Ellenbogenfreiheit. Daniel C. Dennett

Ellenbogenfreiheit - Daniel C. Dennett


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Woodfield. Hugo Bedau, John Mazzone und meine anderen Kollegen und Studenten an der Tufts Universität halfen ebenfalls mit konstruktiver Kritik und Vorschlägen. Schließlich gilt mein Dank der Fakultät für Philosophie in Oxford für ihre freundliche Einladung und allen in Oxford für ihre großzügige Gastfreundschaft gegenüber mir und meiner Familie.

      Daniel C. Dennett

       Tufts University

       Januar 1984

      Kapitel I

       Bitte keine Schreckgespenster

      James D. McCawley

      Die Vorstellung eines Fatums ist älter als die Philosophie selbst, und seit es dieses Fach gibt, haben Philosophen zu zeigen versucht, was an der Vorstellung falsch ist, daß unser Schicksal vor unserer Geburt besiegelt sei. Es erschien stets wichtig zu beweisen, daß wir nicht bloß unser Schicksal ausführen, sondern irgendwie unsere Wege selbst finden, Entscheidungen treffen – nicht bloß „Entscheidungen“ in uns aufkommen lassen.

      In der Frühzeit der griechischen Philosophie standen Überlegungen zur Kausalität im Brennpunkt der Aufmerksamkeit, und manche Philosophen begannen sich zu fragen, ob nicht alle physikalischen Ereignisse durch die Gesamtsumme aller vorausgegangenen Ereignisse verursacht oder determiniert werden. Wenn es so ist – wenn, wie wir sagen, der Determinismus wahr ist – dann müssen unsere Handlungen selbst, als physikalische Ereignisse, determiniert sein. Wenn der Determinismus wahr ist, dann ist jede unserer Taten und Entscheidungen, so scheint es, das unausweichliche Ergebnis der Summe der physischen Kräfte, die in dem Moment wirken, der wiederum das unausweichliche Ergebnis der Kräfte ist, die einen Augenblick zuvor wirkten, und so fort bis zum Anfang der Zeit.

      Wie könnten wir dann frei sein? Die Epikureer, die überraschend moderne Materialisten waren (sie glaubten, daß das Bewußtsein aus materiellen Atomen zusammengesetzt sei genauso wie alles andere), versuchten, sich von dieser drohenden Gefahr der vorherbestimmten Wahl zu befreien, indem sie das System der allgemeinen Verursachung da und dort aufbrachen. Sie postulierten, daß Atome gelegentlich „zufällige Abweichungen“ zeigen.

      „Schließlich, wenn immer jede Bewegung verknüpft ist und aus der alten Bewegung immer wieder die neue in bestimmter Ordnung entsteht und die Urkörper nicht durch Abbiegen vom Wege einen Anfang der Bewegung machen, der die Gesetze des Fatums bräche, daß nicht Ursache auf Ursache folge seit unendlicher Zeit, woher kommt dann den lebenden Wesen über die ganze Welt hin, woher kommt, frage ich, dieser freie, vom Fatum losgerissene Wille…?“ (Lukrez, Über die Natur der Dinge, Berlin 1972, II, Zeilen 250–255).

      Die oft wiederholte Schwierigkeit bei diesem Lösungsvorschlag (und seinen moderneren Varianten) ist, daß, selbst wenn solche zufälligen Abweichungen passieren, sie anscheinend nicht dazu dienen können, uns die Art von freiem Willen zu verschaffen, die wir uns wünschen. Wenn ein Atom in meinem Gehirn plötzlich mit einer zufälligen Abweichung abdreht, muß es das „völlig grundlos“ tun, und wenn dies mich veranlaßt, etwas Wichtiges zu beschließen oder zu entscheiden, bin ich vollkommen in der Gewalt dieser zufälligen Abweichungen. Zufällige Wahl, so blind und willkürlich wie der Fall eines Würfels oder die Drehung eines Glücksrads, scheint überhaupt nicht wünschenswerter zu sein als vorherbestimmte Wahl. In der Tat waren viele der Meinung, daß es weniger wünschenswert sei, und haben daraufhin verschiedene Möglichkeiten der Vereinbarung des freien Willens mit dem Determinismus vorgeschlagen (verschiedene Varianten des Rekonziliationismus oder, wie er häufiger genannt wird, des Kompatibilismus). Manche dieser Aussöhnungsversuche sind kaum attraktiver als die schreckliche Aussicht, die sie versperren sollten.

      Die Stoiker z. B. behaupteten, daß eine gewisse Art von Freiheit darin gefunden werden könnte, daß man nicht gegen das Unvermeidliche ankämpft, sondern vielmehr seine Wünsche nach unten anpaßt, um seiner Lebenslage Rechnung zu tragen. Sie empfahlen eine Haltung weiser Resignation, die sie Apatheia nannten. Und obwohl man bedenken sollte, daß der Begriff während seiner etymologischen Reise bis zu unserer heutigen Apathie vereinfacht und negativ besetzt wurde, bleibt die Tatsache, daß die Stoiker ihre Lehre gerne mit Hilfe manch besonders depriminierender Metaphern erklärten. Jedem von uns ist eine Rolle in der Tragödie des Lebens zugewiesen, so versuchten sie klarzumachen, und es gibt für uns nichts anderes zu tun, als unsere vorgeschriebenen Zeilen so gut, wie wir können, aufzusagen; es gibt keinen Raum, um aus dem Stegreif zu sprechen. Oder man denke an einen angeleinten Hund, der hinter einem Wagen hergezogen wird; er kann friedlich hinterhertrotten oder sich widersetzen. In jedem Fall wird er am selben Bestimmungsort ankommen, aber wenn er sich in seine Bestimmung schickt und das Beste aus der Reise macht, genießt er eine gewisse Art von Freiheit. Mit einem Strick um den Hals durchs Leben geführt zu werden – was für eine Freiheit!

      Seit mehr als zwei Jahrtausenden versuchen Philosophen, eine Lehre über den freien Willen zu entdecken, die sowohl attraktiver als auch auf rationalere Weise zu verteidigen ist als diese schrecklichen und nicht sehr anziehenden Anfänge. Es wird oft gesagt (was plausibel ist; aber ich frage mich, wie zutreffend es ist), daß mehr über den freien Willen geschrieben worden ist als über jedes andere philosophische Thema. Jeder Philosoph sollte sich wenigstens ein bißchen verunsichert fühlen, wenn er sieht, daß mit so viel Arbeit so wenig Fortschritt erreicht wurde.

      Das Problem mit der Philosophie, sagen manche, ist, daß sie keine Wissenschaft ist; wenn sie wissenschaftlicher wäre, dann würde sie ihre lösbaren Probleme vollständig lösen und den Rest beiseitelegen. Das Problem mit der Philosophie, sagen andere, ist, daß sie versucht, Dinge „wissenschaftlich“ zu sehen, die nur mit Mitteln der Kunst behandelt werden können. Wenn sie ihre Affäre mit der wissenschaftlichen Methode beenden würde, müßte sie ihre Projekte nicht länger in Begriffen vortragen, die das Scheitern garantieren. Das Problem mit der Philosophie ist, glaube ich, daß sie viel schwieriger ist, als es sich sowohl Wissenschaftler als auch Künstler vorstellen, denn sie teilt – notwendigerweise – die Zielvorstellungen und Methoden beider.

      Es gibt unabweisbare philosophische Fragen – „Haben wir einen freien Willen?“ ist eine davon –, die klare, wohlbegründete, folgerichtig hergeleitete Antworten verlangen. Wir sollten uns nicht mit verblümten, impressionistischen Antworten abfinden, wie attraktiv oder bewegend sie auch sein mögen. Aber die meisten Versuche, wirklich streng mit philosophischen Fragen umzugehen – und Fragen über die Willensfreiheit sind keine Ausnahme – verwickeln sich in die Probleme voreiliger Formalisierung. Es gibt eine Unzahl von bewußt technischen Arbeiten von Philosophen über das Problem des freien Willens, die, ironischerweise, nur von ästhetischem Interesse sind (für Kenner der Formelarchitektur oder des logischen Schattenboxens), weil sie einfach den Kontakt mit den wirklichen Problemen nicht herstellen können. Eine der Aufgabe angemessene Methode zu finden, ist das ewige erste Problem der Philosophie, und es gab nie einen weitgehenden Konsens über die richtige oder beste Methode. Jedes Buch über den freien Willen gibt ipso facto eine Erklärung über die Methode ab darüber, wie man sich dem Problem nähern sollte. Das vorliegende Buch wird sich in der unmittelbaren Folge dem Problem der Methode bewußter zuwenden. Meine Methode, die sich gleich in Aktion zeigt, nimmt die Wissenschaft sehr ernst, aber ihr Vorgehen ähnelt mehr dem der Kunst.

      Zu meiner Studentenzeit dachte ich, ich würde Bildhauer werden, und ich wandte mich mit mehr Energie Holz- und Steinblöcken zu als der Philosophie oder auch der Wissenschaft. Während ich an diesem Buch arbeitete, kam es mir in den Sinn, daß ich die Methoden, die ich im Atelier entwickelte, nicht aufgegeben, sondern einfach das Medium ausgetauscht hätte. Anders als ein Zeichner, der jede Linie mit dem ersten Strich des Zeichenstiftes gleich richtig treffen muß, hat der Bildhauer den Luxus, so lange kleine Stückchen abschlagen und schleifen zu können, bis die Linien und Oberflächen genau richtig aussehen. Zuerst bearbeitet man den Block grob, wobei man ab und zu einen Schritt zurückgeht und ihn argwöhnisch anschaut,


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