Effi Briest - ein Klassiker der Weltliteratur. Theodor Fontane
Untreue.“
„Aber doch nicht hier.“
„Nein, nicht hier,“ lachte Effi, hier kommt so was nicht vor. Aber in Konstantinopel, und du musst ja, wie mir eben einfällt, auch davon wissen, so gut wie ich, du bist ja mit dabei gewesen, als uns Kandidat Holzapfel in der Geographiestunde davon erzählte.“
„Ja,“ sagte Hulda, „der erzählte immer so was. Aber so was vergisst man doch wieder.“
„Ich nicht. Ich behalte so was.“
Zweites Kapitel
Sie sprachen noch eine Weile so weiter, wobei sie sich ihrer gemeinschaftlichen Schulstunden und einer ganzen Reihe Holzapfelscher Unpassendheiten mit Empörung und Behagen erinnerten. Ja, man konnte sich nicht genug tun damit, bis Hulda mit einem Male sagte: „Nun aber ist es höchste Zeit, Effi; du siehst ja aus, ja, wie sag ich nur, du siehst ja aus, wie wenn du vom Kirschenpflücken kämst, alles zerknittert und zerknautscht; das Leinenzeug macht immer so viele Falten, und der grosse, weisse Klappkragen, . . . ja, wahrhaftig, jetzt hab ich es, du siehst aus wie ein Schiffsjunge.“
„Midshipman, wenn ich bitten darf. Etwas muss ich doch von meinem Adel haben. Übrigens Midshipman oder Schiffsjunge, Papa hat mir erst neulich wieder einen Mastbaum versprochen, hier dicht neben der Schaukel, mit Raaen und einer Strickleiter. Wahrhaftig, das sollte mir gefallen, und den Wimpel oben selbst anzumachen, das liess ich mir nicht nehmen. Und du, Hulda, du kämst dann von der anderen Seite her herauf, und oben in der Lust wollten wir Hurra rufen und uns einen Kuss geben. Alle Wetter, das sollte schmecken.“
„Alle Wetter, . . .‘ wie das nun wieder klingt . . . Du sprichst wirklich wie ein Midshipman. Ich werde mich aber hüten, dir nachzuklettern, ich bin nicht so waghalsig. Jahnke hat ganz recht, wenn er immer sagt, du hättest zuviel von dem Bellingschen in dir, von deiner Mama her. Ich bin bloss ein Pastorskind.“
„Ach, geh mir. Stille Wasser sind tief. Weisst du noch, wie du damals, als Vetter Briest als Kadett hier war, aber doch schon gross genug, wie du damals auf dem Scheunendach entlang rutschtest. Und warum? Nun, ich will es nicht verraten. Aber kommt, wir wollen uns schaukeln, auf jeder Seite zwei; reissen wird es ja wohl nicht, oder wenn ihr nicht Lust habt, denn ihr macht wieder lange Gesichter, dann wollen wir Anschlag spielen. Eine Viertelstunde hab ich noch. Ich mag noch nicht hineingehen, und alles bloss, um einem Landrat guten Tag zu sagen, noch dazu einem Landrat aus Hinterpommern. Ältlich ist er auch, er könnte ja beinah mein Vater sein, und wenn er wirklich in einer Seestadt wohnt, Kessin soll ja so was sein, nun, da muss ich ihm in diesem Matrosenkostüm eigentlich am besten gefallen und muss ihm beinah wie eine grosse Aufmerksamkeit vorkommen. Fürsten, wenn sie wen empfangen, soviel weiss ich von meinem Papa her, legen auch immer die Uniform aus der Gegend des anderen an. Also nur nicht ängstlich, . . . rasch, rasch, ich fliege aus, und neben der Bank hier ist frei.“
Hulda wollte noch ein paar Einschränkungen machen, aber Effi war schon den nächsten Kiesweg hinauf, links hin, rechts hin, bis sie mit einem Male verschwunden war. „Effi, das gilt nicht; wo bist du? Wir spielen nicht Versteck, wir spielen Anschlag,“ und unter diesen und ähnlichen Vorwürfen eilten die Freundinnen ihr nach, weit hinter das Rondell und die beiden seitwärts stehenden Platanen hinaus, bis die Verschwundene mit einem Male aus ihrem Verstecke hervorbrach und mühelos, weil sie schon im Rücken ihrer Verfolger war, mit „eins, zwei, drei“ den Freiplatz neben der Bank erreichte.
„Wo warst du?“
„Hinter den Rhabarberstauden; die haben so grosse Blätter, noch grösser als ein Feigenblatt . . .“
„Pfui . . .“
„Nein, pfui für euch, weil ihr verspielt habt. Hulda, mit ihren grossen Augen, sah wieder nichts, immer ungeschickt.“ Und dabei flog Effi von neuem über das Rondell hin, auf den Teich zu, vielleicht weil sie vorhatte, sich erst hinter einer dort aufwachsenden dichten Haselnusshecke zu verstecken, um dann, von dieser aus, mit einem weiten Umweg um Kirchhof und Fronthaus, wieder bis an den Seitenflügel und seinen Freiplatz zu kommen. Alles war gut berechnet; aber freilich, ehe sie noch halb um den Teich herum war, hörte sie schon vom Hause her ihren Namen rufen und sah, während sie sich umwandte, die Mama, die, von der Steintreppe her, mit ihrem Taschentuche winkte. Noch einen Augenblick, und Effi stand vor ihr.
„Nun bist du doch noch in deinem Kittel, und der Besuch ist da. Nie hältst du Zeit.“
„Ich halte schon Zeit, aber der Besuch hat nicht Zeit gehalten. Es ist noch nicht eins; noch lange nicht,“ und sich nach den Zwillingen hin umwendend (Hulda war noch weiter zurück), rief sie diesen zu: „Spielt nur weiter; ich bin gleich wieder da.“
Schon im nächsten Augenblick trat Effi mit der Mama in den grossen Gartensaal, der fast den ganzen Raum des Seitenflügels füllte.
„Mama, du darfst mich nicht schelten. Es ist wirklich erst halb. Warum kommt er so früh? Kavaliere kommen nicht zu spät, aber noch weniger zu früh.“
Frau von Briest war in sichtlicher Verlegenheit; Effi aber schmiegte sich liebkosend an sie und sagte: „Verzeih, ich will mich nun eilen; du weisst, ich kann auch rasch sein, und in fünf Minuten ist Aschenpuddel in eine Prinzessin verwandelt. So lange kann er warten oder mit dem Papa plaudern.“
Und der Mama zunickend, wollte sie leichten Fusses eine kleine eiserne Stiege hinauf, die aus dem Saal in den Oberstock hinaufführte. Frau von Briest aber, die unter Umständen auch unkonventionell sein konnte, hielt plötzlich die schon forteilende Effi zurück, warf einen Blick auf das jugendlich reizende Geschöpf, das, noch erhitzt von der Aufregung des Spiels, wie ein Bild frischesten Lebens vor ihr stand, und sagte beinahe vertraulich: „Es ist am Ende das beste, du bleibst wie du bist. Ja, bleibe so. Du siehst gerade sehr gut aus. Und wenn es auch nicht wäre, du siehst so unvorbereitet aus, so gar nicht zurechtgemacht, und darauf kommt es in diesem Augenblicke an. Ich muss dir nämlich sagen, meine Füsse Effi, . . .“ und sie nahm ihres Kindes beide Hände, . . . „ich muss dir nämlich sagen . . .“
„Aber Mama, was hast du nur? Mir wird ja ganz angst und bange.“
„ . . . Ich muss dir nämlich sagen, Effi, dass Baron Innstetten eben um deine Hand angehalten hat.“
„Um meine Hand angehalten? Und im Ernst?“
„Es ist keine Sache, um einen Scherz daraus zu machen. Du hast ihn vorgestern gesehen, und ich glaube, er hat dir auch gut gefallen. Er ist freilich älter als du, was alles in allem ein Glück ist, dazu ein Mann von Charakter, von Stellung und guten Sitten, und wenn du nicht nein sagst, was ich von meiner klugen Effi kaum denken kann, so stehst du mit zwanzig Jahren da, wo andere mit vierzig stehen. Du wirst deine Mama weit überholen.“
Effi schwieg und suchte nach einer Antwort. Aber ehe sie diese finden konnte, hörte sie schon des Vaters Stimme von dem angrenzenden, noch im Fronthause gelegenen Hinterzimmer her, und gleich danach überschritt Ritterschaftsrat von Briest, ein wohlkonservierter Fünfziger von ausgesprochener Bonhomie, die Gartensalonschwelle, — mit ihm Baron Innstetten, schlank, brünett und von militärischer Haltung.
Effi, als sie seiner ansichtig wurde, kam in ein nervöses Zittern; aber nicht auf lange, denn im selben Augenblicke fast, wo sich Innstetten unter freundlicher Verneigung ihr näherte, wurden an dem mittleren der weit offen stehenden und von wildem Wein halb überwachsenen Fenster die rotblonden Köpfe der Zwillinge sichtbar, und Hertha, die Ausgelassenste, rief in den Saal hinein: „Effi, komm.“
Dann duckte sie sich, und beide Schwestern sprangen von der Banklehne, darauf sie gestanden, wieder in den Garten hinab, und man hörte nur noch ihr leises Kichern und Lachen.
Drittes Kapitel
Noch an demselben Tage hatte sich Baron Innstetten mit Effi Briest verlobt. Der joviale Brautvater, der sich nicht leicht in seiner Feierlichkeitsrolle zurechtfand, hatte bei dem Verlobungsmahl, das folgte, das junge Paar leben lassen, was auf Frau von Briest, die dabei der nun um kaum achtzehn Jahre zurückliegenden Zeit gedenken mochte, nicht ohne herzbeweglichen Eindruck geblieben war. Aber nicht auf lange; sie hatte es nicht