Richter und Henker - Roland Benito-Krimi 8. Inger Gammelgaard Madsen

Richter und Henker - Roland Benito-Krimi 8 - Inger Gammelgaard Madsen


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      „Nein! Also, ich war da, aber ich hab nicht …“

      „Er hat gestanden“, unterbrach ihn der Mann und wandte sich halb nach hinten den anderen zu. Dann drehte er sich wieder um und sah ihn triumphierend an.

      „Auf die Zehen, hab ich gesagt! Wie eine Balletttänzerin.“

      Arne gehorchte und versuchte, die Balance zu halten, doch nun wurde das Seil noch strammer, sodass es ihn augenblicklich erwürgt hätte, hätte er das Gleichgewicht verloren. Die Stiefel waren schwer vom Schneematsch an den Sohlen.

      „Könnt … könnt ihr mich jetzt nicht freilassen?“, bat er. Seine Lippen bebten und machten seine Worte nahezu unverständlich, Tränen schossen ihm in die Augen, aber die Stimmen waren immer noch aus seinem Kopf verschwunden. Noch nie zuvor war es so still gewesen wie jetzt.

      „Sollen wir ihn nicht gehen lassen“, fragte die junge Stimme noch einmal, „vielleicht weiß er gar nicht, was passiert ist. Er ist ja nicht ganz fit im Kopf.“

      Arne konnte ihn nicht sehen, weil er den Kopf zurücklegen musste, damit ihn das Seil nicht erwürgte. Hin und wieder verließ ihn die Kraft in den Füßen, dann spannte sich das Seil noch fester um den Hals und er beeilte sich, sich schluchzend wieder auf die Zehen zu stellen.

      „Natürlich weiß er, was passiert ist, nicht wahr, kleiner Arne? Ihr habt den Mann im Laden umgebracht. Er hat das Pfefferspray nicht vertragen. Er ist gestorben!“

      Die letzten Worte schrie er so laut, dass Arne die Wärme seines Atems spüren konnte, der nach Menthol roch.

      „Das … das war echt nicht ich …!“

      Nun begann er richtig zu weinen. War der Mann tot gewesen? Er hatte gesehen, dass er umgefallen war, aber Christoffer hatte gesagt, dass nur das Pfefferspray in seinen Augen brannte. Dann war auf sie geschossen worden und sie waren geflohen.

      „Jemanden umzubringen zieht Konsequenzen nach sich!“

      Mit zurückgelegtem Nacken hörte er die Zweige unter ihren Stiefeln knacken, als sie begannen, sich davonzumachen. Sie ließen ihn stehen. Einfach so! Er würde sich erwürgen. Er versuchte, einen Schrei aus dem Hals zu quälen, doch alles, was er herausbekam, war ein sonderbar kratziges Geräusch.

      „Er kann um Hilfe rufen!“

      Sie waren schon ein Stück weit weg, aber nun kam einer von ihnen zurück.

      „Hilf mir runter! Mach mich los!“, jammerte Arne weinerlich und hoffte, es wäre der Mann mit der jungen Stimme.

      Eine kräftige Hand umfasste sein Kinn und öffnete seinen Mund gewaltsam, indem er seine Kiefermuskeln fest zusammendrückte, wie es der Heimleiter immer tat, wenn Arne einen Krampfanfall bekam und seine Medizin nicht nehmen wollte. Aber was er jetzt in den Mund bekam, war keine Medizin. Er wurde mit Schnee vollgestopft. Die Eiskristalle bohrten sich in die Mundhöhle, es wurde immer mehr, bis er nur noch durch die Nase atmen konnte. Er schnappte gurgelnd nach Luft, der Schnee schmolz schnell in seinem warmen Mund und drohte ihn zu ersticken. Doch bei jeder unfreiwilligen Bewegung schnürte sich das Seil nur noch fester um seinen Hals.

      Und wieder hörte er, wie sich ihre Schritte entfernten. Es wurde still. So still, wie ein Wald an einem kalten Abend im Februar nun einmal war. Er war ganz allein und die Zeit verging unendlich langsam, während der Schnee in seinem Mund schmolz und er verzweifelt mehr und mehr Wasser schluckte. Seine Augen waren hervorgetreten und starrten nach oben in die nackten Zweige, die wie helle Silhouetten im Kontrast zu dem schwarzen Himmel weit über ihm standen.

      Seine Knie zitterten. Dann verließen ihn die Kräfte.

      Kapitel 13

      Wärme war vom Süden hergekommen und Tauwetter hatte sich im Laufe der Nacht über das ganze Land gelegt – erst mit Schneeregen, der dann in einen heftigen Regenschauer übergegangen war. Es war daher an diesem Morgen keine besonders angenehme Fahrt nach Horsens. Die Scheibenwischer schnellten an der Windschutzscheibe hin und her, um mit dem Regen mitzuhalten.

      Das Hauptgebäude der Polizei von Südostjütland war nach der Polizeireform einer umfangreicheren Erweiterung unterzogen worden. Das Ganze war unter anderem während des Umzugs ins HUC-Gebäude geschehen, welches auch das Ausbildungszentrum Horsens beherbergte. Es war modern und verglast und passte mit seiner Aussicht auf den Bygholmer Fluss gut in die Landschaft neben dem Kreisverkehr. Es waren sogar eine Ausnüchterungszelle, ein Wartezimmer und ein Waffenraum im Gebäude eingerichtet worden. Die Hausgemeinschaft mit der Erwachsenenbildung war durch ein gemeinsames Foyer verbunden, es gab eine Kantine und eine Rezeption mit Malereien an den Wänden und Mobiles an der Decke, die von einer Künstlerin aus Viborg kreiert worden waren.

      Roland Benito meldete ihre Ankunft an der Rezeption und sie wurden ins Büro des Polizeidirektors geleitet.

      Thor Isaksen erhob sich schnell von seinem Schreibtisch und übernahm.

      „Was für ein Wetter“, rief er.

      „Ja, nun kommt doch endlich noch der Wetterumschwung. Die Meteorologen haben ja schon einen verfrühten Frühling angekündigt – es war also an der Zeit“, antwortete Roland.

      Isaksen nickte und gab höflich zuerst Karina Ottesen, dann Roland die Hand.

      „Ja, Roland, wir kennen uns jetzt schon viele Jahre lang. Ich muss gestehen, dass es mich ziemlich überrascht hat, zu hören, dass du bei der Polizeibeschwerdestelle angefangen hast. Was sagt Kurt Olsen dazu?“

      Er zog Karina einen Stuhl am Konferenztisch zurecht, der mit Tassen, Thermoskanne und Brötchen gedeckt war. Karina setzte sich.

      „Er hatte nicht besonders viel dazu zu sagen. Im Übrigen geht er ja selbst bald in Pension.“

      „Ja, da wird in der Mordkommission am Aarhuser Polizeipräsidium wohl gründlich umbesetzt. Den Neuen – wie heißt er noch mal, Anker Dahl? – habe ich noch immer nicht begrüßt.“

      „Ja genau, so heißt er“, bestätigte Roland und setzte sich neben Karina. Er hatte nicht so wirklich darüber nachgedacht, dass jetzt ein anderer auf dem quietschenden Bürostuhl in seinem Büro im Präsidium saß, obwohl er sich doch eigentlich nicht anmaßen konnte, es als seines zu bezeichnen, selbst wenn es sich viele Jahre lang so angefühlt hatte. Es war ein eigenartiger Gedanke, der einen Anflug von Eifersucht oder etwas ähnlich Seltsames in ihm hervorrief, denn es war ja sein freier Wille gewesen, zu gehen und es war nur selbstverständlich, dass er ersetzt worden war.

      Thor setzte sich ihnen gegenüber.

      „Man kann sagen, dass er ziemlich schnell ins kalte Wasser geworfen worden ist. Es gehen Gerüchte um, dass der Sohn des Polizeipräsidenten an einem Raub in einem Sportladen beteiligt gewesen ist und ermordet in einer Schlachtanlage gefunden wurde. Ziemlich ungemütlich. Eine Schlachtanlage! Und obendrein hat ein Polizist einen Schuss gegen zufällig vorbeikommende Zivilisten abgefeuert.“

      Es war deutlich zu erkennen, dass Thor Isaksen es auf Informationen abgesehen hatte, und dann hatte er auch noch behauptet, ihn zu kennen, darum hätte er es eigentlich besser wissen müssen. Karina antwortete, jedoch mit nur wenigen Richtigstellungen.

      „Die Schlachtanlage ist nicht mehr in Betrieb, das Gebäude steht also leer. Und es waren keine Zivilisten, sondern die Täter, denen der Schuss galt. Der Beamte hat aus Notwehr gehandelt.“

      Roland schielte zu ihr hinüber. Es war nicht richtig, dass sie jetzt schon so entschieden ihre Meinung äußerte.

      „Na ja, gut, das ist wohl ein Fall, an dem die DUP arbeitet“, antwortete Isaksen scharfsinnig.

      „Wir aber nicht, wir haben eine andere Aufgabe. Was wolltest du uns erzählen, Isaksen?“, antwortete Roland und schenkte seiner Kollegin Kaffee ein, die ihm verwundert dankte. Auch sie kannte ihn offenbar noch nicht gut genug.

      Thor Isaksen legte sich ein halbes Brötchen auf den Teller. Die Enttäuschung darüber, nicht mehr zu erfahren, war ihm förmlich ins Gesicht geschrieben.

      „Ich


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