Knopflisa unterm Dach. Angela Stoll

Knopflisa unterm Dach - Angela Stoll


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zwängte mich unter ein Sofa. Goldkette kam herein. „Meine Nichte lebt nicht länger bei mir. Ich habe sie in ein Internat gesteckt, dort ist sie weit besser aufgehoben und hat andere, mit denen sie spielen kann. Ab und zu schreibt sie mir, wie gut es ihr dort gefällt“, behauptete sie und jedes Wort stank nach Lüge.

      Da gab es noch eine zweite Frau, die einen Hut mit einem lächerlichen, ausgestopften Vogel in der Hand hielt. Diese Person lachte nun viel zu schrill und sagte: „Ist sicher besser so. Das Kind war mir immer ein wenig unheimlich. Viel zu still, wenn du mich fragst.“ Die beiden nahmen am Tisch Platz und die Fremde fragte neugierig: „Hast du wieder Probleme mit Ratten?“

      „Dieses Haus steckt voll von ihnen. Anscheinend hat mein Bruder sich um nichts gekümmert. Bevor ich es verkaufen kann, muss ich diese Brut loswerden. Das Zeug hilft mir dabei.“

      Frau Goldkette stellte die Dose mit dem Gift in ein Regal. „Sonst landet davon noch etwas im Tee“, ulkte sie und mir sträubte sich das Fell.

      Ich beobachtete, wie die beiden Tee tranken, Kuchen verputzen und sich unterhielten. Endlich war Schluss mit dem langweiligen Gerede und die zweite Frau erklärte, sie müsse nun gehen. Ich hörte, wie sie von Goldkette an die Haustür gebracht wurde. Die beiden sprachen auch da noch weiter, also nutzte ich die Zeit, um mich im nächsten Raum umzusehen.

      Diesmal landete ich in der Küche. Ich sprang auf die Anrichte und sah mich um. Neben dem Herd stand ein Teller mit Gemüse, das ich ignorierte, aber der Kuchen war mit Schokolade überzogen gewesen und der restliche Teil der Tafel lag neben dem Wasserbad, in dem sie geschmolzen worden war. Ich zögerte keinen Moment, biss hinein und flitzte damit die Treppe hoch. Erneut quetschte ich mich durch den Spalt in den Raum, wo das Kind eingesperrt war. Es lag zusammengerollt in einer Ecke des Betts und jammerte vor sich hin. Vorsichtig legte ich die Schokolade vor Knopflisas Händen ab. Sie brauchte, bis sie begriff. Dann brach sie schnell ein großes Stück ab und steckte es sich in den Mund. Sie kaute gierig, schluckte dann, und sagte: „Das Licht ist wieder angegangen, aber da war meine Tante schon weg. Das verstehe ich nicht.“ Sie fuhr sich über das verweinte Gesicht und zeigte auf die Scheibe Brot, die oben auf dem Dachbalken lag. „Warum hast du das mit dem Brot getan? Tante lässt mich verhungern. Ohne den Wasserkran da hinten wäre ich längst verdurstet.“ Sie deutete auf eine alte Wasserstelle in der Ecke des Zimmers.

      Ich blickte mich erstmals ausführlich um. Außer dem uralten Waschbecken und einer zerbrochenen Toilette gab es hier nur noch das Metallbett mit einer muffigen Matratze, die vor sich hin moderte und nach frischer Menschenpisse stank. Das einzige Fenster, kaum mehr als ein Oberlicht, war mit Brettern vernagelt.

      Mein Blick ging zurück zu Lisaknopf. Sie war nicht nur dreckig und roch nach Abfall, sie sah auch bleich aus wie ein Gespenst.

      Ich hatte wie jede Katze Regeln zu befolgen. Eine lautet, nicht mit Menschen zu reden. Niemals. Also würde ich es auch nicht tun, denn das hier ging mich nichts an. Ich fuhr dem Kind mit der Schwanzspitze über das Gesicht und lief davon.

      Ich war bereits auf dem halben Weg nach draußen auf das Dach, als Geräusche mich wieder umkehren ließen. Lisa stand auf dem Bett und versuchte vergeblich, durch Hochhüpfen an das Brot zu gelangen. Ich konzentrierte mich auf die primitive Sprache der Menschen und erklärte ihr per Telepathie: „Iss nichts mehr von dem, was sie dir bringt. Auf dem Brot ist ein böses Pulver drauf, aus einem Kanister mit einem Schädel.“

      Das Kind verharrte. „Ich weiß nicht, was das bedeutet.“

      „Warte ab, was mit den Mäusen hier geschieht, die daran knabbern werden, Lisaknopf.“

      Schnell machte ich, dass ich wegkam. Niemand würde je erfahren, was ich Unverzeihliches getan hatte, denn nur ich und Lisaknopf wussten davon, und sie würde dort oben sterben. Nichts, was ich verhindern konnte. Menschen waren für ihresgleichen verantwortlich, Katzen für Katzen. Eine weitere Katzenregel, die ich zu befolgen gedachte.

      Das war vor einer Woche gewesen, und seitdem brachte ich der Kleinen jeden Tag etwas zu essen. Ich wusste, dass ich es besser nicht tun sollte, aber jedes Mal, wenn ich sie besuchte, freute sie sich so sehr. So war es auch heute. Sie stopfte sich das Hühnerbein in den Mund und zerkaute die Knochen, als wäre sie ein Hund. Das Licht brannte weiterhin. Goldkette war seit dem Vorfall mit dem Brot nicht mehr nach oben gekommen. Sie ignorierte das Kind offenbar schlicht.

      „Du stinkst wie eine Mülltonne“, erklärte ich der Kleinen nicht zum ersten Mal.

      Sie seufzte. „Ist doch egal. Hier komme ich nie wieder raus. Selbst wenn, wohin sollte ich gehen? Tante holt mich zurück und sperrt mich wieder ein. Keiner will mich, weil ich ein böses Kind bin. Deshalb sind auch meine Mama und mein Papa gestorben. Alles meine Schuld. Das hat sie mir gesagt.“

      Ich tat, als würde mich das alles nicht interessieren und stolzierte aus der schäbigen Kammer. Ich versuchte, das dreckige, bleiche Gesicht zu vergessen. Es geht dich nichts an, sagte ich mir zum wohl hundertsten Mal.

      An diesem Abend wollte ich mehr über die Alte herausfinden. Ich lief das kurze Stück von meinem Schlafquartier über die Mauer bis zu ihrem Haus. Klaviermusik und das Trällern einer hohen Frauenstimme kamen von dort und machten mich neugierig. Ich mochte Katzenmusik lieber, aber ab und zu brachten Menschen Töne hervor, die durchaus als erträglich gelten konnten. Ich wartete vor dem geöffneten Fenster, bis mir mein Geruchssinn verriet, dass dort kein anderes Tier wohnte, dann sprang ich auf das innere Fensterbrett. Die Alte stand vor dem Herd und rührte mit einem Holzlöffel in einem kleinen Topf herum. Es roch köstlich nach Milch und Grieß. Noch bemerkte sie mich nicht und sang zu dem Stück, das aus dem Krachautomaten dröhnte. Es klang nicht nach Freude, eher traurig. Ich sah zu, wie sie den Brei in eine Schüssel füllte und den Löffel abschleckte. Nun deutete sie in meine Richtung. „Wenn du glaubst, du bekommst etwas ab, irrst du dich gewaltig. Ich kann Katzen nicht ausstehen, ihr seid alles Vogelmörder.“

      Immer diese Vorurteile! Vögel hatten mir zu viele Federn, die ekelig im Maul kitzelten.

      Frech glitt ich vom Fensterbrett und machte einen Schritt auf sie zu. Sie packte die Tasse neben sich und schleuderte sie in meine Richtung. Nur knapp verfehlte das Geschoss meinen Kopf und badete mein Fell mit der Brühe, die die Menschen Kaffee nannten. Ich schleckte ein wenig davon vom Boden auf. Süß schmeckte es und nach Sahne.

      Sie starrte mich böse an. „Du Mistvieh bist hier unerwünscht!“, brüllte sie mich an, griff sich einen Besen und jagte mich wild schreiend aus dem Fenster hinaus. Ich beobachtete sie aus sicherer Entfernung. Als sie mich da so sitzen sah, drohte sie mir mit der Faust. „Lass dich nie wieder blicken, hörst du! Sonst mache ich Dachhasenbraten aus dir!“ Wie zur Bekräftigung ihre Worte knallte sie das Fenster zu und zog die Vorhänge dicht.

      Ich wartete noch kurz, ob das Theaterstück weiterging, aber als sich nichts mehr tat, machte ich mich zu meinen Fütterern auf. Dort verkroch ich mich unter eines der Kinderbetten. Die kleinen Krachmacher tobten derart wild durch die Wohnung, dass ich fast taub davon wurde. Ich bewunderte mich, wie geduldig und leidensfähig ich mit ihnen umging, weil ich ihnen nicht die Schienbeine zerkratzte oder in die Haare sprang. Schließlich schloss ich die Augen und träumte mich in das Katzenwunderland, in dem es in Scharen fette Mäuse gab, die sich freiwillig von mir fressen ließen.

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