Die Löwenskölds - Romantrilogie. Selma Lagerlöf

Die Löwenskölds - Romantrilogie - Selma Lagerlöf


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wir uns darüber einigen, was wir tun wollen, falls wir das Grab offen finden.«

      »Ob es nun zugemacht oder offen ist – ich wüßte nicht, was wir anders zu tun hätten, als wieder heimzugehen und uns ins Bett zu legen.«

      »Ja, natürlich! Da hast du ganz recht«, erwiderte Bård und setzte sich wieder in Gang.

      »Das Kirchhoftor wird wohl um diese Zeit nicht offenstehen, das kann man nicht erwarten«, sagte Bård gleich darauf.

      »Das ist es sicher nicht«, erwiderte die Frau. »Wir müssen über die Mauer klettern, wenn wir den General besuchen und sehen wollen, wie es ihm geht.«

      Der Mann wunderte sich wieder. Er hörte ein leichtes Gerassel von niederfallenden Steinchen, und gleich darauf sah er, wie die Gestalt seiner Frau vor dem hellen Streifen im Westen sichtbar wurde. Sie stand schon oben auf der Mauer, was übrigens kein Kunststück war, denn die Mauer war nur ein paar Fuß hoch; aber es war eben doch merkwürdig, wie eifrig sie sich zeigte, und daß sie nun sogar vor ihm die Mauer erstiegen hatte.

      »Sieh hier! Nimm meine Hand, dann werde ich dir heraufhelfen«, sagte sie.

      Gleich darauf hatten sie die Mauer hinter sich und gingen nun still und vorsichtig zwischen den kleinen Grabhügeln weiter.

      Einmal strauchelte Bård über so ein Hügelchen und wäre fast gestürzt. Es war ihm beinah, als hätte ihm jemand ein Bein gestellt. Er erschrak heftig und zitterte an allen Gliedern, und dann sagte er ganz laut, damit alle Toten hörten, wie rechtschaffen er war: »Hier möchte ich nicht gehen, wenn ich in unrechter Absicht gekommen wäre.«

      »Nein, wahrhaftig nicht«, erwiderte seine Frau. »Da hast du sehr recht. Aber weißt du, dort drüben ist schon das Grab.«

      Ganz richtig, er konnte die schräg gestellten Grabplatten vom dunklen Nachthimmel undeutlich unterscheiden.

      Gleich darauf waren sie am Grab selbst, und siehe da, es war offen. Das Loch in der Wölbung war noch nicht wieder zugemauert.

      »Dies kommt mir sehr nachlässig vor«, sagte Bård. »Es ist ja fast wie eigens dazu eingerichtet, alle, die wissen, welch ein Schatz da drunten verborgen liegt, in die größte Versuchung zu führen.«

      »Sie verlassen sich wohl darauf, daß sich niemand getraut, einem Toten etwas zuleide zu tun«, sagte die Frau.

      »Es ist ja auch kein Spaß, sich in so eine Grabkammer hinunterzuwagen«, versetzte der Mann. »Hinunterzuspringen wäre zwar nicht schwer, aber dann säße man wohl da unten wie der Fuchs in der Falle.«

      »Ich habe heute vormittag gesehen, daß sie eine kleine Leiter in das Grab gestellt hatten«, sagte die Frau. »Aber die müssen sie doch wenigstens weggenommen haben.«

      »Da will ich doch gleich nachsehen«, sagte Bård und tastete sich zu dem offenen Grab hin. »Nein, denk dir nur!« rief er. »Das übersteigt doch alle Grenzen. Die Leiter steht noch da!«

      »Das ist wirklich sehr fahrlässig«, sagte die Frau. »Aber weißt du, ich glaube, es ist nicht von großer Bedeutung, ob auch die Leiter stehengeblieben ist, denn der da drunten in der Tiefe kann das, was ihm gehört, schon verteidigen.«

      »Wenn ich das nur gewiß wüßte«, sagte der Mann. »Vielleicht sollte ich doch wenigstens die Leiter wegstellen.«

      »Ich glaube, wir sollten hier am Grab lieber gar nichts verändern«, meinte die Frau. »Es ist am besten, wenn der Totengräber morgen das Grab genauso vorfindet, wie er es verlassen hat.«

      Sie standen eine Weile still vor dem Grab und starrten unentschlossen und ratlos in das schwarze Loch hinunter. Eigentlich hätten sie jetzt heimgehen sollen; aber irgend etwas Geheimes, etwas, was keiner von ihnen auszusprechen wagte, hielt sie zurück.

      »Ja, natürlich könnte ich die Leiter stehen lassen«, sagte Bård schließlich, »wenn ich nur ganz sicher wüßte, daß der General die Macht hat, die Diebe festzuhalten.«

      »Du kannst ja ins Grab hinuntersteigen, dann wirst du schon sehen, wieviel Macht er hat«, erwiderte seine Frau.

      Es war, als hätte Bård nur auf diese Worte seiner Frau gewartet. Im nächsten Augenblick war er bei der Leiter und drunten in dem Grabgewölbe.

      Kaum aber stand er auf dem steinernen Boden der Grabkammer, als er auch schon ein Knacken der Leiter hörte und merkte, daß seine Frau ihm nachkam.

      »So, du kommst mir auch hierher nach«, sagte er.

      »Ich habe es nicht gewagt, dich mit dem Toten hier unten allein zu lassen.«

      »Ach, ich glaub’ gar nicht, daß er so gefährlich ist«, erwiderte er. »Ich spüre keine kalte Hand, die mir das Leben auspressen will.«

      »Siehst du, er will uns wohl nichts zuleide tun«, sagte seine Frau. »Er weiß, wir denken nicht daran, den Ring zu stehlen; etwas andres wäre es freilich, wenn wir nur zum Scherz versuchen würden, den Sargdeckel abzuschrauben.«

      Sofort tappte der Mann zum Sarg des Generals hin und tastete den Rand des Deckels ab. Er fand eine Schraube, die oben im Kopf ein kleines Kreuz hatte.

      »Alles ist hier förmlich für einen Dieb wie zurechtgelegt«, sagte er, indem er begann, die Sargschrauben vorsichtig aufzudrehen.

      »Spürst du nichts?« fragte seine Frau. »Merkst du nicht, ob sich unter dem Sargdeckel etwas bewegt?«

      »Hier ist es still wie in einem Grab«, antwortete der Mann.

      »Er glaubt wohl nicht, daß wir im Sinn haben, ihm das zu nehmen, was ihm sein teuerstes Gut ist«, sagte die Frau. »Etwas anderes wäre es, wenn wir den Sargdeckel abheben würden.«

      »Ja, aber dabei mußt du mir helfen«, sagte der Mann. Sie hoben den Deckel in die Höhe, und jetzt war es ihnen nicht mehr möglich, ihrer Sehnsucht nach dem Schatz Einhalt zu gebieten. Sie lösten den Ring von der welken Hand, legten den Deckel wieder zurück, und ohne ein weiteres Wort schlichen sie aus dem Grab hinaus. Als sie dann über den Kirchhof zurückgingen, nahmen sie sich bei der Hand, und erst als sie über die niedere Steinmauer geklettert waren und auf dem Weg standen, wagten sie wieder zu sprechen.

      »Jetzt fange ich an zu glauben«, sagte die Frau, »daß er es so haben wollte. Er hat wohl begriffen, daß es unrecht von einem Toten ist, ein solches Kleinod für sich zu behalten, und deshalb hat er es uns gutwillig gegeben.«

      Der Mann brach in lautes Gelächter aus. »Ja, du bist gut«, sagte er. »Nein, das kannst du mir nicht weismachen, daß er es uns gutwillig gelassen habe. Er hatte eben nicht die Macht, uns daran zu hindern.«

      »Weißt du«, sagte seine Frau, »heute nacht bist du wirklich sehr tapfer gewesen. Es gibt gewiß nicht viele, die sich in das Grab zum General hinuntergewagt hätten.«

      »Ich habe nicht das Gefühl, daß ich etwas Unrechtes getan hätte«, sagte der Mann. »Von einem Lebenden habe ich nie auch nur einen Taler genommen; aber was könnte es schaden, einem Toten das zu nehmen, was er nicht mehr braucht?«

      Während sie so dahingingen, fühlten sie sich stolz und wohlgemut. Sie wunderten sich darüber, weil offenbar außer ihnen niemand auf diesen Gedanken gekommen war, und Bård sagte, er wolle, sobald sich nur eine Gelegenheit dazu biete, nach Norwegen fahren und den Ring dort verkaufen. Er meinte, er werde so viel Geld dafür bekommen, daß sie sich niemals mehr des Geldes wegen Sorgen zu machen brauchten.

      »Aber«, sagte die Frau und blieb plötzlich stehen. »Was sehe ich denn? Bricht denn der Tag schon an? Es sieht dort im Osten so hell aus.«

      »Nein, das kann noch nicht die Sonne sein«, entgegnete Bård. »Es muß irgendwo brennen, und es sieht aus, als sei es in der Olsbyer Gegend. Wenn es nicht ...«

      Ein lauter Schreckensruf seiner Frau unterbrach ihn. »Bei uns brennt es!« schrie sie. »Der Mellomhof brennt! Der General hat ihn angezündet!«

      Am Montagmorgen kam der Totengräber in größter Eile nach Hedeby, das ja ganz in der Nähe der Kirche liegt, um zu melden, daß sowohl er als auch


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