Die Fälle der Shifter Cops. Natalie Winter

Die Fälle der Shifter Cops - Natalie Winter


Скачать книгу
versteinerte Gesichtszüge. Er rollte demonstrativ mit den Augen, und Julie bemerkte, dass sie eindeutig über­reagiert hatte. Nicht mit einem Wort hatte er davon gesprochen, sie festzunehmen. Außerdem wäre Chief Parsons in diesem Fall wohl kaum gegangen.

      »Der Reihe nach«, sagte Mr Blair. »Selbstverständlich habe ich einen Ausweis.« Er hielt ihr ein Plastikkärtchen unter die Nase, gerade lange genug, dass sie sein Gesicht darauf erkennen konnte.

      Bevor er es wieder in seiner Brusttasche verschwinden lassen konnte, griff sie nach seinem Handgelenk. Seine Haut war außergewöhnlich warm, fast so, als hätte er Fieber. Hastig warf sie einen Blick auf das Kärtchen und ließ ihn los. Mit dem Ausweis schien alles seine Ordnung zu haben.

      Mr Blair hob eine Augenbraue. »Zu Ihrer ­nächsten Frage: Brauche ich denn einen Durchsuchungsbefehl?« Ohne ihr Gelegenheit zum Antworten zu geben, sprach er weiter: »Und brauchen Sie einen Anwalt, Miss Mireau?« Seine Stimme klang trügerisch sanft, aber Julie ließ sich nicht eine Sekunde lang täuschen.

      »Ich hoffe nicht«, erwiderte sie kühl. »Also, was kann ich für Sie tun, Mr Blair?«

      »Ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen zum Tod von Jolene Fletcher und dem Feuer von gestern Nacht.« Er deutete auf ihre nackten Füße. »Allerdings würde ich es vorziehen, das drinnen zu tun, es sei denn, Sie legen es darauf an, sich einen Schnupfen zu holen.«

      »Kommen Sie rein!«, sagte Julie resigniert. »Aber zuerst sagen Sie mir, was passiert ist! Bitte!« Sie hasste den flehenden Tonfall, aber sie ertrug die Ungewissheit keine Sekunde länger.

      »Margaret Phillips ist in der Nacht durch ein Feuer ums Leben gekommen.«

      »Margaret ist tot? Das kann nicht sein!« Auf einmal hatte Julie das Gefühl, als würde sich alles um sie herum drehen.

      »Geht es Ihnen nicht gut?«, fragte Mr Blair.

      »Was denken Sie denn? Zwei gute Bekannte wurden getötet. Natürlich geht es mir nicht gut, Sie Idiot!«

      Zu ihrer Überraschung blitzte etwas in seinen Augen auf, das einem Funken Anerkennung glich. Seine Lippen zuckten.

      Julie drehte sich um und ging voraus in die Küche. »Setzen Sie sich!«, sagte sie dort und deutete auf einen der Stühle.

      Mr Blair nahm Platz. Unter seinem Gewicht ächzte der alte Stuhl. Mr Blair war nicht dick, aber mindestens ein Meter neunzig groß und ausgesprochen muskulös.

      In Julies Kopf tauchten tausend Fragen auf, die sie nicht zu stellen wagte. Sie spürte den Puls an ihrem Hals heftig schlagen. Als Mr Blairs Augen sich auf diese Stelle richteten, lief ihr ein Schauer über den Rücken. Schnell hielt sie die Hand vor ihren Hals.

      »Kaffee?«, fragte sie kurz angebunden. Im Moment brachte sie keine langen Sätze zustande.

      Mr Blair nickte stumm. Während der Kaffee durch die Maschine lief, musterte Julie ihn. In dem winzigen Raum wirkte er wie ein Raubtier in einem viel zu kleinen Käfig. Seine Augen waren kühl und wachsam, fast so, als erwarte er jederzeit einen Angriff.

      Erst als Julie Kaffee, Milch und Zucker vor ihm abstellte und sich ihm gegenüber niederließ, wurde sein Blick etwas freundlicher. Julie zwang sich, ihm direkt ins Gesicht zu sehen, obwohl er sie ein wenig nervös machte. Sein Schweigen irritierte sie, aber sie weigerte sich, das Wort zu ergreifen. Er wollte schließlich etwas von ihr. Wenn er es darauf anlegte, konnten sie hier sitzen und einander bis zum Sankt Nimmerleinstag anstarren.

      »Wo waren Sie in der Nacht vom Dritten des Monats auf den Vierten zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens?«, begann er endlich.

      Julie zuckte zusammen, obwohl sie die Frage erwartet hatte. »Hier. Ich habe geschlafen.«

      »Wie sieht es mit der vergangenen Nacht aus?«

      »Genauso.«

      »Gibt es dafür einen Zeugen?«, wollte Mr Blair wis­­sen. Seine Stimme klang unbeteiligt, fast schon gelangweilt.

      »Nein. Ich lebe allein.« Plötzlich wurde ihr bewusst, was seine Frage eigentlich bedeutete. »Heißt das, Sie verdächtigen mich, Jolene und Margaret durch einen ­Brandanschlag getötet zu haben? Das ist absurd!«

      Mr Blair griff nach der Zuckerdose, gab zwei gehäufte Löffel in seinen Kaffee und rührte um. »Was genau finden Sie daran absurd, Miss Mireau? Das Töten oder das Feuer als Waffe?«

      »So war das nicht gemeint«, protestierte Julie und versuchte verzweifelt, sich zu beruhigen. Sie zitterte am ganzen Körper. Schließlich holte sie tief Luft. »Um es mal ganz klar zu formulieren: Ich habe keine der beiden getötet. Punkt!«

      »Der Gedanke ist keineswegs abwegig, Miss Mireau. In den meisten Fällen stammen die Täter aus dem ­engsten Umfeld der Opfer, und jeder Ermittler stellt sich als Erstes die Frage, wer von deren Tod profitiert.«

      »Das ist doch totaler Unsinn!«, wehrte Julie sich. »Ich profitiere in keiner Weise vom Tod der beiden.« Sie stockte. »Also, das nehme ich zumindest an. Ich meine, es gibt keinen Grund, warum ich etwas von ihnen erben sollte. Denn ich zähle mich auch nicht zu ihrem engsten Umfeld. Wir waren gute Bekannte, mehr nicht.«

      Mr Blair verzog keine Miene. »Ich habe gehört, dass Sie vor ein paar Tagen eine Auseinandersetzung mit Margaret Phillips hatten. Stimmt das?«

      »Nun, ich würde es nicht als Auseinandersetzung bezeichnen. Margaret war der Meinung, dass …« Julie stockte. Wie sollte sie es formulieren, ohne als völlig verrückt dazustehen? »Hier in der Nähe von Salem treibt die Fantasie der Menschen manchmal skurrile Blüten«, sagte sie nach einer Weile. »Margaret hatte wohl Angst, dass es zu einer Art Neuauflage der Hexenprozesse käme. Sie wissen, dass sowohl Jolene als auch Margaret sich für Hexen hielten?«

      Mr Blair nickte.

      »Jedenfalls sprach Margaret von Salem und von Hexenjägern«, erklärte Julie und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.

      Was hatte Margaret genau gesagt? Es wollte ihr nicht einfallen.

      »Auf die Tatsache, dass Jolene durch ein Feuer starb, reagierte Margaret beinahe hysterisch«, fuhr Julie fort. »Ich habe nur versucht, sie zu beruhigen, nichts wei­ter.«

      »Und warum sollte sie ausgerechnet Ihnen von ihrer Angst erzählen, wenn Sie beide doch nichts als gute Bekannte waren?«

      Julie seufzte. »Sie verstehen das nicht.«

      »Dann erklären Sie es mir! Ich bin ein guter Zuhörer.«

      »In Ordnung, aber ich muss etwas weiter ­ausholen: Als die Hexenverfolgungen in Salem Ende des 17. Jahrhunderts immer schlimmer wurden, beschlossen eini­­ge der alteingesessenen Familien zu flüchten. Zu viele Frau­­en waren bereits eingesperrt, gefoltert und ver­­brannt worden. Damals glaubte man an die Macht der Hexerei.«

      »Und heute nicht mehr?«, warf Mr Blair ein. »Das erscheint mir merkwürdig aus dem Mund einer Frau, die ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf esoterischer Bücher und Hexereibedarf verdient.«

      Julie schluckte. Aber er klang eher neugierig, nicht anklagend oder verächtlich. Sie musste unbedingt aufhören, immer nur das Schlimmste von ihrer Umwelt zu erwarten.

      »Da haben Sie recht«, gab sie zu. »Jedenfalls wollten die Überlebenden damals nicht aufgeben, und so gründeten sie in einiger Entfernung zu Salem eine neue Stadt, in der ausschließlich Hexenfamilien lebten.«

      »Ich nehme an, das war Yarnville«, stellte Mr Blair trocken fest.

      Julie nickte.

      »Und wahrscheinlich kann heute jeder zweite Einwohner seine Herkunft auf die Hexen von Salem zurückführen«, fuhr Mr Blair fort.

      »Sie sollten es tunlichst vermeiden, von den Hexen von Salem zu sprechen«, riet Julie ihm. »Aber Sie haben recht, die meisten der hier ansässigen Familien stammen von denjenigen ab, die damals vor den Hexenprozessen flohen. Unsere Beziehung zu Salem ist deshalb, sagen wir mal, zwiespältig. Wenn man in Yarnville von magisch begabten Personen spricht, bevorzugt man die Bezeichnung


Скачать книгу