film geschärft, was einer professionellen Übersetzung ebenfalls gut tut.1
Ein wichtiges Element der Bildgestaltung ist die EinstellungsgrößeEinstellungsgröße. Sie definiert, was man im Bildausschnitt sieht. Ist die Kamera nah dran am Geschehen oder ist sie eher weit entfernt? Sehen wir kleine Menschen in einer weiten Landschaft oder ein bildschirmfüllendes Gesicht? Unterschiedliche KameraeinstellungenKameraeinstellung machen unterschiedliche Vorgehensweisen bei den Verfahren der audiovisuellen Übersetzung nötig. Als Beispiel sei nur die Nahaufnahme eines Gesichts genannt. Hier sieht der Zuschauer die LippenLippen in vielfacher Vergrößerung. Die Synchronisation muss also sehr genau sein. Aber auch für die Untertitelung birgt die Nahaufnahme Tücken: Die Untertitel sollen möglichst wenig von einem ausdruckstragenden Gesicht verdecken, schon gar nicht die Mundpartie, und ÜbertitelÜbertitel gehören nicht auf die Augen.
Im Allgemeinen werden im deutschsprachigen Raum acht Einstellungsgrößen genutzt und so auch im DrehbuchDrehbuch markiert. Ein Großteil der Literatur zur audiovisuellen Übersetzung ist jedoch englischsprachig, und die englischen Bezeichnungen werden auch gern im Deutschen verwendet. Daher sollte man sie zumindest passiv kennen, auch wenn man mit anderen Sprachen arbeitet. Die Verwendung von deutschen und englischen Bezeichnungen parallel kann problematisch sein, denn je nach Quelle werden die einzelnen Einstellungen unterschiedlich gegeneinander abgegrenzt:
Beschreibung | Englische Bezeichnung | |
Weit (W) | Landschaft im Überblick, Menschen winzig. Eher im Kino anzutreffen als im Fernsehen. | extreme long shot oder VLS: very long shot oder manchmal LS: long shot |
Totale (T) | Auch hier sind die Menschen noch klein, die Umgebung spielt eine wichtige Rolle. Eine gesamte Szene wird im Bild erfasst. | LS: long shot |
Halbtotale (HT) | Menschen erscheinen von Kopf bis Fuß im Bild. Man nimmt sowohl den Menschen als auch sein Umfeld wahr. | oft ebenfalls LS: long shot |
Amerikanisch (A) | Man sieht die obere Hälfte des Menschen einschließlich des Colts. | American |
Halbnah (HN) | obere Hälfte des Menschen bis zur Hüfte | MS: mid-shot |
Nah (N) | Hier sehen die Menschen praktisch aus wie Büsten. Bei der Mitte des Oberkörpers ist Schluss. | MDU: medium close-up |
Groß (G) | … und jetzt ist nur noch der Kopf zu sehen. | CU: close-up |
Ganz groß oder Detail (D) | Bei einem Menschen ist jetzt nicht mehr das vollständige Gesicht zu sehen, vielleicht nur noch die Augen. Auch kleinere Gegenstände können so hervorgehoben werden. | BCU: big close-up |
Tabelle 1:
Einstellungsgrößen deutsch und englisch. Für die deutschen Bezeichnungen: Hickethier 1993: 58-60; für die englischen Bezeichnungen: teils ebenda, teils Watts 1990: 127-129, teils Monaco 1991, im Glossar.
Die Einstellungsgrößen werden im Folgenden veranschaulicht anhand von Shakespeare, A Winter’s Tale, III.iii.
Totale. Das Kino mit den Zuschauern und dem Shakespeare-Film auf der Leinwand
Halbtotale. Die Szene auf der Leinwand
Amerikanische Einstellung
Halbnah
Nah
Close-up
Detail
Ein zweiter wichtiger Punkt bei der Filmgestaltung sind die KamerabewegungenKamerabewegung. Schwenks und Neigungen der Kamera leiten auch das Auge. Ein lange ruhig stehender Untertitel während einer lebhaften Kamerabewegung kann stören. Auch bei einem ZoomZoom, bei dem die Kamera sich zwar nicht bewegt, aber eine Illusion von Bewegung entsteht, verringert der Untertitel den zoomtypischen Sogeffekt.
Die wesentlichen Kamerabewegungen sind folgende:
Schwenk | Die Kamera ändert ihren Standpunkt nicht, bleibt auf ihrem Stativ, wird aber gedreht. Der Schwenk von links nach rechts ist typisch für Fernsehsendungen, bei denen einmal das gesamte Publikum „abgefahren“ wird. Auf der vertikalen Achse manchmal „neigen“. | auf der horizontalen Ebene, also der x-Achse: panning; auf der vertikalen Achse, also der y-Achse: tilt |
Kamerafahrt | Die Kamera wird im Ganzen in unveränderter Haltung geschoben und bleibt dabei normalerweise auf einem Stativ oder einem Wagen (Dolly) fixiert. Bei der Auf- und Abwärtsbewegung wird sie normalerweise auf einem Führungsstab verschoben. Für sehr umfassende Auf- und Abwärtsbewegungen montiert man die Kamera auf einen Kran. | allgemein: travelling; vorwärts und rückwärts: tracking; seitwärts: crabbing, oft auch einfach moving; aufwärts und abwärts: elevate / go up und depress / go down |
Tabelle 2:
Kamerabewegungen. Für die deutschen Bezeichnungen und Erläuterungen: Hickethier 1993: 63-64, für die englischen Bezeichnungen und Erläuterungen dazu: Watts 1990: 130.
Weitere bildliche Gestaltungsmittel sind die BildkompositionBildkomposition und der BildschnittBildschnitt. Beim Untertiteln ist es wichtig, auf den Bildschnitt zu achten. Wenn vermeidbar, sollten Untertitel nicht über einen Schnitt hinaus stehen bleiben. Untertitel