Die chinesische Messaging-App WeChat als virtuelle Sprachinsel. Michael Szurawitzki
einschätzen, wie sie tatsächlich (mit den Chinesen?) kommunizierten. Die Berichte der Jesuiten lösten im Europa des späten 17. und des 18. Jahrhunderts später eine Chinabegeisterung aus (zur Geschichte der Chinarezeption vgl. von Collani 2012, Kap. IX, 145-161, vgl. für eine detaillierte Aufstellung der deutschsprachigen Drucke der Chinareisenden im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit Jandesek 19923), die aber vor allem Frankreich erfasste. Im Vergleich war in Deutschland die Stimmung verhaltener bzw. ambivalenter:
Als Fürsprecher für einen engeren Kontakt zwischen der europäischen und der chinesischen Kultur trat Leibniz4 auf (Novissima Sinica, 16915), der die praktische Philosophie in dem seiner Ansicht nach vollendet geordneten Reich der Mitte besser verwirklicht glaubte und den Wunsch aussprach, daß lieber von dort Missionare nach dem Westen geschickt werden sollten. Viel skeptischer war dagegen Goethe, der das Chinesische vorwiegend als eine „Kuriosität“ gewertet wissen wollte, sich aber dennoch in einigen Werken (vor allem in den Chinesisch-deutschen Jahres- und Tageszeiten) von Übersetzungen aus dem Chinesischen anregen ließ. (Grimm/Bauer 1974: Sp. 250; Hervorhebungen i.O.)
Leibniz dürfte trotz seines Einflusses mit seiner Meinung eher wenige Unterstützer gefunden haben, so dass die Vorstellung einer dem Westen überlegenen chinesischen Kultur so kaum weiter verbreitet worden sein kann. Kulturelle Gleichberechtigung wurde nicht angestrebt, ein kommunikativer Austausch auf Augenhöhe sollte noch Jahrhunderte lang nicht stattfinden; zu stark wirkten die Positionen aus den Heimatländern der Missionare. Auf einen Dialog mit den Chinesen wurde nicht gesetzt.
Die Jesuiten zogen sich nach dem sog. Ritenstreit Mitte des 18. Jahrhunderts, in dem man sich über die Art und Weise, wie christliche Mission in Asien generell zu betreiben sei (vgl. Huonder 1921, Minamiki 1985, Mungello 1985), entzweit hatte, aus China zurück. Ihren Platz nahmen während des 19. Jahrhunderts, das in der deutschsprachigen Sinologie v. a. die Chinesische Grammatik (1881) von Georg v.d. Gabelentz sah (Franke 1974: Sp. 1232), Andere ein:
[So] kamen im 19. Jh. andere katholische Missionen (so z. B. seit 1881 die Steyler Patres, darunter viele Deutsche) und vor allem auch protestantische Missionare nach China, unter denen die deutschen (u. a. die „Berliner Mission“ und die „Baseler Mission“) gegenüber den angelsächsischen freilich eine untergeordnete Rolle spielten. Einer der frühesten war der erst im Dienst der „Niederländischen Missionsgesellschaft“, dann als freier Missionar tätige Karl Friedrich August Gützlaff, der in China („Papa Kuo“) wie in Deutschland zu einer etwas zwiespältigen Berühmtheit gelangte, 1833 eine chinesische Zeitschrift über europäische Themen, die auch eine Beschreibung Preußens enthielt, und ca. 1844/45 eine chinesische Weltbeschreibung (Wan-kuo ti-li ch’üan t’u chi) herausgab, die eine Schilderung Deutschlands mit einschloß. Wie alle anderen Missionen wurden jedoch auch die deutschen allmählich immer mehr in die Kolonialinteressen ihres Heimatlandes verstrickt: Die Tötung zweier Steyler Patres (1897) gab Deutschland den Vorwand für die Besetzung des Kiaochow (Chiao-chou)-Gebietes, die am 6. März 1898 durch einen „Pachtvertrag“ legalisiert wurde. (Grimm/Bauer 1974: Sp. 250-251; Hervorhebungen i.O.)
Die oben beschriebene eurozentrische Kommunikations- und Aktionsperspektive der Missionare wurde in anderer, analoger Form vom Kolonialismus abgelöst. Der Abschluss des oben zitierten Passus bietet eine für unseren Kontext geeignete Überleitung: Im Folgenden betrachten wir die kolonialen Bestrebungen des Deutschen Reiches in China.
2.2. Koloniale Bestrebungen des Deutschen Reiches in China
Die deutsch-chinesischen Beziehungen im politischen Sinn des Begriffs beginnen kaum vor der Mitte des 19. Jh. Die preußische Ostasienexpedition (wörtl. Expedition nach China, Japan und Siam) unter Graf Friedrich zu Eulenburg 1860-1862 wird in der Regel mit diesem Beginn ineinsgesetzt. Sie handelte im Namen des Norddeutschen Bundes (Zollvereins), und ihr Leiter schloß mit dem chinesischen Kaiserreich am 2. Sept. 1861 einen Freundschafts- und Handelsvertrag. (Grimm/Bauer 1974: Sp. 245)
Seit den 1850er Jahren waren Deutsche entlang der chinesischen Küste im Rahmen einer auf Expansion ausgerichteten Handels- und Schifffahrtspolitik aktiv, es gab an verschiedenen Hafenstandorten hanseatische Konsuln. Diese Aktivitäten hatten nach dem Nankinger Vertrag von 1842 zur Beendigung der Opiumkriege und der sukzessiven Ermöglichung eines freieren Handels in den chinesischen Küstenstädten begonnen (vgl. Wood 1996), der primär den Briten zu Profit und Kontrolle in der Region verhelfen sollte (sie annektierten v. a. Hongkong). Deutschland folgte dem britischen Beispiel: „Aufbruch, Beginn und Ausbau der Beziehungen erfolgten bis in die 1880er Jahre durchaus im Fahrwasser der englischen Vormacht, politisch und auch ökonomisch war die deutsche Rolle in China eine sekundäre.“ (Grimm/Bauer 1974: Sp. 245) Alles, was den wirtschaftlichen Interessen dienen konnte, wurde umgesetzt, diesen Zielen war jedwede Kommunikation untergeordnet. Ein Austausch mit den Chinesen blieb auf das Notwendigste beschränkt. China begriff Preußen als eine der kleineren involvierten Mächte und verhielt sich ihm gegenüber einerseits entsprechend zurückhaltend und bewusst verzögernd:
Auf der anderen Seite bedeutete der erfolgreiche Abschluß eines Vertrages mit China für das aufstrebende Preußen eine willkommene Stärkung seiner Position in Europa. (Grimm/Bauer 1974: Sp. 245)
Der Sieg gegen Frankreich 1870/71 stärkte Preußens Position in Europa und auch im imperialistischen Machtgefüge, in dem Frankreich neben den Briten Deutschland voraus gewesen war, nachhaltig. Diese neue exponierte Rolle fiel zeitlich zusammen mit dem Wunsch des spätkaiserlichen China, eine moderne Armee aufzubauen; dieser „sollte fortan auch mit Hilfe deutscher Waffen und Militärexperten“ (Grimm/Bauer 1974: Sp. 246) realisiert werden. An dieser Stelle nimmt China eine aktivere Rolle in der bis hierhin zumeist von den Deutschsprachigen diktierten Kommunikation ein:
Der in Tianjin residierende Kanzler Li Hongzhang (1823–1901), der 1896 als Kaiserlicher Bevollmächtigter gemeinsam mit seinem deutschen Berater Gustav Detring (1842–1913) Russland, Europa und Amerika besuchte, war eher deutschfreundlich eingestellt und sah in Deutschland in Bezug auf Waffentechnik, militärische Organisation und Schulung von Soldaten ein Vorbild für China. Er sah darin wohl auch die Chance, durch eine Balance innerhalb des Landes, die westlichen Mächte gegeneinander auszuspielen. Gustav Detring fungierte zwischen 1877 und 1905 als chinesischer Seezolldirektor in Tianjin und hatte als Berater Li Hongzhangs dessen pro-deutsche Einstellung sicher mit beeinflusst. Mit Hilfe des früheren Generalgouverneurs von Zhili und späteren Kanzlers Li Hongzhang war es Deutschland gelungen, seine wirtschaftlichen Beziehungen zu China zu verbessern, denn – so die Auffassung des Historikers Ding Jianhong – Li war nicht nur ein Bewunderer Bismarcks, er war ebenso überzeugt von der Überlegenheit deutscher Waffentechnik. Abgesehen davon hegte er auch die Hoffnung, die in China vertretenen westlichen Mächte in gegenseitigen Rivalitäten zu binden und damit China einen Vorteil zu verschaffen. Die Waffengeschäfte deutscher Unternehmen, an ihrer Spitze die Firma Krupp, hatten Mitte der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts einen Höhepunkt erreicht. Um diese Zeit war China der größte ausländische Abnehmer deutscher Rüstungsgüter geworden. (Schmitt-Englert 2012:39)
Nach Grimm/Bauer (1974) prägte die daraufhin eingegangene Handelskooperation zur Realisierung politischer Ziele in beide Richtungen (hier wird sukzessive erstmals eine eher auf Augenhöhe geführte Kommunikation wichtiger) das Bild des jeweils anderen Landes wohl nachhaltiger als vielerlei kultureller Austausch:
Es gehört zu den ungern wahrgenommenen Tatsachen in den deutsch-chinesischen Beziehungen, daß Waffengeschäfte und Militärexpertisen in Verbindung mit Fleiß, technischem Können und Ordnungsliebe das Bild des Deutschen in China mehr geprägt haben als kulturelle Errungenschaften. Auch umgekehrt muss festgehalten werden, daß es die autoritären Züge der chinesischen politischen Kultur gewesen sind, die das deutsche Bewußtsein von China mehr als solche revolutionärer Art bestimmt haben, und zwar seit der Taiping-Revolution1 [1851-1864; MSZ] bis 1949. (Grimm/Bauer 1974: Sp. 246)
In jedem Fall zeigte sich eine schnell ansteigende geschäftliche Aktivität von Deutschen in China:
Schon bald nach der Niederschlagung des Taiping-Aufstandes bewirkte die Öffnung des Suez-Kanals 1869 einen gewaltigen Schub im deutschen Chinahandel. 1877 waren bereits 41 deutsche Firmen in China vertreten, von denen sich 17 in Shanghai niedergelassen hatten. Entsprechend war die