Der Verdrüssliche. Eva Holzmair

Der Verdrüssliche - Eva Holzmair


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Anblick. Auch Wilfried bevorzugte die linke Seite. Im Bett. Eigentlich die rechte, von ihm aus gesehen, aber links, wenn sie davorstand und ihn anschaute. Anfangs erregt, später resigniert. Die Übergänge zwischen – endlich! – und – nicht schon wieder! – waren unmerklich aber stet verlaufen, während sie zusehends die Orientierung verlor. Aus diesem Irrgarten musste sie erst finden. Das hat sie geschafft. Ja doch! Oder bildet sie sich das bloß ein? Heute Morgen ihr Leeranruf. Hat sie tatsächlich geglaubt, Wilfried würde abheben?

      Schluss damit! Darüber nachzudenken, bringt nichts. Nur irgendwie hängt alles zusammen. Wilfried. Der Messerschmidt­-Kopf. Die beiden Statuen vor ihr. Als eherne Zeugen einer anderen Welt haben sie Carola begleitet, neue Sichtweisen eröffnet und so manches emotionale Chaos geklärt. Es gibt immer einen Weg. Doch was erwartet sie dort, wo er aufhört? Zweifelt sie nun nicht genauso an der Sinnhaftigkeit ihres Tuns, wie es Maria Theresia gegen Ende ihrer Regentschaft tat? Die alte Kaiserin hatte wenigstens ihren Glauben. Sie war reaktionär, intolerant, aber gefestigt. Kreuzkatholisch eben. Und Carola? Woran kann sie sich halten? An den erkenntnisreichen Rückblick vorm endgültigen Exit? Den kann sie vergessen. Sie muss froh sein, wenn sie palliativ sediert die richtige Kurve nimmt, nicht wieder aufwacht. Nur das nicht!

      Davor will sie noch einmal tätig werden. Schwaches Fleisch, williger Geist. Ihr Gedächtnis ist trainiert. Nur manchmal diese blinden Flecken, die verunsichern. Ach was! Es geht um den Überblick, nicht ums Detail. Sehr richtig! Und was sie nicht im Kopf hat, findet sie im Tablet, ihrem ausgelagerten Wissensdepot. Praktisch und viel handlicher als die dicke Aktentasche, die sie in ihrer aktiven Zeit zu Besprechungen und Begehungen schleppte.

      - Meine Verehrung, Frau Hofrat! Auch wieder einmal hier?

      Der alte Vitochyl! Ein verhutzeltes Männlein, aber agil. Beneidenswert flott bewegt er sich auf Carola zu.

      - Grüß Sie, Herr Doktor! Ich schau nach, was sich so getan hat. Und Sie?

      - Ich besuch meinen Enkel.

      - Ihr Nachfolger in der Mittelalter-Sammlung?

      - Geh, der und kuratieren! Er macht’s Catering. So was wie a besserer Oberkellner is’ er, aber das darf i vor seiner Mutter net sagen. Schließlich wieselt er einmal hinter einem Ölscheich her, der den Schlossgarten für a Hochzeit gemietet hat, ein anderes Mal hinter der Direktorin, die Sponsoren zu einem Event begrüßt. Event, wenn i das schon hör!

      - Na ja, auch Museen müssen sich immer wieder neu erfinden. Übrigens, seit wann sind denn die nicht mehr im Unteren Belvedere?

      Carola deutet auf die Statuen. Herr Dr. Vitochyl senkt den Kopf und zählt an den Fingern etwas ab. Jahre? Ereignisse? Das begleitende Gemurmel ist zu leise, um erkennen zu lassen, wie er sich ans Datum herantastet. Als er bei sechs angelangt ist, betrachtet er nachdenklich den hochgereckten Daumen.

      - Anfang 2008. Richtig. Damals wurden die zwei Standbilder ins Obere Belvedere verbracht.

      Was, so lange ist Carola nicht mehr hier gewesen? Genau zu der Zeit ging der Verdrüssliche nach Los Angeles. Zufall? Ja! Aber ein eigenartiger. Von den Akteuren sicher nicht bedacht. Bloß kein Aufsehen, alles schön glatt über die Bühne bringen. Ohne ihr morgendliches Stöbern im Netz wäre Carola nach wie vor ahnungslos. Keine einzige Zeitung hat damals den Verkauf vermeldet. Vor vier Jahren wäre ihr das nicht entgangen. Da war sie noch gesund.

      - Kann ich sonst mit etwas dienen?

      Freundlich schaut sie der ehemalige Kurator an.

      - Danke, ich will Sie nicht weiter aufhalten. Ich hab ja meinen Aktenordner.

      Carola hält ihr Tablet hoch. Herr Dr. Vitochyl nickt anerkennend.

      - So ist’s recht. Hat mich g’freut.

      - Mich auch.

      - Servus, Frau Hofrat.

      - Auf Wiedersehen, Herr Doktor.

      Carola blickt dem davoneilenden Mann nach. Rennt, als ob er silberne Löffel gestohlen hätte. Von Vitochyls Energiereserven würde Carola gerne einige Liter abzapfen. Damit könnte sie anders an ihre Recherchen herangehen.

      Verloren schaut sie auf die Statue, nein, ins Narrenkastl. Sie ist aber nicht gekommen, um zu träumen. Carola schaltet das Tablet ein. Wie lang das immer dauert, bis so ein Ding einsatzbereit ist. Ihre Finger steppen auf dem Touchscreen. Der Verkauf des Verdrüsslichen. Das muss eine strategisch geplante Transaktion gewesen sein. Sonst hätte es doch einen Aufschrei gegeben. Von Museumsdirektoren, die selbst daran interessiert waren. Von der Öffentlichkeit. Na ja, die soll man nicht überschätzen, aber irgendein Kulturjournalist hätte sich die Story gekrallt. Carolas Finger verlangsamen den Rhythmus. Keine Auktion. Damit hätte der Rekorderlös die Runde gemacht. Nein, es war ein simples Geschäft. Hier die Ware, da das Geld.

      Gut eingefädelt, ein Deal in Wilfried-Manier, aber 2008 war Wilfried schon tot. Wilfried Hausladen, der Strippenzieher. Er hat so vieles bestimmt in ihrem und anderer Menschen Leben. Sie lernte Ja zu sagen und Nein zu meinen, sehr spät hingegen das zu sagen, was sie meinte, heftig noch dazu. Sie ertappt sich, wie sie bekräftigend nickt und der Statue zulächelt. Von Frau zu Frau. Die Hofrätin und die Herrscherin! Etwas hat sie der großen Monarchin voraus. Im Gegensatz zur sogenannten Kaiserin trägt Carola ihren Titel zu Recht, das Ernennungsdekret, unterzeichnet von Bundespräsident Klestil, ist zu Hause in der Dokumentenmappe, abgelegt zwischen Gehaltszetteln und dem Abschiedsschreiben zur Pensionierung. Sehr geehrte Frau Hofrat Broggiato, liebe Carola. Vorbei. Das eine wie das andere. Keine Sentimentalitäten. Sie war es doch, die alle Verbindungen gekappt hat. Nur jetzt bräuchte sie Verbündete. In ihrem Zustand kann sie die Nachforschungen nicht alleine anstellen.

      Zwischen Carola und das Standbild drängt sich ein Pärchen. Der junge Mann liest laut die Inschrift auf dem Sockel vor:

      - Franz Xaver Messerschmidt, 1736–1783. Maria Theresia als Königin von Ungarn, 1764–1766 … Die Alte hat aber net lang regiert.

      - Das ist die Entstehungszeit der Statue.

      Mit Genugtuung beobachtet Carola, wie das Gesicht des Burschen signalrot anläuft. Sanft und boshaft zugleich setzt sie nach:

      - Zuerst die Angaben zum Künstler, dann zum Werk. Ist doch logisch, oder?

      Er nickt, während seine Freundin ihn am Ärmel zupft. Rasch entfernen sie sich. Warum hat sie die jungen Leute vertrieben? Sie hätte mit ihnen auch über die Statue reden können. Da, schauen Sie, der Krönungsmantel: Heiligenfiguren und fechtende Soldaten! Was, glauben Sie, hat sich Messerschmidt dabei gedacht? War es ein Hinweis, nur worauf? Oder war es allein die Lust am Fantasieren? So oft hat sie schon darüber sinniert, ist aber zu keinem schlüssigen Ergebnis gekommen. Vielleicht hätten die beiden einen frischen, unverbildeten Vorschlag gemacht. Den Versuch wäre es wert gewesen. Aber sie musste die Kunsthistorikerin raushängen lassen!

      Carola geht hinüber zum römisch-deutschen Kaiser. Auch diese Statue ist rätselhaft. Die tradierten Posen offizieller Herrscherporträts hat Messerschmidt übernommen, doch er interpretierte sie auf seine Weise. Hier die schreitende Gestalt Franz Stephans, dort die leichtfüßig schwebende Figur Maria Theresias, hier der Mann, dort die Frau. Auch der Umgang mit den Insignien der Macht ist eigenwillig. Von Franz Stephans kostbar behandschuhten Händen sind sie fest umschlossen, der Reichsapfel sogar theatralisch gegen die Brust gepresst, wohingegen Maria Theresia recht lässig damit umgeht: der Feldherrenstab quergestellt, so als ob sie damit jonglieren wollte, der Reichsapfel auf der Hüfte liegend, locker gehalten, der kleine Finger abgespreizt, Hände und Arme bis zum Ellbogen nackt. Eine mädchenhafte Frau, die mit dem Regieren zu spielen scheint, im Gegensatz zu ihrem willensstarken Mann, der sich nicht von seinem Ziel abbringen lässt.

      Carola öffnet eine Seite auf ihrem Tablet … Erwerb von Besitztümern … verfügte bald über ein riesiges Privatvermögen … auf seinen oberungarischen Domänen … Sie legt die Hand aufs Display. Nicht weiterlesen. Diese Namen sind abrufbereit in ihrem Hirn gespeichert. Holitsch und Sassin, ja, so hießen sie, Franz Stephans Herrschaften in Oberungarn. Carola atmet auf. Ihr Anruf bei Wilfried heute Morgen. Das war im Schock. Sie weiß doch, wer wann gelebt und was getan hat, und vor allem, wer schon verstorben ist.


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