Nonni erzählt: Erlebnisse und Geschichten vom frohen Öresund.. Jón Svensson

Nonni erzählt: Erlebnisse und Geschichten vom frohen Öresund. - Jón Svensson


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Sie waren schon alle wieder auf ihr Schiff, die „Hertha“, zurückgekehrt.

      Sobald ich meiner Mutter Rechenschaft abgelegt und mein Pferd wieder auf die Weide getrieben hatte, lief ich zum Meeresstrande hinunter, wo eine Menge meiner kleinen Kameraden auf dem reinen, trockenen Sande am Spielen war.

      Es war sonniges, warmes Sommerwetter, und der glatte Meeresspiegel glänzte im Sonnenschein wie Silber und Gold.

      Auf einmal drang zu uns von den Schiffen her, die auf der weiten Reede vor Anker lagen, ein starkes, dumpfes Geräusch, gefolgt von lautem, durchdringendem Geschrei. ...

      Sofort hörten wir mit unserem Spiel auf und warfen angstvolle Blicke nach den Schiffen.

      „Wo ist das gewesen?“ riefen einige.

      Ein Junge zeigte mit der Hand nach der „Hertha“ und rief:

      „Schaut doch, die Matrosen laufen ganz wirr durcheinander auf dem Deck herum.“

      Aller Augen waren auf die „Hertha“ gerichtet.

      Man war dort eben noch mit dem Ausladen grosser Weinfässer beschäftigt gewesen. Die schweren, vollen Fässer wurden mit starken Eisenketten aus dem Lastraum in die Höhe gehoben und dann in die Boote draussen an der Schiffswand heruntergelassen.

      Ein Knabe rief:

      „Ein Fass muss wohl von oben her auf dar Deck hinuntergefallen sein.“

      „O Gott“, riefen einige, „dann ist aber gewiss ein Mann dabei zu Schaden gekommen!“

      Nur zu bald sollten wir mit eigenen Augen sehen, dass diese Vermutung richtig war.

      Ein Mann — offenbar ein Verunglückter — wurde nach einiger Zeit vorsichtig an der Schiffswand hinuntergelassen, um gleich darauf von einigen Matrosen ans Land gerudert zu werden.

      Wir liefen alle zur Landungsstelle hin und sahen nun, als das Boot die Landungsbrücke erreichte, dass sechs dänische Matrosen einen Verwundeten ans Land brachten.

      Der Verunglückte lag unbeweglich auf einer Strohmatratze mitten im Kahn unter einer grossen wollenen Decke. Seine Kameraden banden das Boot an der Brücke fest und stiegen aus. Der Sýslumaður, einer der höheren Beamten der kleinen Stadt, war schon zur Stelle.

      Ich drängte mich näher heran, um hören zu können, was gesprochen wurde.

      „Was ist mit dem Manne geschehen?“ fragte der Beamte.

      „Ein Weinfass ist auf ihn heruntergefallen und hat ihm den ganzen Unterkörper zerquetscht“, antwortete einer der Matrosen.

      „Schade, dass wir augenblicklich keinen Arzt hier im Orte haben. Doch es ist eine Hebamme da, die sich etwas auf Heilkunde versteht. Der Verwundete muss sofort zu ihr gebracht werden.“

      Nun wurde der Mann aus dem Boot gehoben. Als er auf die Landungsbrücke niedergelegt wurde, kam sein Gesicht zum Vorschein.

      Ich stiess einen lauten Schrei aus. ... Ich hatte nämlich in ihm sofort den freundlichen, grossen Dänen mit dem blonden Vollbart erkannt, der mich einige Stunden vorher aus den Händen seiner Kameraden befreit hatte.

      Ich wurde so bestürzt, dass ich gleich nach Hause lief und meiner Mutter alles erzählte. Auch sie wurde sehr ergriffen und sagte, ich solle ohne Verzug nach dem Hause der Hebamme gehen und, nachdem der Mann verbunden worden sei, fragen, wie es mit ihm stehe.

      Ich lief hin und wartete draussen, bis die Matrosen das Haus verliessen, um wieder an Bord zu gehen. Sie sahen alle sehr ernst und niedergeschlagen aus und sprachen nur ganz leise miteinander.

      „Wie geht es ihm?“ fragte ich sie.

      „Schlecht!“ war die einzige Antwort.

      Ich ging ins Haus hinein und wurde freundlich von der Hebamme, die ich gut kannte, empfangen.

      „Ist es wahr, dass es dem armen Manne schlecht geht?“ fragte ich sie.

      „Ja, leider, mein kleiner Nonni; er wird kaum am Leben bleiben. Der ganze Unterkörper ist vollständig zerquetscht. Er ist schrecklich zugerichtet. Hier würde auch der beste Arzt nichts ausrichten können.“

      Es traten mir Tränen in die Augen.

      „Er ist noch bei Besinnung“, sagte sie, „und benimmt sich gefasst und mutig wie ein Held. Willst du zu ihm hineingehen, Nonni?“

      „Ja, sehr gerne“, erwiderte ich.

      Sie führte mich hinein. Der Mann lag in einem kleinen Zimmer auf einem guten Lager. Er war mit einem grossen Federbett aus sehr leichten, echten isländischen Eiderdaunen zugedeckt. Nur der Kopf war noch sichtbar.

      Ich näherte mich dem Bette. Der Schwerverletzte schaute mich an und schien mich zu erkennen. Er musste furchtbare Schmerzen ausstehen. Er atmete kurz und schnell und presste die Lippen zusammen. Ich kam ganz nahe an sein Gesicht und flüsterte ihm zu:

      „Kennen Sie mich?“

      „Ja, mein kleiner Freund.“

      „O, wie tut es mir leid, dass Sie so verletzt sind!“

      „Gott hat es gewollt. Wir dürfen nicht klagen“, antwortete der starke Mann und biss sich vor Schmerz auf die Lippen.

      „Ich will Gott bitten, dass Sie wieder gesund werden.“

      „Ich danke dir, kleiner Freund. Gottes Wille muss aber geschehen.“

      „Sie haben wohl grosse Schmerzen?“

      „Nicht mehr, als zu erwarten ist“, antwortete er mit grosser Anstrengung.

      Da ich nicht recht wusste, was ich weiter tun oder sagen sollte und auch befürchtete, ihn zu ermüden, strich ich ihm mit der linken Hand ganz sanft über seine dichten Haare, als Zeichen meiner Teilnahme.

      Der Mann schien gerührt zu sein, er schaute mich ungemein mild und freundlich an und sagte:

      „Du bist ein guter Junge. Wie heisst du?“

      „Ich heisse Nonni. Und ich möchte so gern etwas für Sie tun, weil Sie mir heute morgen geholfen haben.“

      „Das Beste, was du für mich tun kannst, mein lieber Nonni, ist, für mich zu beten.“

      „O, das will ich aber auch tun“, erwiderte ich. Und heisse Tränen liefen mir die Wangen herunter.

      Jetzt kamen auch ihm, dem grossen, starken Manne, Tränen in die Augen, und mit ganz schwacher Stimme sagte er: „Ich habe auch einen kleinen Jungen in Dänemark. — — Er ist in deinem Alter. — — Ich fürchte, dass ich — — — ihn nie mehr — — —.“

      Er konnte den Satz nicht zu Ende sprechen. Ein so starkes Zittern ging durch seinen Körper, dass die Bettstelle aus den Fugen zu gehen drohte, und sein Gesichtsausdruck veränderte sich.

      Ich erschrak, lief hinaus und rief die Frau des Hauses.

      „Ich glaube, er ist im Sterben!“ rief ich ihr zu.

      Sie kam sofort ins Zimmer herein.

      „Es ist ein Anfall“, sagte sie.

      „Kann ich etwas für ihn tun?“ fragte ich.

      „O nein, mein Junge. Du bist zu klein, um hier helfen zu können. Doch ich danke dir für deinen guten Willen. Geh jetzt wieder nach Hause.“

      Ganz traurig und niedergeschlagen verliess ich den Schwerverwundeten. Ich war voll Bewunderung über die Fassung und den Heldenmut, mit welchem dieser Däne sein furchtbares Los ertrug.

      Ich hielt mein Versprechen und betete viel für ihn.

      Am folgenden Tag, sobald ich aufgestanden war, lief ich wieder hin, um ihn zu besuchen. Doch als ich ins Zimmer trat, lag er unbeweglich da mit geschlossenem Mund und geschlossenen Augen und atmete immer noch sehr schwer.

      Die Frau sagte: „Jetzt wird er dich nicht mehr erkennen, mein kleiner Nonni. Er hat den Starrkrampf bekommen.“


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