Geschichte erzählen. Strategien der Narrativierung von Vergangenheit im Mittelalter. Группа авторов
sind zwei Dimensionen heilsgeschichtlichen Denkens angesprochen, die mir auch für die Bearbeitungen des Mittelalters prägnant erscheinen: Heilsgeschichte kann zum einen verstanden werden als eine geschichtliche Entwicklung des Heils, die beschrieben werden kann und gerade in dieser Prozessualität von Interesse ist. Sie kann aber auch verstanden werden als historische Fundierung der überzeitlichen Heilsgewissheit, die in wiederkehrenden Prozessen des Kirchenjahres oder in den Sakramenten im Leben des einzelnen Gläubigen aufgerufen wird.4
Diese beiden heilsgeschichtlichen Perspektiven sind für die einzelnen Evangelisten unterschiedlich wichtig. Mit dem Ausbau der Kindheitsgeschichte legt Lukas das Gewicht eher auf die historische Bedeutung des Täufers als Vorläufer Jesu, wohingegen das vierte Evangelium fast ganz auf eine solche Entfaltung in der Zeit verzichtet und die theologische Bedeutung als Christuszeuge deutlich in den Vordergrund stellt. Allen Evangelien ist jedoch die Tendenz gemeinsam, Johannes in seinen Funktionen für Jesus zu beleuchten und das Leben des Täufers in seinen Eigengesetzlichkeiten und Hintergründen zurücktreten zu lassen. Dennoch vermitteln sie, auch mit dem, was sie nicht erzählen, eine Geschichte des Täufers, die der christlichen Funktionalisierung durchaus Widerständiges entgegenstellt.
Denn auch in der Darstellung der Evangelien ist Johannes ein erfolgreicher Bußprediger vor und unabhängig von Jesus, das Volk hält ihn für den wiedergeborenen Elias und den verheißenen Messias. Sein asketisches Leben fernab jeder Zivilisation zieht zahlreiche Anhänger an. Jesus kommt noch als Unbekannter zu ihm und schließt sich – zumindest kurzzeitig – der Bewegung des Täufers an.5 König Herodes fühlt sich von ihm so sehr bedroht, dass er ihn einkerkern und schließlich töten lässt. Auch nach Johannes’ Tod bleiben ihm seine Jünger treu, bestatten seinen Leichnam und fechten ihre Differenzen mit den Anhängern Jesu aus.6 Zwischen den Zeilen erscheint Johannes als der schärfste Konkurrent Jesu in einer politisch und religiös höchst instabilen Zeit großer Unruhe und Umwälzungen.7 Religionsgeschichtlich zeigt sich diese Konkurrenz in der devianten Interpretation der Mandäer, die Johannes den Täufer als wichtigsten Propheten verehren und Jesus als falschen Propheten ablehnen.8
Die Darstellungen der Bibel bieten also vielfältige Anknüpfungsmöglichkeiten für eine narrative Auseinandersetzung mit Johannes dem Täufer, die von den Autoren späterer Jahrhunderte sehr unterschiedlich genutzt werden. Im Mit- und Gegeneinander von biographischem, historiographischem und theologischem Interesse entsteht im christlichen Mittelalter eine Vielzahl von Johanneserzählungen. Deren Schwerpunktsetzungen und Techniken ließen sich vom Evangelienbuch Otfrids und dem Heliand über die Werke Avas, den Baumgartenberger Johannes, den Johannes des Priesters Adelbrecht, die Legendare des 13. und 14. Jahrhunderts bis hin zu den Johannesdramen des 16. Jahrhunderts zeigen.9 Im Folgenden werde ich mich auf zwei Werke konzentrieren, die etwa zur gleichen Zeit verfasst wurden, aber beinahe paradigmatisch unterschiedlichen Wegen folgen, mit dem Leben des Täufers umzugehen. Das Passional und Der Saelden Hort sind beide um 1300 entstanden und erzählen umfangreich von Johannes dem Täufer.
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