Flamme von Jamaika. Martina Andre

Flamme von Jamaika - Martina Andre


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nachtschwarzen Menschen geführt wurden. Auf den Ladeflächen stapelten sich exotische Früchte. Das Obst erinnerte Lena an den Präsentkorb, den Edward ihr in London gesandt hatte. Damals hatte sie beileibe nicht ahnen können, in der von ihr so herbeigesehnten Fremde auf einen derart unangenehmen Zeitgenossen wie Trevor Hanson zu stoßen. Trotz seines angetrunkenen Zustandes ließ dieser es sich nicht nehmen, die Kutsche persönlich zu lenken. Dabei sang er in völlig falschen Tönen irgendwelche irischen Trinklieder.

      Lena saß schwitzend im Innern und beobachtete mit Sorge den Gesundheitszustand von Maggie. Zusammengekrümmt lag ihre Freundin auf der zweiten Sitzbank und verschlief die Einkehr ins vermeintliche Paradies. Ein wenig war Lena sogar erleichtert, dass ihre Gesellschafterin nicht munter genug war, um ihre Ängste und Zweifel zu bemerken. Nicht auszudenken, wenn Maggie aus dem Auftritt von Mr. Hanson die gleichen Rückschlüsse gezogen hätte wie sie selbst! So blieb nur zu hoffen, dass ihre Ankunft in Redfield Hall sie von diesem Albtraum erlöste und Edward sie mit der gleichen Zuneigung und Fürsorge empfing, mit der er sie in London zurückgelassen hatte. Das von ihm beschriebene prunkvolle Anwesen würde sein Übriges tun, um nicht nur Maggie, sondern auch ihr eigenes Gemüt vollends zu besänftigen. Sicher war ein lebenswichtiges Erfordernis dafür verantwortlich, dass Edward nicht selbst zum Hafen gekommen war. Eines, das weit über die verworrene Erklärung des Aufsehers hinausging. Sobald Maggie sich besser fühlte, würden sie gemeinsam über ihre katastrophale Anreise lachen können.

      Kapitel 4

      August 1831 // Jamaika // Redfield Hall

      Es war mitten in der Nacht, als Lena nach mehr als acht Stunden Fahrt und einem Pferdewechsel in St. Ann ihr neues Zuhause erreichte. Im fahlen Mondlicht war bereits von weitem das strahlende Weiß des mehrstöckigen Herrenhauses zu erkennen. Über einen breiten, mit Kies ausgestreuten Weg ging es entlang haushoher Palmen zu einer geschwungenen Auffahrt. Der Prachtbau stand in krassem Kontrast zu den ärmlichen Hütten, die Lena auf dem Weg gesehen hatte, und den schlichten Lagerhäusern und Stallungen ringsumher.

      Das Herz von Redfield Hall lag auf einer Anhöhe und wurde von zahlreichen Feuerkörben und Fackeln erleuchtet. Als die Kutsche sich näherte, entpuppte sich das Gebäude als beeindruckender Marmorpalast mit griechischen Säulen entlang der gesamten Vorderfront, die eine breite Überdachung vor dem Haupteingangsportal stützten. Ein unübersehbarer Vorteil, denn so war es anfahrenden Kutschen möglich, ihre Gäste unbehelligt von Regen und Sturm ein- und aussteigen zu lassen.

      Nachdem die Pferde mit einem müden ‹Ho-ho!› von Mr. Hanson zum Stehen gekommen waren, schrak Lena auf ihrer Bank zurück, als die Tür der Kutsche unvermittelt von außen aufgerissen wurde und einzig ein paar weiße Handschuhe und eine helle Zahnreihe die Düsternis im Wagen durchbrachen. Erst als sich ihre Augen an die Umgebung gewöhnt hatten, sah sie den durch und durch schwarzen Mann, der ihr lächelnd seine weiß behandschuhte Rechte zum Aussteigen bot.

      Vom langen Fahren und der Anspannung ganz steif, kletterte Lena aus dem Wagen. In seiner Linken trug der Butler eine Fackel, mit der er ihr den Weg zum Treppenaufgang leuchtete.

      «Herzlich willkommen auf Redfield Hall, Mylady. Mein Name ist Jeremia», erklärte der Mann mit gesenktem Blick und einer tiefen, sonoren Stimme.

      Sein Englisch war vom einheimischen Dialekt gefärbt, aber nicht so unverständlich wie das der Neger in Falmouth. «Ich bin Lord Williams Butler und stehe der Dienerschaft vor. Darf ich bitten?»

      Er verbeugte sich noch tiefer und deutete zum Anwesen. Die dunkle Livree, die er trug, unterschied sich in der Farbe kaum von seiner Haut. Als Lena noch nicht reagierte, fiel sein Blick auf Maggie, die im Innern der Kutsche langsam zu sich kam.

      «Wir sind bereits über den Zustand Ihrer Gesellschafterin informiert», erklärte Jeremia. «Man wird sie in ihr Zimmer tragen. Es befindet sich direkt neben der Suite Ihrer Ladyschaft im zweiten Obergeschoss.»

      «Wo sind wir?», wisperte Maggie mit matter Stimme.

      Offenbar war sie durch die plötzliche Kühle und das einsetzende Stimmengewirr vor der Kutsche erwacht. Auch das Zirpen der Zikaden erfüllte die samtweiche Luft.

      «Am Ziel», erwiderte Lena leicht unsicher. Dann wandte sie sich an den Butler. «Miss Blumenroth benötigt dringend die Zuwendung einer Zofe», erklärte sie dem schwarzen, älteren Mann. «Jemand muss mir helfen, sie zu entkleiden und bettfertig zu machen.»

      Der Butler nickte ergeben. «Sehr wohl, Mylady, ich werde alles zu Ihrer Zufriedenheit veranlassen.» Mit wackeligen Beinen schritt Lena die Treppe zum Haus hinauf. Inzwischen hatte eine Schar schwarzer, beinahe unsichtbarer Geister mehrere Fackeln entlang der breiten Marmortreppe aufgestellt, die von der Auffahrt zum Hauptportal führte.

      Dass Edward nicht wenigstens hier das Empfangskomitee verstärkte, stürzte Lena in abgrundtiefe Enttäuschung. Ihre Hoffnung, dass er jeden Augenblick aus dem hell erleuchteten Portal heraustreten und ihr entgegeneilen könnte, verflüchtigte sich vollends, als ihr lediglich eine rabenschwarze Hausdame entgegentrat. Ihr kurzes, krauses Haar war bereits leicht ergraut, wohingegen ihr dunkelblaues, eng anliegendes Kleid den immer noch jugendlich wirkenden, schlanken Körper betonte.

      «Willkommen in Redfield Hall, Mylady», sagte sie und vollführte einen Hofknicks. «Mein Name ist Estrelle. Ich bin hier für den Haushalt zuständig und werde Sie bei allem unterstützen, was Sie für notwendig erachten.»

      Ihr Akzent war nicht weniger stark als der des Butlers, doch im Gegensatz zu ihm ließ ihre Miene nicht die geringste Gefühlsregung erkennen.

      Lena konzentrierte sich auf ihr dringendstes Anliegen. «Miss Blumenroth benötigt umgehend den Beistand eines Arztes. Gibt es jemanden auf der Plantage, der ihr helfen könnte?»

      «Unser Hausarzt sitzt in Fort Littleton», erwiderte Estrelle unbeeindruckt. «Das ist zehn Meilen entfernt. Wir könnten sofort einen Boten schicken, wenn Sie das wünschen. Aber es wird eine Weile dauern, bis er mit dem Doktor zurückkehrt.»

      «Ich wünsche es. Je eher er losreitet, umso besser.» Lena war erleichtert, dass das Personal offenbar bereit war, ihre Befehle ohne Rückversicherung bei Edward oder seinem Vater zu befolgen. Wobei es sie brennend interessierte, warum die beiden nicht vor Ort waren. «Darf ich fragen, wo sich der Herr des Hauses aufhält? Ich hatte gehofft, ihn bei meiner Ankunft hier vorzufinden.»

      «Es tut mir leid, Mylady», antwortete Estrelle kühl. «Master Edward hat die Plantage heute Nachmittag wegen dringender Geschäfte verlassen, und sein Vater befindet sich zu Verhandlungen in Kingston, wo er den Gouverneur trifft.»

      «Oh», sagte Lena, bemüht, sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Doch Estrelle besaß offensichtlich einen scharfen Blick und ahnte wohl, was in ihrem Kopf vorging.

      «Da Ihr Schiff Verspätung hatte und niemand wusste, wann es genau eintreffen wird», hob sie erklärend an, «sind Lord William und sein Sohn ihren Verpflichtungen nachgegangen. Ich nehme an, dass zumindest Master Edward bis spätestens morgen wieder zurück sein wird.»

      Lena verstand natürlich, dass Edward und sein Vater viel beschäftigte Männer waren, die nicht tagelang in Falmouth auf ein einlaufendes Schiff warten konnten. Während sie noch grübelte, hörte sie die polternde Stimme des Aufsehers, der seinen Männern in einer unverständlichen Sprache Anweisungen gab, das Gepäck abzuladen und ins Haus zu bringen. Dr. Beacon hatte Lena von einer jamaikanischen Sprache der Einheimischen erzählt. Es handelte sich um eine eigene Form des Englischen, gemischt mit Afrikanisch, die kaum ein Weißer verstand. Sie war erstaunt, dass Mr. Hanson sich ihrer so sicher bediente, als hätte er sie mit der Muttermilch aufgesogen. Wahrscheinlich war es seinem langen Aufenthalt auf dieser Insel geschuldet, dachte sie schließlich.

      Nun sah sie, wie Maggie von vier kräftigen Negern auf einer Trage die Treppe hinauftransportiert wurde. Wobei Jeremia die Männer mit Argusaugen beobachtete, damit sie auch ja pfleglich mit ihrer kostbaren Fracht umgingen.

      «Master Edward hat mich angehalten,


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