Im Alten Reich. Ricarda Huch

Im Alten Reich - Ricarda Huch


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Ulrich von Hanau, dem er es vorher verpfändet hatte, gestorben war. Die Möglichkeit indessen, der Kaiser könne auf das verkaufte Recht einmal wieder zurückgreifen, blieb bestehen, weswegen noch zu Goethes Jugendzeit, wie er selbst erzählt, nach dem Tode eines Schultheißen hastig zur Wahl eines neuen geschritten wurde. Das wichtige Recht, daß kein Frankfurter Bürger vor ein auswärtiges Gericht gefordert werden dürfe, war 1291 erworben und wurde immer wieder bestätigt, ebenso das Versprechen, nicht verpfändet zu werden.

      Aus dieser Frühzeit des Gemeinwesens werden Züge berichtet, die aufrechte, stolze Gesinnung und vernünftige Mäßigung in der Leitung der inneren Angelegenheiten beweisen. Als Adolf von Nassau die Frankfurter Juden zur Zahlung einer bedeutenden Geldsumme zwingen wollte, trat einer von den beiden damals regierenden Bürgermeistern, es waren Heinrich von Prumheim und Volrad von Seligenstadt, dem Kaiser entgegen, um die Ungerechtigkeit, als welche er es offenbar empfand, zu verhindern. Ebenso unerschrocken verhielten sich die Frankfurter dem Papst gegenüber. Während der Regierung Ludwig des Bayers war die Stadt, die ihm anhing, zwanzig Jahre hindurch mit dem Interdikt belegt. Nach des Kaisers Tod wollte der Papst es aufheben, wenn der Rat sich und die Bürgerschaft für Ketzer erkläre und verspräche, keinen mehr als deutschen König anzuerkennen, der die päpstliche Genehmigung nicht erhalten hätte. Der Rat erwiderte, diese Bedingungen ablehnend, er werde fortfahren, dem jeweiligen deutschen Könige zu gehorchen, auch wenn der Papst die Genehmigung versage; die vorgelegte Absolutionsformel zeige antichristlichen Stolz und Übermut und beeinträchtige die Hoheit des Königs und der Kurfürsten. Leider entsprach die Gesinnung des damaligen Königs, es war Karl IV. von Luxemburg, der seiner Reichsstadt nicht; immerhin, als sie auf seinen Befehl sich fügen mußte, tat sie es unter Vorbehalt ihres Rechts.

      Gegen das Ende des Jahrhunderts hatten die Frankfurter Unglück in einer Fehde mit den Herren von Kronberg, die der Kurfürst von der Pfalz unterstützte. Trotz der Übermacht des Feindes griffen sie unter Führung des Schultheißen Winter von Wasen und des Stadthauptmanns Breder von Hohenstein und unter Beteiligung aller Patrizier tapfer an, erlitten aber eine vernichtende Niederlage. Unter den 620 durch die Feinde gemachten Gefangenen waren der Schultheiß, der Stadthauptmann, drei Holzhausen, zwei Glauburg, zwei Frosch, ein Weiß von Limburg und die ganzen Metzger-, Bäcker-, Schlosser- und Schuhmacher-Zünfte. Auch das Banner, das der Schultheiß getragen hatte, war verloren. Die finanzielle Belastung, die das mit sich brachte, denn nach Frankfurter Gesetz wurden gefangene Mitbürger auf Kosten der Stadt ausgelöst, hätte leicht innere Unruhen erregen können; dem beugte die Regierung vor, indem sie sofort den Rat erweiterte und die Zahl der Bürgermeister auf drei vermehrte, von denen je einer aus dem Patriziat, aus den Zünften und aus der Gemeinde besetzt wurde. Diese Einrichtung wurde bis zum Jahre 1408 beibehalten, wo die Ordnung im Finanzwesen wiederhergestellt war.

      Durch Handel und Gewerbe überragte damals Frankfurt seine wetterauischen Schwesterstädte Wetzlar, Friedberg und Gelnhausen noch nicht erheblich; aber als Wahlstadt hatte es doch viel mehr Einfluß und Bedeutung. Von 1140 bis 1500 fanden in Frankfurt zehn Königswahlen statt, von 1140 bis zum Beginn des Interregnums, 1254, einundzwanzig Reichstage. Was für einen Zusammenfluß von Menschen und welche Vorteile das mit sich brachte, kann man aus den Tatsachen ableiten, daß bei Rudolfs I. Königswahl allein der Erzbischof von Trier mit 1800 Vasallen einzog und 1555 Mark Silber ausgab.

      Bei einer Doppelwahl war es herkömmlich, daß der Erwählte sechs Wochen und drei Tage vor der Stadt lagerte und seinen Gegner zum Kampf erwartete. Auf Bitten des Kurfürsten ließ Frankfurt Günther von Schwarzburg schon nach sieben Tagen ein. Dieser, der bald darauf, der Sage nach vergiftet, starb, ist der einzige römische König, der in Frankfurt beigesetzt ist; sein Grab ist im Dom durch eine Platte bezeichnet, auf der er in ganzer Figur gerüstet dargestellt ist. Die schöne Stadt am Main hütete nicht die kaiserlichen Grüfte, sondern begleitete die ersten Schritte des Gewählten mit festlichen Bräuchen, altheiliger Symbolik und dem Jubel der Hoffnung.

      Durch die Goldene Bulle, im Jahre 1356 von Karl IV. erlassen und wahrscheinlich von seinem Geheimschreiber Rudolf von Friedberg verfaßt, die eine Art Reichsgrundgesetz aufstellte, wurde Frankfurt gesetzlich zum Ort der Königswahl bestimmt. Von den 22 Königen, die seitdem bis zum Ende des Reichs regiert haben, sind nur fünf nicht in Frankfurt gewählt worden, nämlich Ruprecht von der Pfalz, Ferdinand I., Rudolf II., Ferdinand III. und Joseph I. Ruprecht von der Pfalz, der in Lahnstein gewählt worden war, lag die übliche Zeit von sechs Wochen und drei Tagen, seinen Gegner erwartend, vor Frankfurt, um seine Wahl gesetzlich zu machen. Zur Krönungsstadt bestimmte die Goldene Bulle Aachen; sie blieb es aber nur bis zum Jahre 1521, wo Ferdinand I., in Köln gewählt, in Aachen gekrönt wurde. Seitdem wurden die Könige in Frankfurt nicht nur gewählt, sondern auch gekrönt, nicht ohne daß jedesmal das Recht Aachens gewahrt wurde. Drei Könige, Rudolf II., Ferdinand III. und Joseph I., sind nicht in Frankfurt gekrönt worden.

      Die Goldene Bulle, die ihren Namen von dem in Gold gekapselten großen Siegel hat, das an der Urkunde hängt, befindet sich jetzt im Historischen Museum und wurde schon im 17. und 18. Jahrhundert als größte Sehenswürdigkeit Frankfurts hervorragenden Fremden gezeigt. Das Frankfurter Exemplar ist eine Abschrift, die zehn Jahre nach dem Erscheinen der Urkunde auf Ansuchen Frankfurts hergestellt und natürlich teuer bezahlt wurde, ausgezeichnet vor anderen Abschriften durch ein Siegel, das dem der Original-Ausfertigung gleich ist. An Original-Ausfertigungen der Goldenen Bulle sind noch vorhanden die Exemplare von Kurtrier, Kurköln und Böhmen.

      Die ritterlichen Geschlechter, die im 12. und 13. Jahrhundert die höchste Schicht in Frankfurt gebildet hatten, die von Bonames, von Bommerstein, von Carben, Kranich von Kranichsberg, von Eppstein, von Kronenberg, die Schenk von Schweinsberg, Schelm von Bergen, von Selbold, von Gödele, von Treisa, von Ursel, starben zum Teil aus, zum Teil verließen sie Frankfurt. Es bildete sich ein neues Patriziat aus größtenteils von auswärts eingewanderten Familien, deren Reichtum hauptsächlich auf Handel beruhte. Die Stalburg, Melem, Heller, Ugelnheimer, Knoblauch hatten zwar noch Grundbesitz; aber im ganzen war wegen der Billigkeit der Bodenprodukte die Landwirtschaft nicht mehr einträglich. Einer der glänzendsten Repräsentanten der damaligen Frankfurter Großkaufleute war der aus Mainz stammende Claus Stalburg, genannt der Reiche. Er trieb hauptsächlich Handel mit Venedig; in seinem Besitz war an Gewändern, Stoffen, Bechern, Schmuckstücken und Kostbarkeiten, was die Zeit Kostbares und Schönes hervorbrachte. Er liebte und sammelte Bücher und interessierte sich für die geistigen Bewegungen seiner Zeit; der Reformation, deren Anfänge er erlebte – er starb im Jahre 1524 – war er geneigt und übertrug die Erziehung seiner Söhne Wilhelm Nesen, einem Freunde des Erasmus von Rotterdam, und den Melanchthon eine Zierde der Wittenberger Universität nannte. Er stiftete ein großes Anbetungsbild in die Karmeliterkirche, auf dem von den drei heiligen Königen einer den Kaiser Maximilian, einer ihn selbst wiedergibt. Unter den vielen Häusern, die er besaß, war auch das Haus Löweneck, das später Goethes Lili bewohnte. Der reiche Jakob Heller stiftet den Kalvarienberg an der nördlichen Seite des Dom-Kirchhofs und ein Altarbild von Dürer in die Dominikanerkirche, das die Mönche später gegen eine jährliche Rente von 400 Gulden dem Herzog Maximilian von Bayern überließen. Es ist im Jahre 1673 in München verbrannt. Ludwig zum Paradies, der Letzte seines Geschlechtes, vermachte der Stadt einen Teil der Bücher, die er gesammelt hatte, und legte damit den Grund zu einer Stadt-Bibliothek. In diesen Kreisen verkehrte Hutten gern, besonders mit den Glauburg, einer von den alten Adelsfamilien Frankfurts; man sagte, er habe eine Tochter aus diesem Hause heiraten wollen.

      Wie unsicher indessen auch für diese Bevorzugten die Lebensbedingungen waren, geht aus der großen Kindersterblichkeit hervor, der die Zahl der Geburten entsprach. Margarete Stalburg, die Claus den Reichen mit 15 Jahren heiratete, hatte in den folgenden sechzehn Jahren vierzehn Kinder, von denen mehrere früh starben. Jakob Heller, der selbst das älteste von neunzehn Kindern war, mußte sein Vermögen dem Kinde einer Schwester hinterlassen, weil sonst keine Erben da waren; er war der Letzte seines Geschlechts. Das Haus Stalburg wurde im Jahre 1789 abgerissen, um Platz für eine deutsch-reformierte Kirche zu machen; es hatte Türme und Zinnen wie eine Burg und enthielt ein großes Altarbild, das im Jahre 1813 zugrunde ging. Die beiden Seitenflügel, die die Eheleute Claus und Margarete Stalburg in ganzer Gestalt reichgekleidet darstellen, sind erhalten.

      Man muß sich die Patrizier dieser Zeit gebildet, großzügig, lebenslustig, aber auch menschlich und warmherzig


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