Kalendergeschichten: Naturgeschichten & Sagen für das ganze Jahr. Anzengruber Ludwig

Kalendergeschichten: Naturgeschichten & Sagen für das ganze Jahr - Anzengruber Ludwig


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Vorstellung entweder nur ein paar Groschen auf einen kamen oder wohl gar nichts, das war zum Durchgehen, nicht für den alten Mann, der nicht gewußt hätte wohin, aber für die Mitglieder der Truppe, welche es wo anders kaum schlechter treffen konnten und von denen daher auch manche durchgingen; daß so ein Mensch in der Verzweiflung vergißt, die Schulden, die er im Orte gemacht, zu bezahlen, das ist erklärlich, ebenso erklärlich ist es aber, daß das sehr unangenehm für den Direktor und die Truppe war, welche im Orte verblieben und – wie die Welt denn ungerecht ist, – von der übeln Nachrede über den ausgerissenen Kameraden ein gut Teil zu Gehör geredet bekamen. Ließen sich die Dörfler bedauernd vernehmen, »daß nur einer durchgebrannt, die mehreren aber geblieben seien«, sprachen sie die Vermutung aus, »daß ein Lump wie der andere wäre« und was derlei Schmeicheleien mehr sind, so kann man sich wohl denken, daß bei solchen Anlässen der Direktor, wenn man ihn als den »Obersten der Komödianten« bezeichnete, die Verleihung dieses Titels gerne bescheiden abgelehnt hätte.

      Feron nannte sich der Mann. Den Tag vor jeder Vorstellung lief er alle Häuser und Hütten des Ortes ab, klagte über die arge Gegenwart, in der aller Kunstsinn in einem verehrlichen Publikum erstorben schien, lobte in einem Atem die alten Zeiten und die alten Stücke, besonders dasjenige, dessen Titel und Personenverzeichnis in sauberer Handschrift er jedem in die Hand drückte, denn er war sein eigener Zettelausträger, wohl nicht aus Leidenschaft, sondern weil er es billiger hatte, wenn er selber ging.

      Er versicherte jedem, der ihm in den Wurf kam, – war's auch ein Pferdeknecht, oder eine Kuhmagd, – daß er ihn als einen hochverehrten Gönner betrachte und dabei blieb er, wenn sich der Betreffende auch noch so sehr ereiferte, ihn von der Irrigkeit einer solchen Anschauung zu überzeugen. Lästermäuler behaupten, sie hätten den Herrn Direktor manches Haus in so schwunghafter Eilfertigkeit verlassen sehen, wie dies ohne die Mitwirkung des hochverehrten Gönners ganz undenkbar wäre.

      Direktor Feron pflegte seine unterthänigsten Aufwartungen sehr regelmäßig zu wiederholen, aber er selber war für Besuche desto unzugänglicher; nicht daß es ihm an geselligen Talenten gefehlt hätte, doch hatte seine Wohnung etwas Unnahbares; selbe befand sich in dem Einkehrwirtshause, in dessen großem Hofraum auch die bewußte Scheune stand, in welcher Komödie gespielt wurde. Durch die breite Einfahrt des Hauses gelangte man in den Hof; ohne sonderliche Beschwer, wenn man auf herumliegende Fässer und herumstehende Futterbarren acht hatte, konnte man sich auch bis zur Scheune zurechtfinden; hinter dieser aber war es nicht geheuer, da war der Boden in trockener Zeit zäher Lehm oder bei Regenwetter ein Kotmeer und da mußte man darüber weg oder mitten durch bis ans andere Ende, wo einige Wirtschaftsbauten standen, darunter eine Tenne, in deren Dachraum ein Futterboden und ein kleines Kämmerchen angebracht war, in letzterem hatte wohl vorzeit ein Knecht oder eine Magd geschlafen, aber jetzt bewohnte es der »Oberste der Komödianten«.

      Ein Mittelding zwischen Leiter und Stiege führte hinan, eine Leiter war's nicht, denn neben befand sich ein Geländer, aber eine Stiege war's wieder nicht, dazu waren die hölzernen Trittbrettchen zu schmal, das ganze Ding stand zu aufrecht und um hinaufzugelangen, mußte man denn auch einen Mittelweg zwischen Steigen und Klettern einschlagen, was nicht sehr bequem war, aber sich dafür recht hübsch ausnahm.

      War man aber einmal oben angelangt, so muß, um der Wahrheit die Ehre zu geben, offen gestanden werden, daß weder die Aussicht auf den Hof, noch der Einblick in die kleine Kammer für die gehabte Mühe entschädigte. Die Thüre, die in die Kammer führte, ließ nur höfliche Leute ein, wer sich nicht bücken mochte, der mußte außen bleiben, das Fenster war mit dem Thürpfosten in einem Stück gezimmert worden und so schmal, daß der Glaser mit einer Scheibe, die er entzweischnitt, für beide Rahmen ausreichte. Die Wände waren geweißt, ein Bett, ein Tisch und ein Stuhl, mehr befand sich innerhalb derselben nicht, ein Kruzifix hing noch in einer Ecke, das war alles.

      Wenn der Direktor zu Hause war, so saß er für gewöhnlich an dem Tische, den er an das Fenster gerückt hatte, dort fand er zum Theaterzettelschreiben oder sonst einer nützlichen Beschäftigung gerade genug Licht, während das übrige eine angenehme Dämmerung im Räume verbreitete.

      So saß er, hart an die Tischkante gedrückt, führte fleißig die Feder oder fertigte Papparbeiten. Er stak immer in ein und demselben schwarzen Anzuge, der seine ohnedies kleine, schmächtige Gestalt noch unscheinbarer aussehen machte; zwar behauptete er, daß ihn seine unterthänigsten Beziehungen zum Publikum verpflichteten, demselben nie anders als in solchem Staate entgegen zu treten, aber er fand damit wenig Glauben, um so mehr, als nicht zu leugnen war, daß die besagte Kleidung durch den längeren Umgang mit ihm nicht gewonnen hatte, indem es sich häufig ereignete, daß er in Gedanken die Finger reinigte und Tinte oder Kleister auf Rockärmel und Beinkleid strich.

      Der kleine Mann hatte auch ein kleines, schmales Gesichtchen, aus tausend Fältchen blinzten ein Paar graue Aeuglein etwas unsicher und unstet hervor; das war aber kein Zeichen eines beunruhigten Gewissens, sondern nur einer ziemlich ausgesprochenen Kurzsichtigkeit. Seine Nase war ganz gewöhnlich, nur an der Spitze etwas knollig und rot angehaucht, die Stirne schien dermaleinst nieder gewesen zu sein, doch hat sie sich mit der Zeit Platz gemacht, indem sie die Haare beiseit schob, die sind denn auch ganz bescheiden rechts und links zurückgetreten, halten sich nur in Gestalt zweier grauschwarzer Wickel an beiden Schläfen und etlicher Büschel von gleicher Farbe hinter den Ohren auf und nun reicht die Stirne bis ins Genick, wenn sie es gelten lassen will.

      Der Direktor pappt gerade eifrig an einer Königskrone, die für heute abend fertig werden soll, die alte war doch schon zu sehr abgetragen, sie hat ihm als Muster für die neu anzufertigende gedient, jetzt aber liegt sie auf dem Boden und er streift sie mit dem Fuße unter den Tisch, während auf demselben die neue prangt, die er zufrieden beäugelt.

      Es war ein wehmütiges Bild. Was ist der Welt Herrlichkeit?

      Indes probiert der Herr Direktor die neue Krone auf, sie sitzt vortrefflich und drückt nicht im geringsten. Er erhebt sich und stolziert ein paar Schritte in der Kammer auf und ab, dann bleibt er vor dem Fenster stehen, draußen streicht ein heftiger Wind, einzelne Sandkörner prallen an die Scheiben und hinter den Holundersträuchen, welche den gegenüber liegenden Gemüsegarten begrenzen, steigt es grau auf.

      Feron nimmt die Krone seufzend vom Haupte, rechnet nach, was sie wohl unter Buchbindern wert wäre und fragt sich im bangen Zweifel, ob ihn der Himmel heute auf die Kosten kommen lassen werde? Die bewußte Scheune, in welcher die Kunst ein Unterkommen gefunden, stand nämlich schon eine geraume Weile vernachlässigt, Zeitvertreibs halber ließ sie sich mit dem Regen ein und der lehrte sie artige Wasserkünste; einmal nun, inmitten einer Theatervorstellung, fand sie Gelegenheit, vor einem geehrten Publikum zu zeigen, was sie gelernt hatte: sie formte kleine, tosende Sturzbäche, rieselnde Wasserfäden, gurgelnde Springfluten und stellenweise fröhliche Sprühregen, es soll sehr hübsch gewesen sein, aber keiner verlangte ein zweites Mal danach und so genügte ein grauer Himmel über dem Scheunendach, um alle fernzuhalten; man sieht also, daß des Direktors Furcht begründet war, und daß ihm der Himmel mit einem Regenwetter einen argen Strich durch die Rechnung machen konnte.

      Der kleine Mann sah sehr besorgt nach den Wolken, die hinter den Holunderbüschen aufstiegen, dann trat er in die Ecke und nahm den Herrgott von der Wand, setzte sich, hielt ihn sein säuberlich in der Linken, wahrend er die Rechte mit der Gebärde freundlichen Zuspruches gegen das Bild bewegte und es auch manchmal unter der Rede zärtlich streichelte.

      »Schau,« sagte er, »wirst doch heute nicht so grauslich gegen mich sein wollen, daß ich nicht einmal auf die Kosten komm'?! Sollt' auch nichts zu teilen bleiben, für die andern red' ich nicht, es ist so sündhaft's Volk, das vielleicht nicht einmal im Jahr deiner gedenkt, aber mich mußt deshalb nicht strafen. Wenn ich rechne, was mich Pappendeckel, Goldpapier und Kleister kosten, ein Pfund Kerzen zur Beleuchtung, Auslagen für Zettel und was sonst noch, so macht alles in allem zwei Gulden siebenundfünfzig Kreuzer Münz', das könntest mich doch verdienen lassen! Es ist ohnedies nicht viel, das wirst wohl einsehen, gelt ja? Na also, nicht wahr, du wirst schon dazuschau'n, du thust mir's schon zulieb und läßt mich zu dem Meinen kommen? Ja. Freilich. Ich verlass' mich darauf.«

      Hatte der Himmel ein Einsehen, dann betrat der Herr Direktor nach der Vorstellung sein Kämmerlein nie, ohne einen dankbaren Blick nach dem Winkel zu


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