Wie neu geboren. Marie Louise Fischer

Wie neu geboren - Marie Louise Fischer


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doch wenigstens, mich zu verstehen!«

      »Genau das tue ich ja die ganze Zeit.«

      »Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt. Ich will nicht länger die Schulbank drücken, und das auf unabsehbare Zeit.«

      Das leuchtete ihr ein. Sie erinnerte sich, wie froh sie selbst gewesen war, als sie die Sehule hinter sich gebracht hatte. Aber nie wäre ihr der Gedanke gekommen, daß Robert nicht gern studierte.

      »Ich werde eine Lehre als Einzelhandelskaufmann machen«, erklärte er, »bei Onkel Edmund. Die habe ich in zwei Jahren hinter mir, und dann kann ich sein Geschäft übernehmen. Es ist alles schon abgesprochen.«

      »Macht dir das denn Spaß?«

      »Du wirst lachen, ja! Es macht mir Spaß, mit schönen Dingen umzugehen, sehr viel mehr, als mich um vereiterte Tonsillen oder Appendixe zu kümmern.«

      »Du hast also nur deiner Mutter zuliebe studiert?«

      » Vielleicht. Ich habe das getan, was man von mir erwartete. Erst seit es dich gibt, weiß ich, was ich wirklich will.«

      Julia resignierte. »Niemand kann dich zwingen.« Du sagst es.«

      »Aber wirf mir niemals vor, du hättest dein Studium mir zuliebe aufgegeben. Rede dir nur nicht ein, daß du mir ein Opfer bringst. Du tust dir höchstens selbst einen Gefallen — oder auch nicht. Ich hoffe für dich, daß du es niemals bereuen mußt.«

      8

      Und dann begann für Julia das angstvolle Warten auf die nächste Menstruation.

      Natürlich hatte sie keine Verhütungsmaßnahmen getroffen, Alles war so plötzlich gekommen. Auch wenn sie Robert gegenüber so getan hatte, als bestünde überhaupt keine Gefahr, war sie sich dessen durchaus nicht sicher. Sie wußte nur, sie wolle kein Kind haben — zumindest noch nicht. Aber sie fürchtete, wenn es denn doch passiert war, würde sie es nicht übers Herz bringen, das Kind abtreiben zu lassen.

      Eine Freundin, der sie sich anvertraute, weihte sie in die Berechnungsmethode von Knaus-Ogino ein. Julia hatte zwar schon davon gehört, sich aber niemals damit beschäftigt. Obwohl die Freundin ihr versicherte, daß im Prinzip keine Befruchtung stattgefunden haben konnte, verließ die Unsicherheit sie nicht. Sie vermutete, daß die Freundin sie nur beruhigen wollte.

      Sie besorgte sich einen Schwangerschaftstest in einer Düsseldorfer Apotheke, in der niemand sie kannte. Er fiel negativ aus. Ihre Furcht blieb dennoch bestehen. Vielleicht hatte sie ja etwas falsch gemacht, oder der Test war nicht in Ordnung gewesen.

      Julia wurde von Tag zu Tag schmaler und blasser. Dabei mußte sie sich munter und gelassen geben. Mit Robert konnte sie über ihre Ängste nicht sprechen — und mit seiner Mutter schon gar nicht. Er würde das ungewollte Kind sofort in ihrer beider Zukunft einplanen, und das war mehr, als sie im Augenblick ertragen konnte. Und Ida Palmer würde ihr vorwerfen, daß sie das Leben ihres Sohnes ruiniert hätte.

      Roberts Mutter, die nie herzlich zu Julia gewesen war, behandelte sie von nun an geradezu feindselig. Es schien sie Mühe zu kosten, sich auch nur einen Gruß abzuringen. Darüber hinaus verlor sie kein Wort mehr, tat buchstäblich so, als wäre Julia Luft für sie.

      Einmal klingelte Julia an der Wohnungstür. Es war am Abend eines sehr verregneten Tages; an Motorradfahren war nicht zu denken.

      Ida öffnete und erklärte mit starrem Gesicht: »Robert ist nicht da!« Dann wollte sie ihr die Tür vor der Nase zuschlagen.

      Julia war schneller. Sie stellte den Fuß zwischen die Tür. »Kann ich nicht auf ihn warten?«

      »Nein«, lautete die eiskalte Antwort, und Roberts Mutter versuchte die Tür mit Gewalt zuzudrücken.

      »Du tust mir weh!« schrie Julia, aber Ida Palmer reagierte nicht darauf. »Was habe ich dir denn getan?«

      »Als ob du das nicht wüßtest!«

      »Nein, ich weiß es nicht«, beteuerte Julia mit Tränen in den Augen. »Keine Ahnung.«

      Schritte näherten sich, und Ida, die Angst um ihren guten Ruf hatte, gab nun doch den Eingang frei.

      Nun standen sich die beiden Frauen in der kleinen Diele gegenüber, Ida wohlfrisiert in einem eleganten Kimono, Julia in vor Nässe glänzendem Ölzeug, einen Regenhut auf dem hochgesteckten Haar.

      »Deinetwegen hat Robert sein Studium hingeschmissen!« schimpfte Roberts Mutter.

      »Denkst du etwa, das hätte ich so gewollt?«

      »Genau das. Ihr Mädchen seid doch eine wie die andere. Erst große Reden schwingen, und dann könnt ihr nicht schnell genug unter die Haube kommen.«

      »Das ist einfach nicht wahr! Frag doch Robert! Ich habe es durchaus nicht eilig mit der Heirat.«

      »O doch, das hast du.«

      »Ja, bildest du dir denn ein, es ist für mich dasselbe, ob ich einen Krämer oder einen Doktor der Medizin heirate?« Julia schluchzte auf. »Ich war so stolz auf ihn. Ich hätte gern ein halbes Leben lang auf ihn gewartet.«

      »Um dich Frau Doktor nennen zu können?« fragte Roberts Mutter nun wesentlich ruhiger, wenn auch leicht sarkastisch.

      »Lach mich nur aus, aber so ist es. Alle meine Freundinnen haben mich beneidet, und jetzt, jetzt will er Einzelhandelskaufmann werden.«

      Roberts Mutter schloß das weinende Mädchen in die Arme. »Du bist also auch enttäuscht?«

      »Natürlich«, schniefte Julia, »was denn sonst?«

      Ida wiegte sie sanft in den Armen. »Warum nur hat er uns das angetan?«

      »Ich weiß es nicht. Ich glaube, er selbst wollte nie wirklich studieren. Er hat einfach nur das getan, was du von ihm erwartet hast. Aber den wirklichen Ehrgeiz hat er nie gehabt.«

      Roberts Mutter ließ Julia los und trat einen Schritt zurück. »Du hast recht. Ich habe mir wohl all die Jahre etwas vorgemacht. Das ist bitter.«

      »Nicht nur für dich!« meinte Julia.

      Roberts Mutter seufzte. »Und es gibt keine Möglichkeit, ihn umzustimmen«, sagte sie. Es klang eher wie eine Feststellung, nicht wie eine Frage.

      »Nein«, bestätigte Julia, »ich habe alles versucht.«

      Julia war nahe daran, sich Roberts Mutter anzuvertrauen. Aber sie brachte es dann doch nicht über sich. So intim standen sie nicht zueinander.

      Also erklärte sie nur: »Jedenfalls bin ich froh, daß du mir nicht mehr die Schuld gibst.«

      »Nein, ich muß dir wohl glauben.«

      Durch diese Aussprache hatte sich die gespannte Atmosphäre zwischen Roberts Mutter und Julia ein wenig gelockert. Aber wenn Ida Palmer auch einsah, daß Julia für Roberts Entschluß nicht verantwortlich zu machen war, blieb doch ein wenig Mißtrauen zurück. Schuld daran war die Eifersucht, die Ida Palmer für Julia empfand. Wenn Julia nicht in Roberts Leben getreten wäre, hätte sie, die Mutter, ihn weiterhin beeinflussen und ihn zwingen können, den Weg zu gehen, den sie ihm zugedacht hatte.

      Julias Periode verspätete sich um einige Tage, vielleicht weil sie verkrampft und abgespannt war, vielleicht auch ganz zufällig. Sie hatte das Gefühl, in dieser Zeit der Ängste erwachsen zu werden. Als es dann endlich doch soweit war, fiel ihr ein Stein vom Herzen.

      Später kam ihr das Problem, unter dem sie so sehr gelitten hatte, eher banal vor. Das gleiche hatten schon Millionen Frauen vor ihr durchgemacht. Was war schon dabei? Aber für sie war es entsetzlich gewesen.

      Sobald wie möglich ging sie zum Arzt und ließ sich die Pille verschreiben.

      Robert war nicht so erleichtert wie sie, denn er hatte sich ja auch nicht so geängstigt.

      »Eigentlich schade«, meinte er. »Es wäre bestimmt ein entzückendes Baby geworden.«

      Der Blick, den sie ihm daraufhin


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