Ehrenmord - Schweden-Krimi. Björn Hellberg
einer wahrhaften Geißel ansah.
Abgesehen von seiner Arbeit, hatte er drei große Leidenschaften: Oldtimer, das Kino – und das andere Geschlecht. Diesbezüglich hatte er sich schon immer an das Sprichwort gehalten, dass Abwechslung gut tut. Er selbst sah sich im Umgang mit der Weiblichkeit als feurig, patriarchalisch und ritterlich, aber, um der Wahrheit die Ehre zu tun, muss man sagen, dass sein Verhalten Frauen gegenüber kalt, zynisch und in gewisser Weise mittelalterlich war.
Während er bezüglich des Essens sehr wählerisch war (sein Repertoire war jämmerlich klein), gebärdete er sich, was Frauen betraf, als Allesfresser. Alter und Aussehen bedeuteten natürlich einiges, aber er war nicht derjenige, der ein erotisches Tête-à-tête ausschlug, weil die Partnerin die sechzig überschritten hatte oder einen Schnurrbart aufwies. Wenn das Geschlecht stimmte, fand sich immer eine Lösung. Aber natürlich zog er etwas richtig Appetitliches vor, und meistens fand er auch, was er suchte.
Sein Unvermögen, mit Bedacht auszuwählen, hatte ihn schon in diverse delikate Situationen gebracht, aus denen ihn auch seine Redegewandtheit nicht immer so ohne weiteres wieder befreien konnte. Manchmal war mehr als schöne, reumütige Worte nötig gewesen, um betrogene Ehemänner, verschmähte Freunde und empörte Väter auf Abstand zu halten. Aber wenn es wirklich brannte, zog er seine Spezialwaffe: seine juristische Autorität, mit der er drohte (wobei er stets genau darauf achtete, dass er sich auf dem Boden des Gesetzes bewegte – er kannte seine Paragraphen). Diese donnernden Worte wirkten eigentlich immer.Widerstrebend zogen sich Ehemänner, Freunde und Väter schmachvoll zurück, murmelten sinnlose Schimpfworte hinter dem Rücken des unerschütterlichen Staatsanwalts und sexdürstenden Gockels.
Er erreichte den Bahnhof; hier war das Gedränge nicht ganz so schlimm wie sonst. Sein Vorortzug fuhr nach wenigen Minuten ein, und er setzte sich in einen Wagen, in dem sich nur eine Hand voll anderer Passagiere befand. Die Fahrzeit vertrieb er sich, indem er gedankenverloren in einer Zeitung blätterte, die jemand auf dem Sitz hatte liegen lassen. Vom Bahnhof seines Wohnortes aus ging er zu Fuß. Zufrieden wanderte er durch menschenleere und frühsommerschläfrige Straßen, während er überlegte, eine Bekannte anzurufen und zu einem Drink mit folgendem Nachspiel einzuladen. Der Montagabend war noch jung, und er konnte sich vorstellen, die anfallenden Taxikosten zu übernehmen, unter der Voraussetzung, dass er eine Dame fand, die in der Nähe von Norrviken wohnte.
Aber als er den Schlüssel in die Haustür schob, überfiel ihn ein Anfall von Müdigkeit. Vielleicht sollte er seinen Körper einfach damit schocken, frühzeitig ins Bett zu gehen. Allein. Er hatte in den nächsten zwei Wochen diverse voll gestopfte Arbeitstage vor sich, und es wäre doch nicht schlecht, ganz gegen alle Gewohnheiten mal ausgeschlafen aufzuwachen. Er musste wirklich mehr auf seine Kräfte achten. Manchmal wurde es selbst für einen Kerl wie ihn zu viel.
Sein Vorsatz geriet ins Wanken, als er sah, dass sein Anrufbeantworter blinkte. Nur ein Anruf. Aber das genügte ja, wenn die Anruferin interessant genug war. Er schaltete das Gerät mit einer gewissen Erwartung an, die aber sofort verflog, als er die vertraute Stimme hörte.
Nummer zwei klang am Telefon immer schärfer, als wenn sie ihm leibhaftig gegenüberstand:
»Bill, ich bin’s. Ruf mich an, wenn du nach Hause kommst. Sei so gut. Es ist wichtig.«
Wütend runzelte er die Stirn, sodass sich ein paar waagerechte Falten über der Nasenwurzel bildeten.
Ich bin’s.
Sie hatte nie gelernt, wie man richtig telefonierte.
Es ist wichtig.
Quatsch! Ihm war schon klar, wo der Schuh drückte. Margita brauchte mal wieder Geld – so einfach war das. Die Frage war nur, welchen mit tränenerstickter Stimme vorgetragenen Wunsch sie diesmal äußern würde. Neue Kleider für Christian und Eva? Die Gebühr für ihre Abendkurse? Eine neue Rate für das Reihenhaus, in das sie nach der Scheidung gezogen war? Oder vielleicht nur ein kleines Trinkgeld für den Urlaub?
Sie war unerschöpflich, wenn es darum ging, Gründe zu finden, um seine Brieftasche zu erleichtern.
Sein Fehler war, wie er sich selbst eingestand, dass er von Anfang an zu gut zu seiner zweiten Frau gewesen war, indem er ihr immer wieder mal etwas zugesteckt hatte. Dadurch war sie auf den Geschmack gekommen, und jetzt fiel es ihr schwer, diesen Verlockungen zu entsagen.
Ein wesentlicher Grund dafür, dass er Margita etwas zusteckte, war der, dass sie diejenige seiner drei Exfrauen war, die er zweifellos am liebsten mochte. Ein anderer Grund für seine Großzügigkeit lag darin, dass sie die Mutter seines Sohnes und seiner Tochter war. Seine anderen beiden Ehen waren glücklicherweise kinderlos geblieben. Er schüttelte sich bei dem Gedanken, welche monströsen Summen er zu zahlen gezwungen wäre, wenn er noch weitere Kinder hätte.
Es gab aber noch einen weiteren Beweggrund für sein Entgegenkommen Margita gegenüber. Und der war nicht beiseite zu schieben. Er hatte sich weiterhin mit ihr getroffen – natürlich nur heimlich – auch nach der Scheidung. Wenn es sich ergab, schliefen sie auch miteinander, was aber nicht so oft vorkam, da sie in ihrer Geburtsstadt Borås lebte. Die Entfernung förderte nicht gerade die Gelegenheit für enge Umarmungen. Außerdem wurde das Ganze noch dadurch kompliziert, dass sie mit einem vierzehn Jahre älteren Witwer und Ferienhausvermieter zusammenlebte, also hieß es auf der Hut sein. Aber in dieser Beziehung konnte er aus seiner Routine und seiner Verschlagenheit Kapital schlagen.
Und sie war es wert, ein gewisses Risiko einzugehen. Mit ihrem rabenschwarzen Haar und ihrem gepflegten Körper war sie sehr süß, und außerdem wusste sie, wie sie sich im Bett aufführen sollte. Dass er sie trotzdem verlassen hatte, lag an ihrer ewigen Nörgelei wegen Geld und ihrer nervenzehrenden Art, sich über Kleinigkeiten aufzuregen. Außerdem hatte sie sich vollkommen verständnislos gegenüber seinem Bedarf nach Zerstreuung außerhalb der Ehe verhalten.
Mit seiner ersten Frau Agneta hatte er so gut wie keinen Kontakt mehr. Inzwischen betrachtete er diese unsinnige Ehe als einen jugendlichen Fehltritt und konnte sich kaum noch das Bild der Frau vor Augen rufen, mit der er Anfang der Siebziger für eineinhalb Jahre Tisch und Bett geteilt hatte. Es war wohl schon fünfzehn Jahre her, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte, nur kurz und zufällig auf dem Flughafen Arlanda. Sie hatten einander reserviert gegrüßt, fast peinlich berührt über das, was einmal gewesen war. Nur ein paar bedeutungslose Floskeln waren gewechselt worden, dann eilte jeder in seine Richtung fort.
Von der Seite her war also nichts zu befürchten: kein wahnsinniger Rückfall in Romantik, keine finanziellen Ansprüche.
Schlimmer war es mit Madeleine, seiner letzten Exehefrau. Der Bruch war so frisch, dass alles noch schmerzlich und unangenehm war. Sie konnten nicht miteinander reden, ohne aufzubrausen. Es hatte ihn das letzte Hemd gekostet, sie auszubezahlen, und er zog es vor, den Kontakt mit ihr auf das absolute Minimum zu reduzieren.
Er musste ihr jeden Monat einen ansehnlichen Betrag überweisen, da sie behauptete, es sei ihr noch nicht gelungen, eine Arbeit zu finden, mit der sie sich selbst ernähren konnte. Ihm war klar, dass sie sich nur weigerte, einen Job zu suchen, um ihn finanziell unter Druck setzen zu können. Seine juristische Geschicklichkeit half ihm in diesem Fall jedoch nicht. Er war wohl oder übel gezwungen, zwölf Mal im Jahr das Geld rauszurücken. Aber er hatte Experten eingeschaltet und hoffte, diese ärgerliche Zusatzbelastung möglichst bald loszuwerden.
Es war noch nicht einmal 23 Uhr. Er hätte gut und gern Margita anrufen können, beschloss aber, bis zum nächsten Tag damit zu warten.
Stattdessen setzte er sich an seinen Schreibtisch im Arbeitszimmer und ging die Akten eines äußerst brutalen Raubüberfalls durch, der in ein paar Tagen vor Gericht behandelt werden sollte. Er nahm öfter mal Arbeit mit nach Hause, und das hier war eine wichtige Sache, die wertvolle Publicity geben würde. Ein Zigarettenhändler war überfallen, seiner Tageskasse beraubt und obendrein noch mit roher Gewalt niedergeschlagen worden, aber glücklicherweise gab es einen mutigen Zeugen, einen jungen Mann, der bereit war, den Täter zu identifizieren.
Elfvegren kannte die Unterlagen größtenteils auswendig, wollte jedoch nichts dem Zufall überlassen und las sie deshalb noch einmal durch. Die Verteidigerin