Ostprinzessinnen tragen keine Krone. Cornelia Heynen-Igler

Ostprinzessinnen tragen keine Krone - Cornelia Heynen-Igler


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Jahren bereits ein Teenager. Sie hat später oft die Rolle einer Ersatzmutter für mich übernehmen müssen, vor allem, als meine Mutter im Krankenhaus zu arbeiten anfing und ich aufgrund ihrer Schichtarbeit oft allein war. Meine Schwester hatte es in ihrer Jugend nicht immer leicht, sie musste früh Verantwortung übernehmen. Vielleicht mit ein Grund dafür, dass meine Mutter und sie phasenweise ein recht angespanntes Verhältnis hatten. Auch Marina und ich geraten bis heute immer wieder mal aneinander, wir sind schon sehr unterschiedlich. Wenn ich in ihren Augen zu wenig Beherrschung habe, dann hat sie in meinen zu viel. An ihrem 60. Geburtstag in einem Gutsherrenhaus in Mecklenburg zum Beispiel habe ich ihr, ohne es zu wollen, das Fest gründlich vermasselt, weil ich dem in meinen Augen unfähigen Servicepersonal dort gehörig die Meinung gesagt habe – vor der ganzen Festgesellschaft, versteht sich. Marina fühlte sich in ihrer Rolle als Gastgeberin und Grande Dame brüskiert und hat sich für mich in Grund und Boden geschämt. Nachher herrschte erst mal eine Weile Funkstille zwischen uns, und bis heute haben wir noch nicht richtig über den Vorfall geredet. Schade, aber über kurz oder lang finden wir immer wieder den Rank zueinander.

       Im Gegensatz zu meiner älteren Schwester wurde ich in dem Sinn verwöhnt, dass ich mir schon früh Dinge herausnehmen durfte, die ihr und meinem Bruder noch versagt geblieben waren. Wohl haben meine Eltern mir gegenüber mehr Nachsicht geübt, was sich bestimmt auch auf mein Wesen und mein Gemüt ausgewirkt hat. Als wir unsere Mutter im Erwachsenenalter mal fragten, welches von uns drei Kindern sie auf eine einsame Insel mitnehmen würde, meinte sie geradeheraus: »Katja – die kennt sich aus und nimmt nichts so schwer!«

       1969, im Jahr meiner Geburt, wurde mein Vater zum Konteradmiral ernannt. Er war Anfang der 1970er-Jahre der jüngste Admiral der DDR, was der »Neuen Berliner Illustrierten« – einer damals auflagestarken Wochenzeitschrift – ein wohlwollend formulierter Artikel wert war. In dem 1972 erschienenen Interview fragte ein Journalist meinen Vater, ob er als »Landratte« aus Sachsen-Anhalt in seiner Eigenschaft als seefahrender Admiral noch nie unter Seekrankheit gelitten habe. Schließlich hatte mein Vater zu dem Zeitpunkt mit all seinen Seereisen zusammen schon fast die Welt umsegelt. »Das ist vornehmlich eine Willensfrage«, erwiderte mein Vater nüchtern, »man muss sich überwinden können.« Typisch! Eigentlich habe ich meinen Vater als Privatperson erst nach 1988 bewusst wahrgenommen, nachdem er aus dem Aktivdienst entlassen worden war. Aber da waren meine Geschwister ja schon aus dem Haus und führten ihr eigenes Leben; sie hatten meinen Vater bestimmt auf eine andere Art kennengelernt als ich.

       »Mensch, wie habe ich das alles nur geschafft!«, hat meine Mutter im Nachhinein oft seufzend ausgestoßen. Sie muss es mit uns drei doch sehr unterschiedlichen und mitunter auch recht schwierigen Kindern nicht immer leicht gehabt haben, zumal sie sich ja kaum jemandem anvertrauen konnte. »Lasst euch ja nie in die Karten schauen!«, hat sie uns oft eingebläut, und ich glaube, dass sie sich selbst am meisten daran gehalten hat. Es blieb ihr ja auch nichts anderes übrig in einem System, in dem jeder jeden überwacht hat. Die Angehörigen der regierungsnahen Kreise waren davon nicht ausgenommen, ganz im Gegenteil. »Du musst den Feind in der Umarmung erdrücken«, war auch so ein mütterliches Losungswort, das mich nachhaltig beeindruckt und immer auch ein wenig befremdet hat. Ja, meine Mutter konnte unerbittlich sein, und in gewisser Weise war sie bei weitem härter und sturer als mein Vater. Nach außen Stärke zeigen, selbst wenn es einem innerlich noch so mies geht, das haben wir indes von beiden Elternteilen regelrecht eingetrichtert bekommen.

       Anfang der 1970er-Jahre wurde mein Vater nach Rostock abkommandiert. Dort übernahm er als Chef des Stabes der Volksmarine die Dienstgeschäfte. So zog die ganze Familie von Dranske nach Rostock in eine kleine Wohnung. Als mein Vater zu jener Zeit in der Familienchronik notierte, dass sich die Familie an die Umgebung gewöhnt hätte, schrieb meine Mutter spitz hinzu: »Das glaubst auch nur du!« Meine Mutter musste sich ja bei jedem Umzug in ihrem Alltag neu zurechtfinden und sich jedes Mal aufs Neue einen Freundeskreis aufbauen, während mein Vater durch seine berufsbedingte Abwesenheit in gewisser Weise sein eigenes Leben in der Männerwelt der Marine führte.

       Zwei Jahre später zogen wir dann innerhalb von Rostock in ein Haus in einer Siedlung für Armeeangehörige um. Das muss man sich als ein abgesperrtes Gebiet mit Bewachungskommando vorstellen, was für mich als Kind – ich war beim Einzug erst vier Jahre alt – nichts Ungewöhnliches war. Erst nach der Wende erfuhr ich von meinem Kinder- und Jugendfreund René, der als Admiralssohn auch in jener Siedlung aufwuchs, dass unser Haus vollständig verwanzt war, genauso wie das Telefon. Neben dem Diensttelefon meines Vaters hatten wir auch ein Privattelefon im Haus, wobei ein Privatanschluss in der damaligen DDR keine Selbstverständlichkeit war. Mir wird heute noch übel, wenn ich daran denke, was sich die Stasi aus meinem intimsten Jungmädchen-Leben alles angehört hat. Mein Vater hingegen hat gewusst, dass die Regierung über die Stasi ihre eigenen Leute ausspioniert. Darum hat er jeden neuen Chauffeur stets mit den Worten begrüßt: »Ich weiß schon, warum Sie hier sind!« Und von diesen sogenannten »IM« – inoffiziellen Mitarbeitern der Staatssicherheit – hat mein Vater im Verlauf seiner Karriere eine ganze Menge kommen und gehen sehen, da er in seiner Position ungefragt einen Chauffeur mit Dienstauto zur Verfügung gestellt bekam. Darum hat mein Vater seinen Führerschein auch erst gemacht, als er pensioniert war: Vorher hätte es schlicht keine Veranlassung dazu gegeben.

       Unsere Familienkutsche indes hat meine Mutter chauffiert. »Solange ich eine Frau und einen Chauffeur habe, brauche ich keinen Führerschein«, pflegte mein Vater zu spaßen. Und wir hatten es ja auch gut: Während normale DDR-Bürger fünfzehn bis zwanzig Jahre auf ein Auto warten mussten, kamen meine Eltern ungleich schneller zu ihrem himmelblauen »Trabi« und später zu ihrem gelben »Wartburg«. Ich selbst habe mit siebzehn den Führerschein auf Lastwagen bei der »Gesellschaft für Sport und Technik« gemacht, für schlappe sechzig Mark. Daran erinnere ich mich noch genau, weil mir mein Bruder als Berufsoffizier damals das Fahren beigebracht hat.

       Dass wir privilegiert waren, habe ich erst im Alter von dreizehn, vierzehn Jahren bemerkt. Auch wir Kinder wurden herumchauffiert, wenn wir außerhalb der Schule Termine wahrzunehmen hatten, wie etwa einen Zahnarztbesuch oder einen Gang zum Amt. In den Urlaub fuhren wir immer an besondere Orte: im Sommer ins wunderschön gelegene Ostseebad Wustrow, wo fünf Bungalows den obersten Befehlshabern der Marine zu Verfügung standen, und im Winter nach Oberwiesenthal ins Erzgebirge. Das war ein Topp-Winterkurort damals. Auch wenn ich die Ferien dort immer sehr genossen habe, ist mir doch schon mit neun oder zehn Jahren bewusst geworden, dass die Sonderstellung meines Vaters für uns Kinder auch Bürde und Verzicht bedeutete. In der Unterstufe wollte ich zum Beispiel – wie die Kinder mit Westkontakt – »Edding«-Filzstifte oder »Pelikan«-Füllfederhalter haben. »Pass auf«, sagte da mein Vater zu mir, »es gibt keine westlichen Produkte für uns. Als Tochter eines hochrangigen Offiziers musst du linientreu sein. Lass dich nur ja nie überreden!« Und wenn ich gefragt habe, warum, dann hat mein Vater weit ausgeholt. Seine Vorträge konnten gut und gern zwei Stunden dauern. Einmal habe ich zu Hause gefragt, ob ich in die Christenlehre gehen könne wie eine Mitschülerin von mir, die immer so wunderschöne farbige Heiligenbildchen bei sich hatte. Mein Vater, als überzeugter Atheist, ist natürlich fast vom Stuhl gefallen, ich muss heute noch lachen, wenn ich daran denke! Später habe ich begriffen, dass ich meine privilegierte Stellung zugunsten meiner weniger privilegierten Mitschüler nutzen konnte. Ich gehörte zu denen, die sich in der Schule für die Schwachen eingesetzt haben; ich war ja auch Klassensprecherin. Und wenn ich bei einer Aktion wieder mal Rädelsführerin war, rechnete ich natürlich insgeheim damit, dass mich mein Vater da schon wieder herausboxen würde, wenn’s hart auf hart käme. Trotzdem bekam ich in Staatsbürgerkunde regelmäßig schlechte Noten, weil ich »zu viele Fragen« stellte. Gerade ich, als meines Vaters Tochter, durfte mir so etwas in meiner sogenannten »Vorbildfunktion« nicht leisten!

       In der achten Klasse gab’s ein paar Jungs, die mit mir anbändeln wollten, aber mir gefiel nur einer: Timo. Obschon ich keine Jungs mit nach Hause bringen durfte, weil meine Mutter in dieser Beziehung überhaupt nicht offen war, hat sie’s herausgefunden. Daraufhin hat sie Timo kurzerhand nahege-legt, »das Kind« ein für alle Mal in Ruhe zu lassen. Später dann tauchte eine Zeit lang täglich um drei Uhr nachmittags ein Junge bei uns auf, der – weil ich mich nicht


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