Radetzkymarsch. Йозеф Рот
in ihrem breiten Mund das falsche Gebiß. Trautmannsdorff verfolgte von seiner Ecke aus alle ihre Bewegungen mit winzigen, flinken, grünlichen Blicken. Er stand schließlich auf und steckte eine Hand in den Busen der Frau Horwath. Sie verlor sich drinnen wie eine weiße Maus in weißen Bergen. Und Pollak, der Klavierspieler, saß mit gebeugtem Rücken, Sklave der Musik, am schwärzlich spiegelnden Flügel, und an seinen hämmernden Händen schepperten die harten Manschetten, wie heisere Tschinellen begleiteten sie die blechernen Klänge.
Zu Tante Resi! Man ging zu Tante Resi. Der Oberst machte unten kehrt, er sagte: «Viel Vergnügen, meine Herren!» und auf der stillen Straße riefen zwanzig Stimmen: «Respekt, Herr Oberst!» und vierzig Sporen klirrten aneinander. Der Regimentsarzt Doktor Max Demant machte einen schüchternen Versuch, sich ebenfalls zu empfehlen. «Müssen Sie mit?» fragte er den Leutnant Trotta leise. «Es wird wohl so sein!» flüsterte Carl Joseph. Und der Regimentsarzt ging wortlos mit. Sie waren die letzten in der unordentlichen Reihe der Offiziere, die mit Gerassel durch die stillen, mondbelichteten Straßen der kleinen Stadt gingen. Sie sprachen nicht miteinander. Beide fühlten, daß sie die geflüsterte Frage und die geflüsterte Antwort verband, da war nichts mehr zu machen. Sie waren beide vom ganzen Regiment geschieden. Und sie kannten sich kaum eine halbe Stunde.
Plötzlich, er wußte nicht warum, sagte Carl Joseph: «Ich hab’ eine Frau namens Kathi geliebt. Sie ist gestorben!»
Der Regimentsarzt blieb stehen und wandte sich ganz dem Leutnant zu. «Sie werden noch andere Frauen lieben!» sagte er.
Und sie gingen weiter.
Man hörte vom fernen Bahnhof her späte Züge pfeifen, und der Regimentsarzt sagte:
«Ich möchte wegfahren, weit wegfahren!»
Nun standen sie vor Tante Resis blauer Laterne. Rittmeister Taittinger klopfte an das verschlossene Tor. Jemand öffnete. Drinnen begann das Klavier sofort zu klimpern: den Radetzkymarsch. Die Offiziere marschierten in den Salon. «Einzeln abfallen!» kommandierte Taittinger. Die nackten Mädchen schwirrten ihnen entgegen, eine emsige Schar von weißen Hennen. «Gott mit euch!» sagte Prohaska. Trautmannsdorff griff diesmal sofort und noch im Stehen in den Busen der Frau Horwath. Er ließ sie vorläufig nicht mehr los. Sie hatte Küche und Keller zu überwachen, sie litt sichtlich unter den Liebkosungen des Oberleutnants, aber die Gastfreundschaft verpflichtete sie zu Opfern. Sie ließ sich verführen. Leutnant Kindermann wurde bleich. Er war weißer als der Puder auf den Schultern der Mädchen. Der Major Prohaska bestellte Sodawasser. Wer ihn näher kannte, wußte vorauszusagen, daß er heute sehr besoffen sein würde. Er bahnte nur dem Alkohol einen Weg mit Wasser, wie man Straßen reinigt vor einem Empfang. «Der Doktor ist mitgekommen?» fragte er laut. «Er muß die Krankheiten an der Quelle studieren!» sagte mit wissenschaftlichem Ernst, bleich und hager, wie immer, der Rittmeister Taittinger, Fähnrich Bärensteins Monokel steckte jetzt im Auge eines weißblonden Mädchens. Er saß da, mit kleinen zwinkernden schwarzen Äuglein, seine braunen, behaarten Hände krochen wie merkwürdige Tiere über das Fräulein. Allmählich hatten alle ihre Plätze eingenommen. Zwischen dem Doktor und Carl Joseph, auf dem roten Sofa, saßen zwei Frauen, steif, mit angezogenen Knien, eingeschüchtert von den verzweifelten Gesichtern der beiden Männer. Als der Sekt kam — die strenge Hausdame in schwarzem Taft brachte ihn feierlich — zog Frau Horwath entschlossen die Hand des Oberleutnants aus ihrem Ausschnitt, legte sie ihm auf die schwarze Hose, aus Ordnungsliebe, wie man einen geborgten Gegenstand zurückerstattet, und erhob sich, mächtig und gebieterisch. Sie löschte den Kronleuchter aus. Nur die kleinen Lampen brannten in den Nischen. Im rötlichen Halbdämmer leuchteten die gepuderten weißen Leiber, blinkten die goldenen Sterne, schimmerten die silbernen Säbel. Ein Paar nach dem andern erhob sich und verschwand. Prohaska, der schon längst beim Kognak hielt, trat an den Regimentsarzt und sagte: «Ihr braucht sie ja doch nicht, ich nehm’ sie mit!» Und er nahm die Frauen und torkelte zwischen beiden der Treppe entgegen.
So waren sie auf einmal allein, Carl Joseph und der Doktor. Der Klavierspieler Pollak streichelte nur so über die Tasten in der gegenüberliegenden Ecke des Salons. Ein sehr zärtlicher Walzer kam zage und dünn durch den Raum gezogen. Sonst war es still und beinahe traulich, und die Standuhr am Kamin tickte. «Ich glaube, wir zwei haben hier nichts zu tun, wie?» fragte der Doktor. Er stand auf, Carl Joseph sah nach der Uhr auf dem Kamin und erhob sich ebenfalls. Er konnte im Dunkel nicht die Stunde erkennen, ging nahe an die Standuhr und trat wieder einen Schritt zurück. In einem bronzenen, von Fliegen betupften Rahmen stand der Allerhöchste Kriegsherr, in Verkleinerung, das bekannte, allgegenwärtige Porträt Seiner Majestät, im blüteriweißen Gewande, mit blutroter Schärpe und goldenem Vlies. «Es muß etwas geschehen», dachte der Leutnant schnell und kindisch. «Es muß etwas geschehen!» Er fühlte, daß er bleich geworden war und daß sein Herz klopfte. Er griff nach dem Rahmen, öffnete die papierene schwarze Rückwand und nahm das Bild heraus. Er faltete es zusammen, zweimal, noch einmal und steckte es in die Tasche. Er wandte sich um. Hinter ihm stand der Regimentsarzt. Er zeigte mit dem Finger auf die Tasche, in der Carl Joseph das kaiserliche Porträt verborgen hatte. Auch der Großvater hat ihn gerettet, dachte Doktor Demant. Carl Joseph wurde rot. «Schweinerei!» sagte er. «Was denken Sie?»
«Nichts», erwiderte der Doktor. «Ich habe nur an Ihren Großvater gedacht!»
«Ich bin sein Enkel!» sagte Carl Joseph. «Ich hab’ keine Gelegenheit, ihm das Leben zu retten; leider!»
Sie legten vier Silbermünzen auf den Tisch und verließen das Haus der Frau Resi Horwath.
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