Die Fahrt der Steampunk Queen. Группа авторов

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hatte sie vor etwa drei Stunden beim Tee gestört. Der Mann, ein gewisser Alan Stevenson, hatte dringend um einen Termin gebeten, ansonsten aber kaum etwas verraten. Der Ingenieur stammte aus einer Familie von Leuchtturmbauern, die einen guten Ruf besaß. Er selbst sah kein bisschen danach aus.

      Lady Summer musterte ihn kritisch. Er war klein, untersetzt und zeigte eine gewisse Pausbäckigkeit. Der üppige Schnauzbart kompensierte das nicht. Die kurzen Haare glänzten geölt, bedeckten den Kopf graubraun und dicht.

      Ihr fiel das bläuliche Halstuch auf, über und über bedeckt mit technischen Zeichen.

      Nichts vom automatischen Webstuhl!, dachte sie. Das ist teure Handarbeit. Also kein Bittsteller im herkömmlichen Sinn.

      »Alan Stevenson«, stellte sich der Besucher vor, verbeugte sich militärisch knapp, dass Lady Summer unwillkürlich erwartete, er werde die Hacken zusammenschlagen. Dabei wirkte er ansonsten nicht wie ein Soldat.

      »Sie telegrafierten, Sie hätten einen interessanten Vorschlag«, sagte sie und kam damit sofort zum Kern der Sache.

      Stevenson stutzte, dann lächelte er zufrieden. »Sie sagen es, Lady Summer. Wenn Sie sich diese Pläne ansehen wollen … ich bin sicher, sie werden begeistert sein.«

      Lady Summer hob kurz zustimmend die Hand. Sofort begann Alan Stevenson mit unglaublicher Geschwindigkeit, mehrere Blaupausen aus einer mitgebrachten Kartonrolle zu ziehen und an ein großes Klemmbrett zu heften, das an der linken Seite des Büros auf einem Dreibein stand. Lady Summer hatte im Lauf der Zeit, und während die Arbeiten an der Queen fortschritten, ein Gespür für technische Feinheiten entwickelt, wie sie sich selbst das niemals zugetraut hatte. Sie hatte viel gelernt. Sie bemerkte also sehr schnell, wie außergewöhnlich das Konzept war, das der Ingenieur ihr präsentierte.

      »Es ist ein fortschrittliches Navigationssystem, wenn Sie so wollen«, sagte Stevenson.

      »Es ist … elektrisch?«, fragte Lady Summer fasziniert. »Ist das richtig?«

      Stevenson nickte beinahe euphorisch. »Sie haben das Prinzip verstanden? Das ist großartig. See- und Küstenkarten könnten überflüssig werden, stellen Sie sich das vor.«

      Lady Summer betrachtete intensiv die Konstruktion, die Stevenson ihr präsentierte. Im Zentrum eines komplexen Netzwerks elektrischer Leitungen, die sich aus vier Stromabnehmern oder Blitzableitern speisten, saß eine Glasbirne, in der wohl ein Vakuum herrschte. Darin formten unzählige haarfeine Drähte ein derart kompliziertes Geflecht, dass sie nicht einmal im Ansatz ahnte, wie man so etwas herstellen konnte.

      »James Brown Lindsay brachte mich auf die Idee«, sagte Stevenson. »Ich habe seine Aufzeichnungen aus dem Jahre 1835 intensiv studiert.«

      Lady Summer erinnerte sich sehr diffus.

      »Ein schottischer Ingenieur, nicht?«, fragte sie. »Aber das eigenartige Geflecht …«

      »Sie haben von Santiago Felipe Ramón y Cajal gehört, nehme ich an?«, fragte Stevenson. Er hatte ihren etwas ratlosen Blick offenbar bemerkt.

      Der Name kam Lady Summer tatsächlich bekannt vor, aber sie wusste ihn nicht zuzuordnen.

      Stevenson lächelte nachsichtig. »Ein spanischer Arzt, der sich mit dem Aufbau des menschlichen Gehirns aus Nervenzellen beschäftigte. Er färbte die Einzelzellen mit einer Silbernitrat-Lösung ein und konnte so die Struktur entschlüsseln. Ein sehr renommierter Mann, der völlig zurecht den Nobelpreis für Medizin erhielt. Das war 1906. Seit 1909 ist er Mitglied mehrerer Akademien der Wissenschaften, darunter Göttingen und Paris. Dieses Jahr steht seine Aufnahme in die National Academy of Sciences an. Seine Arbeit ist für mich die reinste Inspiration. Mein System basiert auf der Ähnlichkeit der neu entdeckten Nervenzellen, die man im menschlichen Gehirn entdeckt hat – und der Art ihrer Vernetzung. Dieses System imitiert die Gedankentätigkeit. Für den Steuermann ist das ein enormer Vorteil. Er benötigt keine gedruckten oder gezeichneten Karten mehr.«

      Lady Summer dachte nach. Noch blieb genug Zeit, obwohl der Stapellauf näher rückte. »Wie lange würde die Installation dauern?«, fragte sie deshalb.

      »Einen, maximal zwei Tage«, sagte Stevenson erwartungsvoll.

      Lady Summer zögerte kurz, dann entschied sie sich. »Gut. Ich werde Kapitän Van Royen und den Steuermann kontaktieren. Stimmen die zu, dann können Sie Ihr Projekt starten. Welche Kosten kämen in diesem Fall auf mich zu?«

      Stevenson strahlte. »Lediglich der Materialwert für die vier Stromabnehmer. Die übrigen Teile der Konstruktion wurden auf meine Kosten bereits hergestellt. Es geht mir lediglich darum, das System zu testen.«

      »Das ist ausgezeichnet«, sagte Lady Summer. »Wo kann ich Sie telegrafisch erreichen?«

      Zufrieden hatte Stevenson bereits damit begonnen, die Pläne wieder zusammenzurollen, bis auf eine deutlich kleinere Kopie.

      »Zeigen Sie die Blaupause ihrem Steuermann und am besten auch gleich dem Maschinisten«, sagte er. »Ich logiere im Tontine an der Union Street. Dort erreichen Sie mich jederzeit.«

      Er nickte Lady Summer freundlich zu und verließ das Büro ohne weiteres Wort.

      Lady Summer nahm Verbindung mit Kapitän Klaas van Royen und Steuermann Jan de Breukelen auf. Sie trafen sich am nächsten Morgen. Die Arbeiten an der Queen gingen weiter, und da sich bisher keine Schwierigkeiten andeuteten, waren beide Männer bereit, dem Experiment zuzustimmen. De Breukelen zeigte sich skeptischer als der Kapitän, aber seine Vorbehalte bezogen sich nicht auf Stevensons Konstruktion.

      »Der Maschinist Gruber wird sich dem nicht in den Weg stellen«, sagte er. »Seine Maschinen sind von all dem nicht betroffen. Er freut sich über seine schrägliegende Zweifachexpansionsdampfmaschine und die exzentergesteuerten Radschaufeln ein Loch in den Bauch. Darin verschwindet momentan jede Menge Whisky aus der lokalen Destillerie. Wenn er beim Stapellauf nüchtern ist, werden wir mit ihm keine weiteren Probleme haben. Er kann von Glück sagen, dass vor fünf Jahren, als die Greenock Distillery geschlossen werden sollte, diese Franzosen alles aufgekauft haben. Ganz schöner Sprung, vom Cognac zum Single Malt. Ich habe den Eindruck, er will das auch die nächsten fünf Jahre lang weiter feiern. Wie gesagt: Er ist unkompliziert, wenn uns sein verdammter Husten nicht noch einen Strich durch die Rechnung macht. Klingt sehr nach Schwindsucht.«

      Er unterbrach sich kurz und räusperte sich leise. »Anders ist das mit den Heizern. Das ist ein abergläubisches Pack. Wenn etwas nicht mit Kohle befeuert wird, kommt es vom Teufel.«

      »Auf unseren Sicherheitschef Mister Camford müssen wir noch mindestens sechs Wochen verzichten«, sagte Kapitän van Royen. »Einige seiner Leute sichern die Werft, vor allem, was die Spionage betrifft, aber er selbst hat vor dem Stapellauf nichts zu tun.«

      Lady Summer glaubte, eine leichte Nervosität zu spüren, aber das mochte Einbildung sein. Van Royen trug seine Gefühle nie zur Schau. Seine Selbstbeherrschung war sprichwörtlich.

      »Während das System installiert wird, sind sicher keine besonderen Sicherheitsmaßnahmen nötig«, sagte sie und zog ein altes Zigarettenetui aus Sterlingsilber hervor. Sie nahm eine Gitanes Maïs heraus und zündete sie an.

      Van Royen runzelte die Stirn. »Französische Zigaretten?«

      »Ich bekomme sie in der Destillerie«¸ sagte Summer lächelnd. »Unser Maschinist schätzt den dortigen Whisky, ich pflege ein anderes Laster.« Sie nahm einen tiefen Zug und der warme Duft verglühender Maisblätter mischte sich mit dem des Tabaks. »Ich rauche sie seit etwa zehn Jahren, seit es sie gibt. Nicht ausschließlich, man bekommt sie nicht überall.«

      Van Royen hustete. »Laster hält man sich, um sie zu kultivieren. Aber das ist harter Tobak.«

      »Sie sagen es, Kapitän«, murmelte Lady Summer.

      De Breukelen holte tief Luft, als wolle er aktiv mitrauchen. »Wenn ich Sie also richtig verstanden habe, werden sie diesem …. Stevenson die Erlaubnis geben, ja?«

      »Ich denke, genau das werde ich tun«, sagte Lady Summer und drückte die


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