Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson. Robert Louis Stevenson
eine Art Liebe, die wie ein Hampelmann hin und her zappelt, je nachdem wie die Leute reden? Meinst du etwa, sie haben nicht auch mit mir geredet?«
»Haben sie das wirklich?« fragte Archie und sog hastig den Atem ein. »Das eben hatte ich ja gefürchtet. Wer tat es? Wer hat gewagt –?«
Er war nahe daran, sehr zornig zu werden.
In Wahrheit hatte niemand in dieser Angelegenheit mit Christina geredet, aber in der Panik ihrer Selbstverteidigung hielt sie krampfhaft an ihrer ersten Frage fest.
»Gut, gut! Das ist ja auch ganz gleich!« sagte er. »Es waren brave Leute, die es gut mit uns meinten; das schlimme ist, daß die Leute überhaupt reden. Mein liebes Mädchen, wir müssen vorsichtig sein. Wir dürfen nicht gleich zu Anfang unser Leben ruinieren. Es wird vielleicht noch ein langes und schönes Leben werden, und wir müssen darauf achten, daß wir uns wie vernünftige Geschöpfe Gottes und nicht wie törichte Kinder benehmen. Auf das eine müssen wir vor allem achten. Du bist wert, daß man auf dich wartet, Kirstie! Wert, daß man eine Generation wartet; das wäre an sich Lohn genug.« – Hier erinnerte er sich wieder des Schulmeisters und schlug, äußerst unklug, die Bahn der Klugheit ein. »Vor allem müssen wir darauf achten, daß es keinen Skandal gibt – um meines Vaters willen. Das würde alles ruinieren; siehst du das nicht ein?«
Ein wenig war Kirstie besänftigt, denn in Archies letzten Worten hatte ein Anflug von Wärme gelegen. Aber dumpfer Zorn hielt sie immer noch gefangen, und dem alten Urinstinkt folgend, wünschte sie, da sie selbst gelitten hatte, daß auch Archie leide.
Außerdem war das Wort gefallen, das sie sich von Anfang an gefürchtet hatte von seinen Lippen zu vernehmen: der Name seines Vaters. Es wäre falsch, anzunehmen, daß in all den Tagen, seitdem sie sich ihre Liebe gestanden, nicht auch ihrer beider Zukunft erwähnt worden wäre. Sie hatten im Gegenteil das Thema häufig berührt, und es war vom ersten Tage an der wunde Punkt gewesen. Kirstie schloß mit Gewalt ihre Augen davor; sie wollte nicht einmal zu sich selbst darüber sprechen. Tapferes, verzweifeltes kleines Herz, das sie war, hatte sie dem gebieterischen Ruf des höchsten Entzückens gehorcht wie dem Rufe des Schicksals selbst und war blind in ihr Verhängnis geschritten. Allein Archie, mit dem Verantwortungsgefühl des Mannes, mußte logisch denken und folgern; er verweilte bei ihrem künftigen Glück, während für Kirstie die Gegenwart die ganze Welt bedeutete; er hatte reden müssen und – da die Notwendigkeit ihn trieb – recht lahm geredet von dem, was werden sollte. Wieder und wieder hatte er das Wort Ehe gestreift; und wieder und wieder hatte der Gedanke an Lord Hermiston ihn veranlaßt, sich unklar und unbestimmt auszudrücken. Und Kirstie hatte sofort verstanden und eiligst dieses Verstehen heruntergewürgt und erstickt; eiligst hatte die Flamme in ihr emporgelodert, sobald sie die Hoffnung, eines Tages Mrs. Weir von Hermiston zu werden, auch nur erwähnen hörte, eine Hoffnung, die ihre Liebe und Eitelkeit aufs tiefste berührte; doch ebenso eilig hatte sie aus seinen stotternden, gequälten Äußerungen das Todesurteil für all diese Aussichten herausgelesen. Und treu und unerschütterlich in ihrem großherzigen Wahn war sie ihren Weg gegangen, ohne jede Rücksicht auf die Zukunft. Allein diese unvollkommenen Anspielungen, diese flüchtigen Momente, in denen sein Herz sprach und die seine Erinnerung und seine Vernunft gebieterisch zum Schweigen brachten, noch ehe er das eigentliche Wort gesagt, taten ihr unsagbar weh. Sie fühlte sich erhoben und sogleich wieder blutend zu Boden geschmettert. Jede Wiederkehr des Themas zwang sie, wenn auch auf noch so kurze Zeit, ihre Augen dem zu erschließen, was sie nicht zu sehen wünschte, und endete regelmäßig mit einer neuen Enttäuschung. So kam es, daß sie auch jetzt, bei der Andeutung des Kommenden, schon bei Nennung von seines Vaters Namen – wahrhaftig, fast schien es, als sei die furchtbare Gestalt in der Perücke mit dem ironischen und bitteren Lächeln, allgegenwärtig dem schuldigen Gewissen, ihrer Liebe hinaus in die Heide gefolgt – den Kopf in den Sand vergrub.
»Du hast mir noch nicht gesagt, wer mit dir redete«, forschte sie.
»Deine Tante, zum Beispiel!«
»Tante Kirstie?« rief sie. »Was frage ich schon nach Tante Kirstie!«
»Sie fragt sehr viel nach ihrer Nichte«, lautete Archies freundlich tadelnde Bemerkung.
»Wahrhaftig, das ist das erste, was ich davon höre«, erwiderte das Mädchen.
»Die Frage ist ja auch nicht, wer geredet hat, sondern was geredet wird und was die Leute bemerkt haben«, fuhr der ungemein logische Schulmeister fort. »Das ist’s, woran wir aus Selbsterhaltungstrieb denken müssen.«
»Tante Kirstie, wahrhaftig! Eine bittere, verschrobene alte Jungfer, die Unfrieden im Lande säte, noch ehe ich zur Welt kam, und es wahrscheinlich bis an ihr Lebensende so weitertreiben wird! Es liegt in ihrer Natur; es kommt ihr so natürlich wie den Schafen das Fressen.«
»Verzeihung, Kirstie, sie war nicht die einzige«, warf Archie ein. »Ich bin zweimal gewarnt, zweimal ermahnt worden gestern abend, beidemal in der freundschaftlichsten und rücksichtsvollsten Weise. Wärest du dabeigewesen, ich schwöre dir, du hättest geweint, liebes Kind! Und das hat mir die Augen geöffnet. Ich erkannte, daß wir einen falschen Weg gegangen sind.«
»Und wer war der andere?« forschte Kirstie.
Jetzt befand sich Archie im Zustand eines gehetzten Tieres. Er war hergekommen, gewappnet mit einem festen Entschluß; es galt, für sie beide in wenigen kalten, überzeugenden Sätzen Verhaltensmaßregeln festzulegen; jetzt war er schon eine ganze Weile hier, und immer noch stolperte er an den Außenwerken der Festung herum, während man ihn, das fühlte er, gleichzeitig einem scharfen Kreuzverhör unterzog.
»Mr. Frank!« rief sie. »Wer sonst noch, möchte ich wissen?«
»Er sprach ungemein freundlich und zutreffend.«
»Was hat er denn gesagt?«
»Ich werde es dir nicht wiederholen; das geht dich nichts an«, rief Archie, erschreckt, daß er bereits so viel zugegeben.
»So, das geht mich nichts an«, wiederholte sie, aufspringend. »Jedem in Hermiston steht es also frei, seine Ansichten über mich zu äußern, aber mich geht es nichts an. War es vielleicht gar bei der Hausandacht? Habt Ihr auch noch den Verwalter zu Rate gezogen? Kein Wunder, daß sie alle reden, wenn man sie alle ins Vertrauen zieht! Aber, wie Sie soeben bemerkten, Mr. Weir – ohne Zweifel sehr rücksichtsvoll, sehr treffend bemerkten –, mich geht es ja nichts an. Ich glaube, es ist wohl Zeit, daß ich gehe. Ich habe die Ehre, Ihnen einen guten Abend zu wünschen, Mr. Weir.« Und sie machte ihm, bebend von Kopf bis Fuß vor nacktem, heillosem Zorn, eine majestätische Verbeugung.
Der arme Archie stand sprachlos. Sie hatte sich bereits einige Schritte entfernt, bevor er die Sprache zurückgewann.
»Kirstie!« rief er. »O Kirstie, Kind!«
Ein Flehen lag in seiner Stimme und unverhohlenes Erstaunen, welches deutlich zeigte, daß der Schulmeister verschwunden war.
Sie wandte sich gegen ihn. »Was haben Sie mich Kirstie zu nennen? Was haben Sie überhaupt mit mir zu schaffen? Gehen Sie zu Ihren Freunden, und schwatzen Sie denen die Ohren voll!«
Er konnte nur flehend wiederholen: »Kirstie!«
»Kirstie, in der Tat!« rief das Mädchen mit flammenden Augen und schneeweißem Gesicht. »Mein Name ist Fräulein Christina Elliott, gebe ich Ihnen zu verstehen, und ich verbiete Ihnen, mich irgendwie anders zu nennen. Kann ich nicht Liebe haben, so verlange ich wenigstens Respekt, Mr. Weir. Ich stamme von anständigen Leuten ab, und ich verlange Respekt. Was habe ich denn getan, daß Sie mich so leichtfertig behandeln? Was habe ich nur getan? Was habe ich getan? Oh, was habe ich überhaupt getan?« Ihre Stimme überschlug sich bei der dritten Wiederholung. »Ich glaubte – ich glaubte – ich glaubte, ich wäre so glücklich!« Das erste Schluchzen brach aus ihr hervor, krampfartig, gleich einer tödlichen Krankheit.
Archie lief auf sie zu. Er nahm das arme Kind in seine Arme, und sie schmiegte sich an seine Brust wie an die einer Mutter und packte ihn mit Händen, fest wie Schraubstöcke. Er fühlte, wie ihr ganzer Körper in verzweifeltem Schmerz kreiste, und Mitleid, stärker als Worte, erfaßte ihn: Mitleid und Furcht