Der Landvogt von Greifensee. Gottfried Keller

Der Landvogt von Greifensee - Gottfried Keller


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ins Benehmen setzen wolle, wie sie sich aufführen und vertragen würden, und welch zierlicher Scherz ihm winke, die reizende Familie zu bewirten.

      Die Schwierigkeit war nun freilich, seine Wirtschafterin, die Frau Marianne, ins Vertrauen zu ziehen und ihre Einwilligung und Beihülfe zu gewinnen; denn wenn diese in so zarter Angelegenheit nicht gutgesinnt und einverstanden war, so fiel der liebliche Plan dahin.

      Die Frau Marianne aber war die seltsamste Käuzin von der Welt, wie man um ein Königreich keine zweite aufgetrieben hätte. Sie war die Tochter des Stadtzimmermeisters Kleißner von Hall in Tirol und mit einer Schar Geschwister unter der Botmäßigkeit einer bösen Stiefmutter gewesen. Diese steckte sie als Novize in ein Kloster; sie hatte eine schöne Singstimme und schien sich gut anzulassen; wie sie aber Profeß tun sollte, erhob sie einen so wilden und furchtbaren Widerstand, daß sie mit Schrecken entlassen wurde. Hierauf schlug sich Marianne allein in die Welt und fand als Köchin ein Unterkommen in einem Gasthause zu Freiburg im Breisgau. Wegen ihrer wohlgebildeten Leibesgestalt hatte sie die Nachstellungen und Bewerbungen der österreichischen Offiziere und der Studenten zu erdulden, welche in dem Hause verkehrten; jedoch wies sie alle energisch zurück bis auf einen hübschen Studenten aus Donaueschingen, von guter Familie, dem sie ihre Neigung schenkte. Ein eifersüchtiger Offizier verfolgte sie deswegen mit übler Nachrede, die ihr zu Ohren kam. Mit einem scharfen Küchenmesser bewaffnet, schritt sie in den Gastsaal, in dem die Offiziere saßen, stellte den Betreffenden als einen Verleumder zur Rede, und als derselbe die resolute Person hinausschaffen wollte, drang sie so heftig auf ihn ein, daß er den Degen ziehen mußte, um sich ihrer zu erwehren. Allein sie entwaffnete den Mann und warf ihm den Degen zerbrochen vor die Füße, infolgedessen er aus dem Regiment gestoßen wurde. Die tapfere Tirolerin aber heiratete nun den schönen Studenten und zwar gegen den Willen der Seinigen, indem sie miteinander entflohen. Er trat in Königsberg in ein preußisches Reiterregiment, dem sie sich als Marketenderin anschloß und in verschiedenen Feldzügen folgte. Hier zeigte sie sich so unermüdlich tätig und geschickt, im Felde sowohl wie in den Garnisonen, als Köchin und Kuchenbäckerin, daß sie genug Geld verdiente, um ihrem Manne ein bequemes Leben zu bereiten und auch etwas beiseite zu legen. Sie bekamen nach und nach neun Kinder, die sie über alles liebte und mit der ganzen Leidenschaftlichkeit, die ihr eigen war; aber alle starben hinweg, was ihr jedesmal fast das Herz brach, das jedoch stärker war, als alle Schicksale. Da aber endlich Jugend und Schönheit entflohen waren, erinnerte sich der Husar, ihr Mann, seines besseren Standes und fing an, seine Frau zu verachten; denn es war ihm zu wohl geworden in ihrer Pflege. Da nahm sie das ersparte Geld, erkaufte ihm den Abschied vom Regimente und ließ ihn ziehen, wohin es ihm gefiel, sein Glück zu suchen; sie selbst wanderte einsam wieder dem Süden zu, von woher sie gekommen war, um ein Unterkommen zu finden.

      In St. Blasien im Schwarzwald fügte es sich, daß sie dem Landvogt von Greifensee, der eine Wirtschafterin suchte, empfohlen wurde, und so diente sie ihm schon seit zwei Jahren. Sie war mindestens fünfundvierzig Jahre alt und glich eher einem alten Husaren, als einer Wirtschaftsdame. Sie fluchte wie ein preußischer Wachtmeister, und wenn ihr Mißfallen erregt wurde, so gab es ein so gewaltiges Gewitter, daß alles auseinanderfloh und nur der lachende Landvogt standhielt und sich an dem Spektakel ergötzte. Allein sie besorgte seinen Haushalt auf das vortrefflichste; sie beherrschte das Gesinde und die Ackerknechte mit unnachsichtlicher Strenge, führte seine Kasse treu und zuverlässig, feilschte und sparte, wo es immer möglich war und die Großmut des Herrn nicht dazwischen trat, und unterstützte wiederum seine Gastfreundschaft mit guter Küche so willfährig und wohlbewandert, daß er ihr bald die Führung seines gesamten Hauswesens ohne Rückhalt überlassen konnte.

      Durch alle Rauheit leuchtete dann wieder ihr tiefes Gemüt hervor, wenn sie dem Landvogt, der ihr aufmerksam zuhörte, mit ungebrochener Altstimme eine alte Ballade, ein noch älteres Liebes- oder Jägerlied vorsang, und sie war nicht wenig stolz, wenn der waldhornkundige Herr die schwermütige Melodie bald erlernte und aus dem Schloßfenster über den mondhellen See hinblies.

      Als einst das zehnjährige Söhnlein eines Nachbars in unheilbarem Siechtum darniederlag und weder das Zureden des Pfarrers, noch dasjenige der Eltern das Kind in seinen Schmerzen und seiner Furcht vor dem Tode zu trösten vermochte, da es so gerne gelebt hätte, so setzte sich Landolt, ruhig seine Pfeife rauchend, an das Bett und sprach zu ihm in so einfachen und treffenden Worten von der Hoffnungslosigkeit seiner Lage, von der Notwendigkeit, sich zu fassen und eine kleine Zeit zu leiden, aber auch von der sanften Erlösung durch den Tod und der seligen, wechsellosen Ruhe, die ihm als einem geduldigen und frommen Knäblein beschieden sei, von der Liebe und Teilnahme, die er, als ein fremder Mann, zu ihm hege, daß das Kind sich von Stund an änderte, mit heiterer Geduld seine Leiden ertrug, bis es vom Tode wirklich erlöst wurde.

      Da drang die leidenschaftliche Frau Marianne an das Todeslager, kniete am Sarge nieder, betete andächtig und anhaltend und empfahl dem vermeintlichen kleinen Heiligen alle ihre vorangegangenen Kinder zur Fürbitte bei Gott. Dem Landvogt aber küßte sie wie einem großen Bischof ehrfürchtig die Hand, bis er sie lachend mit den Worten abschüttelte: »Seid Ihr des Teufels, alte Närrin?«

      Das war also die Schaffnerin des Herrn Obristen, mit welcher er sich ins reine setzen mußte, wenn er die fünf alten Flammen an seinem Herde vereinigen und leuchten lassen wollte.

      Als er in den Schloßhof ritt und vom Pferde stieg, hörte er sie eben in der Küche gewittern, weil die Hunde im Stall heulten und eine Magd versäumt hatte, denselben das Abendfutter abzubrühen. Das ist keine günstige Zeit! dachte er und ließ sich kleinlaut in seinem Lehnstuhle nieder, um sein Nachtessen einzunehmen, während die Wirtschafterin ihm mit wetterleuchtender Laune vortrug, was sich alles während des Tages ereignet habe. Er schenkte ihr ein Glas Burgunder ein, den sie liebte, von dem sie aber nur trank, wenn der Herr sie dazu einlud, obgleich sie die Kellerschlüssel führte. Das milderte schon etwas ihren Groll. Dann nahm er das Waldhorn von der Wand und blies eine ihrer Lieblingsweisen auf den Greifensee hinaus.

      »Frau Marianne!« sagte er hierauf, »wollt Ihr mir nicht das andere Lied singen, wie heißt‘s:

      Wer die seligen Fräulein hat gesehn

      Hoch oben im Abendschein,

      Seine Seele kann nicht scheiden gehn,

      Als über den Geisterstein!

      Ade, ade, ihr Schwestern traut,

      Mein Leib schläft unten im stillen Kraut!«

      Sogleich sang sie das Lied mit allen Strophen, die auf verschiedene Gegenstände übersprangen, aber alle eine gleichmäßige Sehnsucht, ein Gewisses wiederzusehen, ausdrückten. Sie wurde von der einfachen Weise selbst gerührt und noch mehr, als der Landvogt die gedehnten Töne in die Nacht hinausziehen ließ.

      »Frau Marianne!« sagte er, in die Stube zurücktretend, »wir müssen gelegentlich darauf denken, eine kleinere, aber ausgesuchte Gesellschaft wohl zu empfangen!«

      »Welche Gesellschaft, Herr Landvogt? Wer wird kommen?«

      »Es wird kommen«, versetzte er hustend, »der Distelfink, der Hanswurstel, die Grasmücke, der Kapitän und die Amsel!«

      Die Frau sperrte Mund und Augen auf und fragte: »Was sind denn das für Leute? Sollen sie auf Stühlen sitzen, oder auf einem Stänglein?«

      Der Landvogt war aber schon in die Nebenstube gegangen, um eine Pfeife zu holen, die er nun in Brand steckte.

      »Der Distelfink,« sagte er, den ersten Rauch wegblasend, »der ist ein schönes Frauenzimmer!«

      »Und der andere?«

      »Der Hanswurstel? Der ist auch ein Frauenzimmer, und auch schön in seiner Art!«

      So ging es fort bis zur Amsel. Da die Wirtschafterin aber auch von diesen lakonischen Erklärungen nicht befriedigt war, mußte der Herr Landvogt sich entschließen, endlich des mehreren von Dingen zu reden, über welche noch nie ein Wort über seine Lippen gekommen war.

      »Mit einem Wort,« sagte er, »es sind das alle meine Liebschaften, die ich gehabt habe und die ich einmal beisammen sehen will!«

      »Aber heiliges Kreuzdonnerwetter!« schrie nun Frau Marianne, die mit noch viel größeren Augen aufsprang


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