Der Untertan. Heinrich Mann

Der Untertan - Heinrich Mann


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Selbstbeherrschung gelernt, Beobachtung der Formen, Korpsgeist, Eifer für das Höhere. Nur mit Mitleid und Widerwillen dachte er an das elende Dasein des schweifenden Wilden, das früher das seine gewesen war. Jetzt war Ordnung und Pflicht in sein Leben gebracht. Zu genau eingehaltenen Stunden erschien er auf Wiebels Bude, im Fechtsaal, beim Friseur und zum Frühschoppen. Der Nachmittagsbummel leitete zur Kneipe über; und jeder Schritt geschah in Korporation, unter Aufsicht und mit Wahrung peinlicher Formen und gegenseitiger Ehrerbietung, die gemütvolle Derbheit nicht ausschloß. Ein Kommilitone, mit dem Diederich bisher nur offiziellen Verkehr unterhalten hatte, stieß einst mit ihm vor der Toilette zusammen, und obwohl sie beide kaum noch grade stehen konnten, wollte keiner den Vortritt annehmen. Lange komplimentierten sie sich, – bis sie plötzlich, im gleichen Augenblick vom Drang überwältigt, wie zwei zusammenprallende Eber durch die Tür brachen, daß ihnen die Schulterknochen knackten. Das war der Beginn einer Freundschaft. In menschlicher Lage einander näher gekommen, rückten sie nachher auch am offiziellen Kneiptisch zusammen, tranken Schmollis und nannten sich »Schweinehund« und »Nilpferd«.

      Nicht immer zeigte das Verbindungsleben seine heitere Seite. Es forderte Opfer; es übte im männlichen Ertragen des Schmerzes. Delitzsch selbst, der Quell so mancher Heiterkeit, verbreitete Trauer in der Neuteutonia. Eines Vormittags, wie Wiebel und Diederich ihn abzuholen kamen: er stand am Waschtisch und sagte noch: »Na da. Habt’r heit aach so ä Durscht?« – plötzlich, ehe sie zugreifen konnten, fiel er hin, mitsamt dem Waschgeschirr. Wiebel befühlte ihn: Delitzsch regte sich nicht mehr.

      »Herzklaps«, sagte Wiebel kurz. Er ging stramm zur Klingel. Diederich hob die Scherben auf und trocknete den Boden. Dann trugen sie Delitzsch auf das Bett. Dem formlosen Gejammer der Wirtin gegenüber verharrten beide in streng kommentmäßiger Haltung. Unterwegs zur Erledigung des weiteren – sie marschierten im Takt nebeneinander – sagte Wiebel mit straffer Todesverachtung:

      »So was kann jedem von uns passieren. Kneipen ist kein Spaß. Das kann sich jeder gesagt sein lassen.«

      Und mit allen anderen fühlte Diederich sich gehoben durch Delitzschs treue Pflichterfüllung, durch seinen Tod auf dem Felde der Ehre. Mit Stolz folgten sie dem Sarge; »Neuteutonia sei’s Panier«, stand in jeder Miene. Auf dem Friedhof, die umflorten Schläger gesenkt, hatten alle das in sich vertiefte Gesicht des Kriegers, den die nächste Schlacht dahinraffen kann, wie die vorigen den Kameraden; und was der Erste Chargierte von dem Geschiedenen rühmte: er habe in der Schule der Mannhaftigkeit und des Idealismus den höchsten Preis errungen, das erschütterte jeden, als gälte es ihm selbst.

      Hiermit ging Diederichs Lehrzeit zu Ende, denn Wiebel trat aus, um sich auf den Referendar vorzubereiten; und fortan hatte Diederich die von ihm übernommenen Grundsätze selbständig zu vertreten und sie den Jüngeren einzupflanzen. Er tat es im Gefühl hoher Verantwortlichkeit und mit Strenge. Wehe dem Fuchs, der es verdient hatte, in die Kanne zu steigen. Keine fünf Minuten vergingen, und er mußte sich an den Wänden hinaustasten. Das Schreckliche geschah, daß einer vor Diederich aus der Tür ging. Seine Buße waren acht Tage Bierverschiß. Nicht Stolz oder Eigenliebe leiteten Diederich: einzig sein hoher Begriff von der Ehre der Korporation. Er selbst war nur ein Mensch, also nichts; jedes Recht, sein ganzes Ansehen und Gewicht kamen ihm von ihr. Auch körperlich verdankte er ihr alles: die Breite seines weißen Gesichts, seinen Bauch, der ihn den Füchsen ehrwürdig machte, und das Privileg, bei festlichen Anlässen in hohen Stiefeln mit Band und Mütze aufzutreten, den Genuß der Uniform! Wohl hatte er noch immer einem Leutnant Platz zu machen, denn die Körperschaft, der der Leutnant angehörte, war offenbar die höhere; aber wenigstens mit einem Trambahnschaffner konnte er furchtlos verkehren, ohne Gefahr, von ihm angeschnauzt zu werden. Seine Männlichkeit stand ihm mit Schmissen, die das Kinn spalteten, rissig durch die Wangen fuhren und in den kurz geschorenen Schädel hackten, drohend auf dem Gesicht geschrieben; – und welche Genugtuung, sie täglich und nach Belieben einem jeden beweisen zu können! Einmal bot sich eine unerwartet glänzende Gelegenheit. Zu Dritt, mit Gottlieb Hornung und dem Dienstmädchen ihrer Wirtin, waren sie beim Tanz in Halensee. Seit einigen Monaten teilten die Freunde sich eine Wohnung, mit der ein ziemlich hübsches Dienstmädchen verbunden war, machten ihr beide kleine Geschenke und gingen des Sonntags gemeinsam mit ihr aus. Ob Hornung es so weit bei ihr gebracht hatte, wie er selbst, darüber hatte Diederich seine privaten Vermutungen. Offiziell und von Verbindungs wegen war es ihm unbekannt.

      Rosa war nicht übel angezogen, auf dem Ball fand sie Bewerber. Damit Diederich noch eine Polka bekam, war er genötigt, sie daran zu erinnern, daß er ihr die Handschuhe gekauft habe. Schon machte er zur Einleitung des Tanzes seine korrekte Verbeugung, da drängte sich unversehens ein anderer dazwischen und polkte mit Rosa von dannen. Betreten sah Diederich ihnen nach, im dunklen Gefühl, daß er hier werde einschreiten müssen. Bevor er sich aber regte, war ein Mädchen durch die tanzenden Paare gestürzt, hatte Rosa geohrfeigt und sie in unzarter Weise von ihrem Partner getrennt. Dies sehen und auf Rosas Räuber losmarschieren, war für Diederich eins.

      »Mein Herr«, sagte er und sah ihm fest in die Augen, »Ihr Benehmen ist unqualifizierbar.«

      Der andere erwiderte:

      »Wenn schon.«

      Überrascht von dieser ungewöhnlichen Wendung eines offiziellen Gesprächs, stammelte Diederich:

      »Knote.«

      Der andere erwiderte prompt:

      »Schote« – und lachte dabei. Durch so viel Formlosigkeit vollends aus der Fassung gebracht, wollte Diederich sich schon verbeugen und abtreten; aber der andere stieß ihn plötzlich vor den Bauch, – und gleich darauf wälzten sie sich zusammen am Boden. Umringt von Gekreisch und anfeuernden Zurufen kämpften sie, bis man sie trennte. Gottlieb Hornung, der Diederichs Klemmer suchen half, rief: »da reißt er aus« – und war schon hinterher. Diederich folgte. Sie sahen den anderen mit einem Begleiter gerade noch in eine Droschke steigen und nahmen die nächste. Hornung behauptete, die Verbindung dürfe das nicht auf sich sitzen lassen. »So was kneift und bekümmert sich nicht mal mehr um die Dame.« Diederich erklärte:

      »Was Rosa betrifft, die ist für mich erledigt.«

      »Für mich auch.«

      Die Fahrt war aufregend. »Ob wir nachkommen? Wir haben einen lahmen Gaul.« »Wenn der Prolet nun nicht satisfaktionsfähig ist?« Man entschied: »Dann hat die Sache offiziell nicht stattgefunden.«

      Der erste Wagen hielt im Westen vor einem anständigen Haus. Diederich und Hornung trafen ein, wie das Tor zugeschlagen ward. Entschlossen postierten sie sich davor. Es ward kühl, sie marschierten hin und her vor dem Hause, zwanzig Schritte nach links, zwanzig Schritte nach rechts, behielten immer die Tür im Auge und wiederholten immer dieselben ernsten und weittragenden Reden. Nur Pistolen kamen hier in Frage! Diesmal war die Ehre der Neuteutonia teuer zu bezahlen! Wenn es nur kein Prolet war!

      Endlich kam der Portier zum Vorschein, und sie nahmen ihn ins Verhör. Sie suchten ihm die Herren zu beschreiben, fanden aber, daß die beiden keine besonderen Kennzeichen hatten. Hornung, noch leidenschaftlicher als Diederich, blieb dabei, daß man warten müsse, und noch zwei Stunden lang marschierten sie hin und her, dann bogen aus dem Hause zwei Offiziere. Diederich und Hornung rissen die Augen auf, ungewiß, ob hier nicht ein Irrtum vorlag. Die Offiziere stutzten. Einer schien sogar zu erbleichen. Da entschloß Diederich sich. Er trat vor den Erbleichten hin.

      »Mein Herr –«

      Die Stimme versagte ihm. Der Leutnant sagte, verlegen: »Sie irren sich wohl.«

      Diederich brachte hervor:

      »Durchaus nicht. Ich muß Genugtuung fordern. Sie haben sich –«

      »Ich kenne Sie ja gar nicht«, stammelte der Leutnant. Aber sein Kamerad flüsterte ihm etwas zu: »So geht das nicht«, – er ließ sich von dem anderen die Karte geben, legte seine eigene dazu und überreichte sie Diederich. Diederich gab die seine her; dann las er: »Albrecht Graf Tauern-Bärenheim.« Da nahm er sich nicht mehr die Zeit, auch die andere zu lesen, sondern begann kleine, eifrige Verbeugungen zu vollführen. Der zweite Offizier wandte sich inzwischen an Gottlieb Hornung.

      »Mein Freund hat den Scherz natürlich ganz harmlos gemeint. Er wäre selbstverständlich


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