Der Reisebericht des Hieronymus Münzer. Klaus Herbers
Königs Maximilian zur Umsegelung der Welt aufforderte, um China zu erreichen. Für dieses Unternehmen empfahl er dem König Martin Behaim als kundigen Seemann und Begleiter4. Ob die Entdeckung der Neuen Welt – Kolumbus kehrte von seiner ersten Reise am 4. März 1493 zurück – in Nürnberg zu dieser Zeit schon bekannt war, scheint unerheblich, denn an zahlreichen geographischen Erkenntnissen waren wohl schon vorher Nürnberger Gelehrte beteiligt. Seine geographischen Kenntnisse stellte Münzer ebenso bei seinen Korrekturen am Blatt „Europa“ in der Schedelschen Weltchronik unter Beweis; auch an der Schedelschen Karte von Deutschland war Hieronymus Münzer wohl beteiligt5.
Da Münzer also schon früh zu jenem humanistischen Kreis gehörte, der am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts das intellektuelle Leben in Nürnberg bestimmte, dürften diese Kontakte, seine Verwurzelung in einer Handelsfamilie, seine Frömmigkeit und seine medizinisch-anatomischen aber auch allgemein kulturgeschichtlichen Interessen seine Reisen mitbestimmt haben. War die Pest also – gemäß einer klassischen Unterscheidung – eher der Anlass, während die Gründe tiefer lagen? Münzer traf beispielsweise im Januar 1495 den spanischen König Ferdinand, worüber das Itinerarium ausführlich berichtet. Sollte er, wie man vermutet hat, den spanischen Herrscher zu einer Entdeckungsreise in ozeanische Gefilde überreden?
Nach 1495 scheint Münzer nicht mehr gereist zu sein; wichtig für ihn wurde die Hochzeit seiner Tochter Dorothea am 3. Juli 1499 mit dem Patrizier Hieronymus Holzschuher, die der sehr hohen Ausgaben wegen (600 Gulden) im Rechnungsbuch Münzers verzeichnet wird. Damit war der Anschluss an die großen Nürnberger Familien endgültig erreicht. Aus der Ehe seiner Tochter gingen Kinder hervor, drei überlebten. Der Tod seiner Frau Dorothea am 30. September 1505 traf Münzer sehr. Vielleicht errichtete er deshalb Anfang 1506 zwei Stiftungen: eine Studienstiftung sowie eine zweite in der Pfarrkirche St. Nikolai. Zwei Jahre später, am 27. August 1508 starb Hieronymus Münzer. Sein Epitaph, das von Schedel oder Holzschuher stammen könnte, hebt hervor, dass er fast ganz Europa bereist habe (totam ferme Europam peragrauit)6.
Wenn man sich verdeutlicht, in welcher Welt der Autor des Reiseberichtes lebte, erschließen sich auch die Interessensfelder in seinem Reisebericht. Seine Mitarbeit in Nürnberger humanistisch-kosmographischen Zirkeln, die Sorge um den Nürnberger und den Handel insgesamt, aber auch die Interessen eines Gelehrten, der die Artes und die Medizin studiert hatte, boten spezifische Voraussetzungen, um sich fremde Welten zu erobern. Recht wenig ist aus Nürnberger Quellen zu Münzers religiösem Hintergrund zu erfahren. Hier scheint es fast so, dass der Reisebericht selbst mit seinen zahlreichen Reliquienbeschreibungen, seinen Bemerkungen zu Pilger- und Devotionsstätten, aber auch zu anderen Religionen wie dem Islam oder dem Judentum die entsprechenden Facetten des Autors erschließt.
2. Pilgerfahrt, Bildungs-, Handels- oder diplomatische Reise? Organisationsformen des Reisens und Schlüssel zum Fremden
Hieronymus Münzer war mobil, aus Vorarlberg stammend, mit Studien in Leipzig und Pavia hatte er schon vor und zu Beginn seiner Nürnberger Zeit viele Eindrücke aus der Fremde sammeln können. Soweit wir wissen, unternahm er von Nürnberg aus drei Reisen: 1483/84 nach Italien – angeblich auch, um der Pest zu entfliehen – und 1484 nach Lüttich. Von beiden Reisen wissen wir sehr wenig, dafür umso mehr von der hier wichtigen Westeuropareise 1494/95. Seine Fahrt und der spätere Bericht sind miteinander verknüpft, aber es ist wichtig, Erlebnis- und Berichtsebene zu scheiden, denn es wurde ja nur ein Bruchteil des Gesehenen in einen möglichen Bericht integriert, ganz zu schweigen von Auslassungen, literarischer Gestaltung und weiteren Aspekten1. Deshalb sei der Blick zunächst auf das Reisen und die Reise selbst gerichtet.
Dass Reisen ein gefährliches Unterfangen war ist bekannt, wird aber oft nicht ausreichend berücksichtigt. Angesichts der Unsicherheit der Straßen, der Mühen und Strapazen, der Wegelagerer, Diebe und Betrüger und vieler anderer Dinge mehr war die Rückkehr von einer Reise oft mehr als ungewiss. Nicht zuletzt der Pilgerführer nach Santiago de Compostela aus dem 12. Jahrhundert2 führt diese Gefahren plastisch vor Augen, auch andere Quellen sind dazu einschlägig. Gleichwohl nahm das Reisen im Laufe des Mittelalters zu, dies betraf aber verschiedene Personengruppen und letztlich auch unterschiedliche Arten des Unterwegsseins3.
Verschiedene Kategorien mögen helfen, wenn man fragt: Warum reisen die jeweiligen Protagonisten, was nehmen sie wahr und schließlich wohin reisen sie? Die ersten beiden Fragen – die für Münzers Reise noch offen sind – zielen im Grunde zugleich auf Typisierungen von Reiseformen: Was unterschied die Reise eines Adeligen oder eine Brautreise von einer Pilgerfahrt, was die diplomatische Reise von einer Handels- oder Handwerkerreise, vielleicht gar von einer militärischen Expedition? Etiketten wie Adelsreisen, Missionsreisen und Entdeckungsreisen, Pilgerreisen – sei es nach Rom, Jerusalem oder Santiago – Heidenfahrten und Kavalierstouren, Bäder- oder Bildungsreisen bieten nur einige gängige Klassifizierungen. Da aber häufig – auch im Falle Münzers – weniger eine einzelne Motivation, sondern ein Knäuel von Motiven das Reisen bestimmte, mag ein einzelnes Etikett sogar in die Irre führen: Bei Münzer kamen zum Beispiel kosmographische, wirtschaftliche und religiöse Interessen, vielleicht auch politische Aufträge zusammen.
Verglichen werden kann Münzers Reise aber aufgrund des Zielgebietes, das sich mit zwei weiteren großen Reisen trifft: Westeuropa und insbesondere die Iberische Halbinsel standen auch bei dem böhmischen Adeligen Leo von Rožmital und dem Breslauer Kaufmann Nikolaus Popplau, die 1465 bis 1467 und 1483 bis 1486 in Westeuropa unterwegs waren und darüber berichteten, im Vordergrund.
Münzer reiste nicht wie Adelige mit großem Gefolge, aber sich ganz allein auf den Weg zu machen, war ebenso undenkbar. Drei Begleiter wählte er aus: Anton Herwart, Caspar Fischer und Nikolaus von Wolkenstein. Laut seiner Einleitungsbemerkungen verfiel er nicht zuletzt auf Grund kaufmännischer Erfahrung und ihrer Sprachkenntnisse auf diese Personen4. Diese als socii bezeichneten Männer werden im Bericht nicht mehr so oft erwähnt, dürften ihm aber bei der Reise stets zur Hand gegangen sein, erschlossen auch manchen Kontakt in die Kaufmannswelt.
Deshalb waren die neuen Kontakte – die zuweilen vorbereitet waren – fast wichtiger. Ganz besonders wurde Fremdes auch durch die Landsleute im Ausland angebahnt5. Der Bericht ist voll von entsprechenden Bemerkungen: Es waren Mitglieder der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft, Künstler, Mönche und Kanoniker, Drucker, Geschützmeister und viele andere mehr6, welche die Gruppe empfingen, die Örtlichkeiten zeigten und vielleicht auch in sprachlicher Hinsicht die Kommunikation vereinfachten, somit die Fremde erschlossen7.
Weiterhin fanden Personen Aufmerksamkeit, die über die Netzwerke des Kartäuserordens mit Nürnberg verbunden waren, wie Münzer in der Kartause bei Antwerpen feststellte8, oder gelehrte Humanisten wie in Portugal Duarte Galvão, der einen akademischen Lehrer (Dr. Johannes Burckstaller) Münzers kannte9.
Neue Personen traten hinzu, die zugleich als „Türöffner“ durch ihre Empfehlungsschreiben fungierten. So ebnete der neue Erzbischof von Granada, Hernando de Talavera, durch seine Schreiben den Weg zu den Katholischen Königen, die Münzer dann später in Madrid treffen durfte. Die Briefe heißen im lateinischen Text meist Litterae promotionales, es waren Empfehlungsschreiben. Manche dieser Briefe werden auch als Litterae passus bezeichnet, sie sollten offensichtlich den Übertritt der Grenzen in ein weiteres Herrschaftsgebiet erleichtern. Sie werden im Reich Granada, in Portugal, in Madrid und in der Picardie genannt. Diese Schriftstücke dokumentieren vielleicht eine Vorform des Ausweises, des Visums und könnten somit gut mit dem Terminus „Passierschein“ vorläufig bezeichnet werden.
3. Interessen und Wahrnehmung: von Handelszentren und Höfen, Moscheen und Pilgerorten, Reliquien und Kunstwerken
Münzer reiste mit seinen drei Begleitern in kleiner Gruppe, zu Pferd, und notierte die Reisedistanzen in der Regel tageweise genau. Allerdings sind die Meilenangaben, die meist mit dem lateinischen Wort leuca (zuweilen auch milia) angegeben werden, nicht völlig verlässlich und nehmen wohl auch auf lokale Gepflogenheiten Rücksicht, wie die Bemerkungen zu den langen Meilen in Katalonien nahelegen1. Die auf der Karte2 eingezeichneten Orte verraten aber noch nicht, was Münzer interessierte oder besser: was ihm des Aufzeichnens wert erschien.
Jedoch erschließt