Truth & Betrayal. K.C. Wells
Zoo. Im Aquarium. Am Strand. Sie sahen beide glücklich aus. So viele Bilder.
Wow. Sie standen sich wirklich sehr nahe.
Als er einen Ordner entdeckte, dessen Namen aus einem Smiley bestand, wusste Jake, dass er nachsehen musste. Seine Hand zitterte, als er ihn anklickte, und er sah –
Liam im Bett, auf der Seite liegend, wie er schläfrig in die Kamera lächelte.
Liam, auf dem Rücken im Bett liegend, mit nackter Brust und lachend, der zur Kamera über seinem Kopf aufschaute.
Und…
Jake starrte ungläubig das Bild von Caleb und Liam an, die zusammen im Bett lagen, nackt von der Taille aufwärts. Calebs Kopf ruhte auf Liams Brust, den Arm hatte er ausgestreckt, um das Selfie zu machen, der Kontrast von Calebs hellbraunen Haaren zu Liams dunkelbrauner Haut…
Caleb – und Liam. Sie sahen so unglaublich sorglos aus, so glücklich.
Und da waren noch mehr Bilder. Nicht nur Selfies, auch Aufnahmen, die offensichtlich mit dem Selbstauslöser gemacht worden waren. Auf denen sie einander umarmten. Einander in die Augen sahen.
Es gab keine andere Art, diese Fotos zu interpretieren, außer der offensichtlichen. Die Intimität zwischen den beiden Männern ließ sich nicht ignorieren.
Caleb, du Mistkerl! Warum hast du es mir verfickt noch mal nicht gesagt?
Kapitel 8
Ich interpretiere das nicht falsch, oder? Ich meine, man muss sie ja nur anschauen!
Was für eine verfickte Ironie.
Jake schloss den Ordner und musterte den Bildschirm. Er war sich nicht sicher, warum er weitere Beweise für das brauchte, was er mit eigenen Augen gesehen hatte, aber er wusste, dass er sich nicht allein mit den Fotos zufriedengeben würde.
Dann sah er es.
Tagebuch.
Halle-fucking-luja.
Jake war es scheißegal, dass das Calebs Tagebuch war, oder privat, oder was auch immer. Er musste es wissen. Er klickte auf den Ordner und ein Word-Dokument erschien. Jake nahm sich einen Moment Zeit, um durchzuatmen, bevor er es öffnete. Ein Blick auf das Datum zeigte ihm, dass Caleb in der zwölften Klasse zu schreiben begonnen hatte, ungefähr fünf Monate, nachdem er den Laptop bekommen hatte.
Das Tagebuch schien nicht sonderlich umfangreich zu sein. Er scrollte durch die Seiten und bemerkte, dass die Einträge sporadisch und nicht sonderlich lang waren. Das überraschte ihn nicht. Caleb war nie jemand gewesen, der viel geschrieben hatte. Er ging zum Anfang des Dokuments zurück und begann zu lesen.
10. Mai 2008
Ich hätte nie gedacht, dass ich mal ein Tagebuch führen würde. Das ist was für Mädchen, oder? So ein kleines Büchlein mit einem Schloss, das sie unter ihrem Kopfkissen vor ihrem bescheuerten Bruder oder, noch schlimmer, ihren Eltern verstecken.
Ich schätze, ich mache genau das, stimmt‘s? Nur, dass mein Schloss ein Passwort ist und Murmelchen der Einzige, vor dem ich es verstecken muss. Denn Mama und Daddy und Technik? Ganz genau. Ich habe Jahre gebraucht, ihn davon zu überzeugen, eine Webseite für seine Firma zu erstellen.
Und warum fange ich jetzt mit einem Tagebuch an?
Weil ich mich erinnern möchte, wie ich mich jetzt gerade fühle. In der Kirche hat der Prediger mal darüber gesprochen, dass Paulus irgendwo hinging, stürzte und dieses verdammt helle Licht auf ihn herabstrahlte. Und dass er dann wusste, dass er aufhören musste, die Jünger Christi zu verfolgen und einer von ihnen wurde.
Tja, für mich gab es kein strahlend helles Licht. Und es gab nicht den einen Moment, es waren eher mehrere, am Anfang sogar nur ein Gefühl. Und ich muss zugeben, als ich das Gefühl zum ersten Mal hatte?
Ich bin davor geflüchtet. Nein. Ich doch nicht. Auf keinen Fall.
Aber es wollte nicht verschwinden. Kam immer wieder, und jedes Mal war es stärker.
Fuck, es machte mir Angst. Ich wollte nicht so sein. Ich hab das Gefühl versteckt, weil ich es musste. Kann es niemanden sehen lassen. Aber ich weiß jetzt, dass es nicht weggeht. Das ist, wer ich bin.
Ich werde es niemandem sagen. Auf gar keinen Fall. Jedenfalls nicht hier. Später wird es anders sein, wenn ich in Atlanta aufs College gehe. Wenn mich niemand sieht, der mich kennt.
Herrgott, ich will die Worte schreiben, aber das fühlt sich so… endgültig an.
Aber ich muss es tun, stimmt’s?
Dann mal los.
Ich mag keine Mädchen. Ich mag Jungs.
Allein diese letzte Zeile zu lesen, ist überwältigend. Das erste Mal, dass ich es zugegeben habe. Aber es fühlt sich gut an. Richtig. So als könnte ich wieder atmen.
Hast du das gehört, Welt? Ist es dir entgangen?
Caleb Greenwood ist schwul. Und NIEMAND in dieser Stadt wird es je erfahren. Und das gilt erst recht für Murmelchen. Gott sei Dank ist er zu jung, um zu wissen, was das bedeutet.
Jake starrte auf den Bildschirm. Sein Herz raste. Großer Gott… Kälte traf ihn in seinem Innersten und eisige Ranken breiteten sich in seinem Körper aus.
Das hätte er geschrieben haben können. Wort für verdammtes Wort.
Erinnerungen brachen über ihn herein. Wie er sich an diesem Tag vor drei Jahren gefühlt hatte, an diesem unfassbar bedeutsamen Tag, als er den Blick durch den überfüllten Lesesaal hatte schweifen lassen und Dylan Torrance dabei erwischt hatte, wie er ihn anstarrte. Der Gedanke war Jake so schnell durch den Kopf geschossen, dass er ihm fast entgangen wäre.
Gott, ich möchte diesen Mund küssen.
Sein ganzer Körper hatte gekribbelt und er hatte sich gefühlt, als würde er keine Luft mehr bekommen. Er hatte den Blick gesenkt, war knallrot geworden und hatte gebetet, dass niemand seine Reaktion bemerkt hatte. Er hatte nicht einmal gewagt, den Kopf zu heben und es herauszufinden. Er wollte es nicht wissen.
In den darauffolgenden Wochen und Monaten hatte Jake mit sich gerungen. Diese eine Zeile, die Caleb geschrieben hatte, gab exakt seine eigene Reaktion wieder. Ich bin davor geflüchtet. Er hatte sich danach gesehnt, Caleb anzurufen, darüber zu reden, aber eine Sache hatte ihn davon abgehalten – das Schweigen, von dem er befürchtet hatte, dass es am anderen Ende der Leitung eintreten würde. Es gab sonst niemanden, dem er vertrauen konnte, dass er nicht mit Abscheu und Ekel regieren würde. Also ignorierte er es. Verdrängte es, hielt an der unwahrscheinlichen Hoffnung fest, dass es ein Moment geistiger Verwirrung gewesen war.
Fehlanzeige.
Calebs Worte spiegelten auf unheimliche Weise Jakes Bestürzung und seine völlig durcheinandergeratenen Emotionen wider, aber das machte ihm diese ganze beschissene Situation nur bewusster.
Er verstand, dass Caleb damals kein Wort darüber sagen wollte, aber später? Herrgott, wenn er mit verfluchten siebzehn Jahren wusste, dass er schwul war, warum zum Teufel hat er all die Jahre nichts gesagt? Hat er mir verdammt noch mal gar nicht vertraut? Jake wandte sich wieder dem Tagebuch zu, er wollte unbedingt mehr in Erfahrung bringen.
Juni
Geschafft! Die Highschoolzeit ist VORBEI.
Die meisten von uns sind gestern Abend zu McDonald's gegangen und danach haben wir im alten Steinbruch in der Nähe von West Central abgehangen. Trey und Corey hatten Bier dabei und wir haben uns total die Kante gegeben. Ich hab bei Corey geschlafen – seine Eltern haben ihm das Zimmer über der Garage überlassen und ich hab eine Matratze auf den Boden gelegt. Besser, als nach Hause zu gehen.
Viele Kids aus der Schule bei McDonald's. Da ist dieser eine Junge aus der Zehnten, hab ihn oft auf den Fluren gesehen. Er hat diese Art von Gesicht, das man nicht vergisst. Hätte nie gedacht, dass ich einen Kerl für schön halten würde, aber Gott, auf ihn