Eine Geschichte des Krieges. Группа авторов

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Der überlebende Zeuge

      Élisabeth Claverie

       Urteilen, die Wahrheit sagen, versöhnen

      Hélène Dumas

       Nach dem Völkermord: die Gacaca

       Anhang

       Chronologischer Abriss

       Ortsregister

       Personenregister

       Dank

       Ouvertüre

      Aus dem Französischen von Daniel Fastner

      Bruno Cabanes

       Eine Geschichte des Krieges

      »Wir befinden uns im Krieg.« Wie oft haben wir diese prätentiöse Erklärung von offizieller Seite schon vernommen? Seit dem 11. September 2001 gilt jedes Attentat bereits als »Kriegshandlung«. Der »Krieg gegen den Terrorismus« scheint endlos; zusätzlich drohen Cyberkriege, Kriege mit chemischen oder bakteriologischen Kampfstoffen und sogar die neuerliche Proliferation von Atomwaffen. Doch wenn wir uns »im Krieg« befinden, um welchen Krieg handelt es sich eigentlich? Heute haben die meisten Bürgerinnen und Bürger westlicher Staaten zu ihren Lebzeiten weder kriegerische Auseinandersetzungen in ihren Ländern noch eine Generalmobilmachung erlebt. In Frankreich muss man für die letzte formelle Kriegserklärung bis zum 3. September 1939 zurückgehen. Und doch war die französische Armee nach dem Zweiten Weltkrieg in Indochina im Kampfeinsatz, und eine ganze Generation war aufgerufen, in Algerien zu kämpfen. Von offizieller Seite wurde der »Algerienkrieg« – euphemistisch als »Ereignisse in Algerien« bezeichnet – lange Zeit geleugnet. Seit den 1960er Jahren hat sich Frankreich an über 30 Militäreinsätzen in seinen ehemaligen afrikanischen Kolonien beteiligt. Mehr als 11 000 französische Soldatinnen und Soldaten sind gegenwärtig von Afrika bis zum Nahen Osten im Einsatz. Für Jugendliche in den USA sieht es heute genauso aus. Sie haben ihr ganzes Leben lang in einem Land gelebt, das sich »im Krieg« befand – allerdings nicht in dem Sinne, wie ihre Urgroßeltern das Wort verstanden: Seit dem 4. Juni 1942 hat der Kongress keinen Krieg mehr erklärt (damals gegen Rumänien, Bulgarien und Ungarn). Das bedeutet aber nicht, dass die Vereinigten Staaten keine bewaffneten Einsätze, gelegentlich unter dem Mandat der Vereinten Nationen oder in Form von Spezialoperationen, fast überall auf der Welt durchgeführt hätten.

      Das Ende der Wehrpflicht, der Abzug uniformierter Soldat*innen aus dem öffentlichen Raum in den meisten Ländern des Westens (daher das Erstaunen in Frankreich, als mit Sturmgewehren Bewaffnete zum Schutz der Bevölkerung vor Terroranschlägen in den Straßen zu sehen waren), ein auch für die meisten Soldat*innen schwindendes Risiko, im Kampf zu sterben: »Wohin sind all die Soldaten verschwunden?«, fragte der amerikanische Historiker James Sheehan bereits vor 10 Jahren in einem Buchtitel.1 Wenn sich die Gewalt des Krieges auch insgesamt aus der westlichen Welt zurückgezogen hat – mit Ausnahme der Terroranschläge, die regelrechte »Kriegswunden« hinterlassen –, so ist sie zugleich omnipräsent auf unseren Bildschirmen und ruft widersprüchliche Reaktionen wie Fassungslosigkeit und Banalisierung hervor. In den 1990er Jahren brachten die ethnischen Säuberungskampagnen im ehemaligen Jugoslawien wieder Bilder von Massenmorden zurück, die man vom europäischen Kontinent verbannt glaubte. Am 18. November 1991 wurde das kroatische Vukovar nach siebenundachtzigtägiger Belagerung durch Bombardement beinahe vollständig dem Erdboden gleichgemacht – als erste europäische Stadt seit 1945. Beim Völkermord an den Tutsi in Ruanda, der zwischen April und Juli 1994 stattfand, wurden wir zu Zeitgenossen der planmäßigen Ermordung von 800 000 bis 1 Million Frauen, Männern und Kindern auf Grundlage ethnischer Kriterien. Aktuell kommen aus dem Bürgerkrieg in Syrien, der laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte seit März 2011 über 350 000 Menschenleben gekostet hat, regelmäßig Nachrichten über eine Zivilbevölkerung, die unter Bomben begraben wird und die Giftgasangriffen, der Repression des Regimes Baschar al-Assads oder der Gewalt der Rebellen und Dschihadisten zum Opfer fällt. Schätzungen zufolge gibt es 6 Millionen Vertriebene innerhalb Syriens und 5,6 Millionen Syrer*innen, die in die Nachbarländer, insbesondere in die Türkei, in den Libanon oder nach Jordanien geflohen sind: Es handelt sich um die größte humanitäre Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg.

      Wie wir Krieg führen, wie wir ihn erfahren und wie wir ihn darstellen, sind die zentralen Themen des vorliegenden Werkes. Es geht um das Erbe zweier entscheidender Jahrhunderte: des 19. und des 20. Jahrhunderts. Von den Konflikten der Französischen Revolution und des Kaiserreichs bis in die Gegenwart hat sich der Krieg nicht nur in seinen Dimensionen, sondern auch seiner Natur nach verändert. Was wir »modernen Krieg« nennen – und was eher aus einer chaotischen Entwicklung als aus einer präzisen Abfolge von Entwicklungsschritten im Zeitalter der Nationalstaaten und Kolonialreiche hervorgegangen ist –, zeichnet sich durch eine immer umfassendere Einbeziehung der Bürger*innen in die Landesverteidigung, durch weitreichende Veränderungen der Bewaffnung und durch eine Auflösung des raumzeitlichen Rahmens der Kriegserfahrung aus – und zwar in einem Maße, dass die Begriffe »Schlacht« und »Schlachtfeld« im Laufe des 20. Jahrhunderts ihre traditionelle Bedeutung eingebüßt haben. Darüber hinaus charakterisieren ihn ein höheres Maß an Gewalt für Kämpfende und für die Zivilbevölkerung (ein Bruch, der von den Zeitgenoss*innen als solcher wahrgenommen wurde), ein Verschwimmen der ohnehin schon porösen Grenzen zwischen Kombattant*innen und Nichtkombattant*innen, eine beispiellose Mobilisierung der Gesellschaft, Umweltzerstörung, wie es sie in der Vergangenheit nicht gegeben hat, aber auch die Erarbeitung völlig neuer Rechtsrahmen und Rechtsverfahren. Besonders im Zeitraum zwischen 1860 und 1960 kam es zu einer technologischen Revolution, die entsetzliche Folgen hatte. Niemals war der Krieg in seiner fürchterlichsten vorstellbaren Form (Angriffe auf Städte aus der Luft, unmittelbare Vernichtung der gesamten Bevölkerung, Waffen, die ohne sichtbare Verletzungen töten) mit einer so erschreckenden Effizienz geführt worden. Mehreren Generationen schrieb er den Massentod ins Bewusstsein. Seit 1914 haben die Kriege 120 bis 150 Millionen Todesopfer gefordert, 40 Millionen davon Soldatinnen und Soldaten – das entspricht 8 bis 10 Prozent der Weltbevölkerung im Jahr 1900.

      

      Dieses Buch zeichnet die Geschichte eines Wandels nach, der das Leben der Menschheit in weniger als zweieinhalb Jahrhunderten komplett umgewälzt hat. Nichtsdestotrotz ist es eine, nicht die Geschichte des Krieges: Hinsichtlich Narrativ und Begrifflichkeiten wären andere Entscheidungen möglich gewesen, hätte der Akzent statt auf eine thematische auf eine chronologische Darstellung gelegt oder wiederum die Strategie, die internationalen Beziehungen oder die Diplomatie in den Vordergrund gerückt werden können. Ohne diese Aspekte zu vernachlässigen, widmet sich dieses Werk mit gleicher Aufmerksamkeit Kombattant*innen und Nichtkombattant*innen, der Front und dem Hinterland. Denn tatsächlich ist der Krieg unserer Epoche durch die Beteiligung der Nichtkombattant*innen am Kriegsunterfangen und durch die zunehmende Zahl von Zivilist*innen unter den Opfern charakterisiert.

      Ausgangspunkt ist unsere Überzeugung, dass der Krieg eine gesamtgesellschaftliche Tatsache ist und außerdem ein kultureller Akt. Natürlich ist er das Geschäft der Staatslenker*innen und Militärs, doch er nimmt auch umfassender die Gesellschaften und die Individuen in die Pflicht. Er erschüttert die politischen und sozialen Institutionen, mobilisiert in manchmal beispiellosem Ausmaß ökonomische und ökologische Ressourcen, verbraucht selbstverständlich militärische Mittel und gibt – ebenso notwendig – mächtigen


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