Das Geheimnis der Dämonen. J.B. Brooklin
versuchte sie, das Gefühl zu unterdrücken, das in ihr aufstieg. Es fühlte sich an wie Enttäuschung. Was war nur mit ihr los? Sie hatte kein Interesse.
„Ich hatte schon befürchtet, dich nicht mehr zu finden.“ Die Stimme beschwor ein Bild von schwarzem Samt herauf. Eine seltsame Klangfarbe für einen Mann. Bevor sie sich umdrehte, wusste sie, wer sie angesprochen hatte. Der Unbekannte, nach dem sie vor wenigen Sekunden die Menge abgesucht hatte.
„Nein … ich ... Ich wollte gerade gehen.“ Sariel wurde heiß. Innerlich verwünschte sie ihr Gestammel ebenso wie ihr rot glühendes Gesicht. Sie wusste es einfach, ihre blasse Haut gab jedes Gefühl preis.
„Wie schade. Ich wollte mich für mein ungehobeltes Benehmen entschuldigen. Es war unverzeihlich …“
Abwehrend hob Sariel die Hand. „Du bist mir keine Erklärung schuldig.“
Sein Blick ließ sie verstummen. Fast kam es ihr vor, als könne er bis in ihre Seele vordringen. Seine Augen waren schwarz. Hypnotisierend. Dann beugte er sich ein wenig vor und nahm mit einer fließenden Bewegung Sariels Hand. Wie eine Feder streiften seine Lippen über ihre Haut. Die Berührung war leicht, kaum wahrnehmbar. Trotzdem beschleunigte sich ihr Herzschlag.
„Ich muss … ich muss jetzt wirklich gehen.“ Verwirrt schob Sariel eine Haarsträhne zurück, trat einen Schritt nach hinten und drehte sich um. Verschwand in der Menge. Kurze Zeit später befand sie sich in ihrem Zimmer, lehnte mit dem Rücken gegen die Tür und fragte sich, was zum Teufel mit ihr los war.
Ein Handkuss! Handküsse waren seit Jahrzehnten, wahrscheinlich seit Jahrhunderten aus der Mode. Warum hatte er sich zu einer solchen Geste hinreißen lassen? Aus irgendeinem Grund bewirkte Sariel Halders Nähe, dass er nicht klar denken konnte. Das war schlecht. Sehr schlecht. Alexander war über hundert Jahre alt. In dieser Zeit hatte er ungezählte Morde gerächt. Jedes Mal war er kalt, besonnen und fokussiert gewesen. Heute aber verhielt er sich wie jeder andere hirnlose Trottel, dem eine Frau gefiel.
Anstatt sich in den Mantel seiner Unsichtbarkeit zu hüllen, verharrte er und dachte über die Begegnung nach. Sie war eine seltsame Frau, anders als die Menschen, mit denen er sonst zu tun hatte. Über ihrem Wesen lag etwas Ätherisches, fast so, als könne sie sich ebenfalls in Rauch auflösen.
Die Präsenz eines anderen Menschen unterbrach seine Gedanken. Trotz der Tatsache, dass er sich inmitten unzähliger Gäste befand, war es eine bestimmte Person, deren Gegenwart in sein Bewusstsein kroch.
Torsten Halder.
Wie ein schwarzer Schatten breitete sich seine Aura über der Terrasse aus. Winzige Nadelstiche durchbrachen Alexanders Energiefeld. Noch bevor er reagieren konnte, überwältigte ihn der Gedanke, dass es zu spät war. Sein Körper fühlte sich mit einem Mal an, als sei er in ein Spinnennetz verstrickt. Zwang ihn, in Bewegungslosigkeit zu verharren, obwohl sich jede Faser seines Wesens danach sehnte, sich in Rauch aufzulösen.
Arroganz. Arroganz und Dummheit waren die größten Feinde eines Ifrit. Er war wie ein Tölpel in eine Falle gestolpert, deren Vorhandensein ihm entgangen war. Und das nur, weil eine Frau ihn abgelenkt hatte.
Zu der langen Liste der Fehler, die Alexander an diesem Tag begangen hatte, gesellte sich ein weiterer. Er hatte Torsten Halder unterschätzt. Ihre Blicke kreuzten sich, Halder deutete eine knappe Verbeugung an. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Mit einem Schlag traf Alexander eine Erkenntnis. Sein Gegner wusste genau, warum er hier war. Und schlimmer noch, er hatte Vorkehrungen getroffen.
Alexander kippte nach vorne. Dunkelheit umfing ihn, senkte sich über seine Gedanken.
3
Kalt.
Es dauerte eine Ewigkeit, bis Alexander imstande war, dieses eine Wort im Kopf zu formen.
So kalt.
Alexander versuchte, Luft zu holen, schaffte es aber nur mit Mühe, etwas davon in seine Lungen zu pressen. Eine unsichtbare Kraft drückte seinen Oberkörper nach unten, schnürte seine Brust ein. Er konnte nicht mehr als ein paar zittrige Atemzüge tun.
Ich muss … Wärme … ich … brauche … Wärme …
Das Denken dieser wenigen Worte erschöpfte ihn. Zu der Kälte gesellte sich Dunkelheit. Nicht lange und er würde in ihr versinken, um nie wieder zurückzukehren. Nie wieder …
Die Worte hallten in seinem Kopf, brachten Fragmente seiner Willenskraft zurück. Er würde nicht aufgeben. Er war ein Ifrit. Ein Dämon des Feuers. Auch wenn seine Lebensflamme kaum noch brannte, so war sie nicht erloschen. Er würde es Torsten Halder nicht so leicht machen.
Die Entscheidung entzündete einen winzigen Funken in ihm. Ein Funke, der die tödliche Kälte kaum spürbar erwärmte.
Besser.
Die Erstarrung, die Alexander in festem Griff hielt, lockerte sich soweit, dass er seine Augen öffnen konnte. Ohne sich zu bewegen, ließ er seinen Blick schweifen, erfasste den dunklen, fensterlosen Raum, in den Halder ihn verbannt hatte. Viel gab es nicht zu sehen. Der Boden bestand aus grauem Beton, die Wände ebenfalls. Die Pritsche, auf der er lag, war aus Metall.
Eine Stahltür sorgte dafür, dass die Kälte diese vier Wände nicht verlassen konnte, ebenso wenig wie er selbst. Solange er diesen eisigen Temperaturen ausgesetzt war, konnte er sich nicht in Rauch verwandeln. Die Erkenntnis rief ein ironisches Lächeln hervor. Verwandeln! Er konnte froh sein, wenn er es schaffte, bei Bewusstsein und am Leben zu bleiben.
Mit einem letzten kritischen Blick in den Spiegel wandte Sariel sich um. Ihr Onkel hasste Unpünktlichkeit, und das Frühstück wurde jeden Morgen genau um halb sieben serviert. Als Sariels Eltern noch lebten …
Entschlossen verbannte sie diesen Gedanken aus ihrem Kopf. Ihre Eltern waren tot. Seitdem lebte sie bei Onkel Torsten, und auch wenn seine Angewohnheiten ihr oft seltsam vorkamen, musste sie ihm doch dankbar sein. Immerhin hatte er sie bei sich aufgenommen. obwohl er alleinstehend und kinderlos war. Plötzlich eine fast erwachsene Nichte unter seinem Dach zu haben, musste ihn in seinem gewohnten Lebensstil einschränken. Aber nicht mehr lange. Heute wollte Sariel ihm die frohe Botschaft überbringen, dass sie in drei Tagen nach Paris reisen würde. Ihr Kunststudium an der Sorbonne begann in zwei Wochen. Bis dahin musste sie eine Bleibe gefunden und den Transfer ihrer wenigen Besitztümer organisiert haben.
Das Problem war: Ihr Onkel würde sich nicht freuen. Nicht umsonst hatte er ihr immer wieder nahe gelegt, ihre Studien auf den Bereich der Betriebswirtschaftslehre zu konzentrieren. Mit der Perspektive, eines Tages die Führung seiner Bank zu übernehmen. Torsten Halder hasste es, wenn man seine Pläne durchkreuzte.
Sariel seufzte. Wahrscheinlich würde er für lange Zeit nicht mehr mit ihr reden. Das tat er immer, wenn sie sich ihm widersetzte. In der Vergangenheit hatte er damit erreicht, was er wollte. Dieses Mal aber würde sie ihren Willen durchsetzen. Auch wenn es bedeutete den Kontakt zu ihrem einzigen Verwandten zu verlieren.
„Guten Morgen, Onkel“, murmelte Sariel, als sie das Esszimmer betrat. Wie immer war der Tisch tadellos gedeckt. Das Silberbesteck glänzte im Sonnenlicht, das durch die hohen Terrassentüren fiel und den Raum überflutete. Hier tanzten keine Staubpartikel in dem grellen Licht. Wahrscheinlich erstarrten auch sie in Angst und Ehrfurcht vor Torsten Halder.
Das edle Porzellan wurde von feinen Stoffservietten eingerahmt. Die silberne Teekanne, die auf dem Tisch stand, versprach den edelsten Darjeeling. Kaffee wäre ihr lieber gewesen, aber davon hielt ihr Onkel nichts. Ganz der vollendete Kavalier stand er sofort auf, als sie den Raum betrat. Dann erst erwiderte er ihren Morgengruß: „Guten Morgen, Sariel. Ich hoffe, du hast gut geschlafen.“
„Ja, danke“, log sie mechanisch, während sie die Serviette auf ihrem Schoß ausbreitete. Sie hatte gehofft, ihn in eine seiner Zeitungen vertieft zu sehen, aber